Keine Zeit, um auf eine Hauptversammlung zu fahren? Ihr Stimmrecht, das Ihnen als Aktionär zusteht, brauchen Sie trotzdem nicht verfallen zu lassen. Denn nahezu alle DAX-Gesellschaften und auch immer mehr Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe offerieren viele Möglichkeiten der Teilhabe. Sie reichen von der puren Information zu den Themen der Hauptversammlung über Übertragungen der Vorstandsrede bis hin zu Onlineabstimmungen noch während der Versammlung. Vorausgesetzt, die Aktionäre haben bestimmte Fristen im Blick. Nur eins bleibt weiterhin den Aktionären im Saal vorbehalten: mitzudiskutieren.

"Um die Jahrtausendwende waren Hauptversammlungen noch eine geschlossene und statische Angelegenheit. Heute können die Gesellschaften entscheiden, wie weit sie sich öffnen wollen. Die Möglichkeiten zur Onlineteilhabe für Aktionäre haben seither stark zugenommen", sagt Ulrich Noack, Rechtsprofessor an der Universität Düsseldorf, der die Entwicklung seit rund 20 Jahren beobachtet. "Vor allem der Workflow rund um die Hauptversammlung wurde digitalisiert, die Versammlung selbst ist noch immer eine Präsenzveranstaltung an einem physischen Ort."

Gerade bei den DAX-Mitgliedern - hier läutet der Rückversicherer Munich Re am 30. April die heiße Phase der Hauptversammlungssaison ein - sind die Möglichkeiten inzwischen vielfältig. Munich Re und das Softwarehaus SAP ermöglichen ihren Aktionären in der Ferne inzwischen sogar eine Live-Abstimmung zeitgleich mit dem Saalpublikum: Sie können das Treffen in Bild und Ton über das Internet verfolgen und bei den Abstimmungen in Echtzeit teilnehmen, also auch noch auf den Verlauf der Debatten reagieren.

Das birgt aber das Risiko, die Abstimmung zu verpassen, wenn man sich zwischenzeitlich mal vom Rechner wegbewegt. Und ein Fragerecht wie für die Aktionäre im Saal gibt es online nicht. Erheblich verbreiteter ist die Möglichkeit, online über die Tagesordnungspunkte abzustimmen - bei manchen Aktiengesellschaften ist das noch bis zum Ende der Generaldebatte möglich.

Während fast alle DAX-Mitglieder die Rede des Vorstandsvorsitzenden im Internet übertragen, ist die Generaldebatte lediglich bei ungefähr jeder dritten Gesellschaft zu sehen, wie eine Auswertung der Adeus Aktienregister-Service-GmbH zeigt. "Auch bei den MDAX-Gesellschaften tut sich etwas, das Interesse an Onlineservices rund um die Hauptversammlung steigt", beobachtet Adeus-Geschäftsführer Klaus Schmidt.

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Breiterer Service bei Namensaktien


Von den 30 DAX-Werten haben etwa die Hälfte Inhaberaktien, die andere Hälfte Namensaktien. Bei Inhaberaktien sind die Besitzer anonym, während sie bei Namensaktien ins Aktienregister des Unternehmens eingetragen werden. "Praktisch alle Gesellschaften mit Namensaktien haben inzwischen ein Aktionärsportal, von den Gesellschaften mit Inhaberaktien haben es nicht alle", sagt Christof Schwab, Director Business Development beim Aktienregisterführer und Hauptversammlungsdienstleister Computershare.

Die Aktionärsportale sind die Dreh- und Angelpunkte der Kommunikation mit den Teilhabern. Über sie können Aktionäre ihr Votum zu den Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung elektronisch abgeben. Gesellschaften mit Namensaktien tun sich leichter, ihre Anleger auf die Portale zu locken, denn sie können neue Aktionäre direkt anschreiben und ihnen Zugangscodes schicken. Wer sich dann registriert, kann die Einladung zur Hauptversammlung künftig auf Wunsch per Mail erhalten - ein Service, den laut Auswertung von Adeus bereits ein gutes Dutzend DAX-Konzerne bietet.

Gesellschaften mit Inhaberaktien müssen dagegen die Einladungen über die Depotbanken verschicken. Die Digitalisierung bringt auch für die Aktionäre Vereinfachungen, die an der Hauptversammlung vor Ort teilnehmen möchten: "Eine Teilnahme ganz ohne Papier ist heute schon möglich. Ein Anleger muss sich dafür aber vorher im Aktionärsportal registriert haben. Er kann sich dann die Eintrittskarte aufs Smartphone schicken lassen", erläutert Ingo Wolfarth von Computershare.

Das kennt man vom Boarding-Verfahren beim Fliegen oder von Bahntickets. Auch während der Hauptversammlung sind inzwischen bei immer mehr Gesellschaften die altbekannten papierenen Stimmkartenblöcke passé. Bei einem Drittel der DAX-Konzerne können die Anleger im Saal direkt an offiziellen Tablets ihr Votum abgeben. Zuvor müssen sie sich mit einem Code ausweisen. Das spart einiges an Zeit bei der Auswertung der Abstimmungsergebnisse.

Die Digitalisierung wird die Hauptversammlungspraxis weiter verändern. Gleiches gilt für rechtliche Neuerungen, die vermutlich zur Saison 2021 greifen werden. "Das sogenannte Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie wird insbesondere die grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung erleichtern und vermutlich dazu beitragen, dass die Präsenzen auf Hauptversammlungen weiter steigen werden", sagt Adeus-Geschäftsführer Schmidt.

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Neues Gesetz in Sicht


Das neue Gesetz fordert die institutionellen Anleger auf, ihre Stimmrechtspolitik künftig offenzulegen, tatsächlich auch abzustimmen und ihre Anleger über ihr Abstimmungsverhalten im Nachgang zu informieren. Künftig sollen die Gesellschaften das Recht haben, auch bei Inhaberaktien ihre Aktionäre zu identifizieren. Die Banken werden in die Pflicht genommen, die Einladungen zu den Treffen an den Endkunden weiterzuleiten, auch wenn er im Ausland sitzt, und die Weisungen zur Hauptversammlung an die Unternehmen weiterzuleiten.

Eine komplett virtuelle Hauptversammlung ohne Präsenzveranstaltung in einem Saal, in dem zumindest Vorstand und Aufsichtsrat zusammenkommen - das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Denn rein rechtlich ist so etwas derzeit nicht möglich. Das muss aber nicht so bleiben, meint Rechtsprofessor Noack: "Man könnte es auch den Gesellschaften überlassen, wie sie ihre Aktionärsbeschlüsse herbeiführen - Hauptsache, dass jeder Aktionär die Gelegenheit hat mitzuwirken. Aber das ist eine Vision für das nächste Jahrzehnt."

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Seite 4: Fristen über Fristen


Rund um die Hauptversammlung deutscher Aktiengesellschaften gibt es eine Reihe von Fristen, die für Anleger wissenswert sind. Ein Überblick.

Wann muss man sich anmelden?
Mindestens sechs Tage vor dem Treffen müssen sich Aktionäre zur Teilnahme anmelden, per Satzung sind auch kürzere Fristen möglich.

Wann kommt die Einladung?
Eine Hauptversammlung ist mindestens 30 Tage vorher einzuberufen, hin zu kommen noch die sechs Tage für die Anmeldung der Aktionäre. Alsbald danach müssen über die Website der Gesellschaft der Inhalt der Einberufung und weitere wichtige Dokumente und Infos zugänglich gemacht sein.

Wer darf teilnehmen?
Hat eine Gesellschaft Inhaberaktien begeben, darf zur Hauptversammlung kommen und abstimmen, wer 21 Tage vor dem Treffen Aktionär ist. Die Depotbanken informieren die Gesellschaften darüber, wer die Anteile zum Stichtag besitzt. Selbst wenn Anleger danach ihre Aktien verkaufen, haben sie das Stimmrecht. Bei Gesellschaften mit Namensaktien ist teilnahmeberechtigt, wer zum Stichtag (meist letzter Anmeldetag) im Aktienregister steht.

Wer bekommt die Dividende?
Die Dividende darf kassieren, wer die Aktie spätestens am Tag der Hauptversammlung gekauft hat. Stimmrecht auf der Hauptversammlung und Dividendenberechtigung können voneinander abweichen.

Wann wird die Dividende
ausgezahlt? Früher gab es die Dividende bereits am Tag nach der Hauptversammlung. Seit der Dividendensaison 2017 ist die Ausschüttung erst drei Geschäftstage nach dem Aktionärstreffen fällig. Die Satzung der Gesellschaft kann sogar eine noch spätere Auszahlung vorsehen.