Meine Frau und ich können uns ein Leben außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern überhaupt nicht vorstellen", schreibt Eckhardt Rehberg auf seiner Homepage. Und freut sich, dass auch seine Söhne im Land Arbeit gefunden haben und sesshaft geworden sind. Der Mann ist in seiner Heimat verwurzelt. Das strahlt er aus, und das passt zu seiner ruhigen und überlegten Art. So stellt man sich den Typus eines soliden Haushaltspolitikers vor, der vom Ende her denkt und schuldenfinanzierte Volksbeglückungspolitik nicht unwidersprochen hinnimmt.

Rehberg ist kein Scharfmacher, aber er formuliert mit guten Argumenten und setzt Leitplanken einer soliden Haushaltspolitik. Obwohl er den fiskalischen Ausnahmezustand, den der Corona-Schock global hervorgerufen hat, nicht leugnet, gehört er doch seit Monaten zu denen, die davor warnen, alle Schleusen zu öffnen, als ob es kein Morgen gäbe.

Er fuhr Scholz in die Parade

Er hält es im Gegensatz zum Bundesfinanzminister auch überhaupt nicht für zwingend, schon heute die Schuldenregel des Grundgesetzes auch im kommenden Wahljahr auszusetzen, die eine Neuverschuldung maximal in Höhe von 0,35 Prozent des BIP zulässt. Er sieht im Etat so viele gut gefüllte Rücklagen und erwartet auch 2020 sehr hohe Haushaltsausgabereste, die der Bundesfinanzminister erst einmal verausgaben sollte, ehe er sich vom Parlament neue Kreditermächtigungen genehmigen lässt.

Rehberg fuhr dem Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidaten der SPD auch als Erster aus der Unionsfraktion in die Parade, als der von der "Unumkehrbarkeit" der gemeinsamen Kreditaufnahme der EU sprach. Rehberg pocht auf die Verträge, die der EU die gemeinsame Schuldenaufnahme ausdrücklich verbieten, und erinnert an den "Ausnahmecharakter" des Corona- Wiederaufbaupakets.

Der 66-jährige Rehberg wird das Parlament nach dieser Wahlperiode verlassen. Er kandidiert aus freien Stücken nicht mehr. Nach 15 Jahren Bundestag und 15 Jahren Landtag hat er sein berufspolitisches Soll mehr als erfüllt. Den soliden Haushälter aus dem Nordosten der Republik wird man im Parlament vermissen. Respekt genießt er über alle Parteigrenzen hinweg.

€uro am Sonntag: Was halten Sie als direkt gewählter Abgeordneter von der von den Koalitionsspitzen verabredeten Reduzierung der Bundestagswahlkreise, die das Verhältnis von direkt gewählten Bewerbern zugunsten von Listenbewerbern verschieben würde?

Eckhardt Rehberg: Davon halte ich überhaupt nichts. Ich habe den flächengrößten Wahlkreis in Deutschland, fahre rund eineinhalb Stunden von einem Ende zum anderen. Wenn ich direkt gewählt werden will, muss ich mich um die Bürgerinnen und Bürger kümmern. Das erzwingt Bürgernähe, und das ist gut so. Ein Listenkandidat muss sich mehr um die Partei kümmern, um nominiert zu werden. Es gibt einen Kulturunterschied zwischen direkt gewählten Abgeordneten und denen, die über die Landeslisten der Parteien ins Parlament kommen.

Nach Jahren ohne Neuverschuldung hat der Bundestag Kreditermächtigungen von fast 220 Milliarden Euro bewilligt. Die Corona-Pandemie und der verordnete Lockdown der Wirtschaft haben zur Aussetzung der Schuldenbremse im Grundgesetz geführt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat schon jetzt auch für 2021, das Jahr der Bundestagswahl, erneut die Aussetzung angekündigt. Wie schätzen Sie dies denn ein?

Ich bin der Auffassung, dass die Ausnahme von der Schuldenregel nach Artikel 115 Grundgesetz nicht zum Dauerzustand werden darf. Besonders der Bundesfinanzminister suggeriert, der Staat könne alles leisten. Dabei gerät in Vergessenheit, dass sowohl die Stabilisierungs- und Überbrückungshilfen in der Corona-Krise als auch die Investitionsoffensive aus dem Konjunkturpaket allein über Schulden finanziert werden. So kann es nicht immer weitergehen. Ich fand Schulden machen noch nie sexy, weil es für mich nichts mit Generationengerechtigkeit zu tun hat. Ich habe das Gefühl - leider auch in vielen Teilen der Politik -, dass jetzt alle Dämme gebrochen sind. Um auch das klar und deutlich zu sagen: Es geht mir für die nächsten Haushalte nicht ums Sparen, sondern es geht einfach darum, Maß und Mitte zu halten und Stück um Stück wieder zu ausgeglichenen Haushalten zu kommen.

Olaf Scholz stößt als SPD-Kanzlerkandidat bereits ins klassische linke Umverteilungshorn: Die Reichen sollen höhere Steuern bezahlen. Glauben Sie, dass dreistellige Milliardensummen, die jetzt mit Krediten finanziert werden, tatsächlich von dieser kleinen Personengruppe gedeckt werden können?

Viele, die von Spitzenverdienern reden, vergessen, dass sie damit auch den deutschen Mittelstand adressieren. Das sind die eigentümergeführten Unternehmen. Diese Zielgruppe, die ohnehin durch die Corona-Krise überdurchschnittlich getroffen ist, zusätzlich belasten zu wollen halte ich für fatal. Natürlich ist es eine Illusion, dreistellige Milliardensummen an zusätzlichen Einnahmen durch Steuererhöhungen aus dieser Personengruppe zu gewinnen.

Welche Folgen hätte dies?

Scholz würde mit dieser Steuerpolitik das starke Herz der deutschen Wirtschaft, den Mittelstand, massiv schwächen. Deshalb ist es so wichtig, alle Ausgaben auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen. Wir werden ohnehin in vielen Bereichen Schwierigkeiten bekommen, die bereitgestellten Mittel tatsächlich zu verausgaben. Das haben bereits die vergangenen Jahre gezeigt. Wenn wir Maß und Mitte halten und die vorhandene Rücklage im Bundeshaushalt in Anspruch nehmen, die sich auf 48 Milliarden Euro beläuft, und auch die Haushaltsreste sinnvoll einsetzen, dann muss man die Schuldenregel nicht zwingend wieder außer Kraft setzen.

Den Grundsätzen der Haushaltsklarheit und -wahrheit widerspricht es in jedem Fall, wenn der Bundesfinanzminister in diversen Rücklagetöpfen hohe Milliardensummen ansammelt und sich gleichzeitig vom Parlament riesige Kreditaufnahmen bewilligen lässt.

Die 48 Milliarden an Rücklagen sind selbst beim zweiten Nachtragshaushalt in diesem Jahr unangetastet geblieben. Außerdem rechne ich auch in diesem Jahr mit erheblichen zusätzlichen Haushaltsausgaberesten. Es gibt viele Positionen, die nicht so abfließen, wie das geplant worden ist. Dazu kommt, dass wir bereits im vergangenen Jahr im Rahmen des Klimapakets den Energie- und Klimafonds mit weit über 50 Milliarden Euro für die nächsten Jahre befüllt haben. Im zweiten Nachtragshaushalt für dieses Jahr haben wir jetzt nochmals im Bereich Innovation, Forschung und Entwicklung rund 50 Milliarden Euro nachgelegt. Auch die Sondervermögen für Schulsanierung, Ausbau digitaler Infrastruktur, Kita-Ausbau und Ganztagsschule sind sehr gut gefüllt. Wir haben in diesen Bereichen kein Finanzierungs-, sondern ein Umsetzungsproblem.

Zum Stichwort Europa: Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat vor Kurzem verkündet, die gemeinsame Kreditaufnahme in der Europäischen Union, die aus Anlass des Corona- Wiederaufbaupakets als Ausnahme von den Regierungschefs im Juli verabredet worden ist, sei quasi unumkehrbar. Sie haben sofort vehement widersprochen.

Der Bundesfinanzminister vergisst eines: Der Beschluss über die Eigenmittel der EU zum Wiederaufbaufonds wird im Deutschen Bundestag gefasst, nicht im Bundesfinanzministerium. Basis des Wiederaufbaufonds und auch Basis der Beschlüsse auf dem EU-Gipfel im Juli ist Artikel 122 AEUV, wo wir von "außergewöhnlichen Ereignissen" sprechen, die sich der Kontrolle der Mitgliedsstaaten entziehen. Die Corona-Pandemie fällt zweifellos darunter, aber rein logisch kann das kein Dauerzustand sein. Es geht nicht um eine gemeinsame Schuldenhaftung.

Sondern? Worum geht es denn in Wahrheit?

Um eine Haftung, in der jeder EU-Mitgliedsstaat maximal in Höhe seiner Eigenmittel für den EU-Haushalt selbst haftet. Der Bundesfinanzminister hat bald nach seinen Äußerungen auch Widerspruch durch den Regierungssprecher erfahren. Grundlage unseres Handelns - und das gilt für die ganze Unionsfraktion - sind ganz klar die Vereinbarungen des EU-Gipfels und nicht das, was Olaf Scholz als Kanzlerkandidat der SPD formuliert. Als Bundesfinanzminister hat er sich an die Vereinbarungen in der Koalition und an die Beschlüsse des EU-Gipfels zu halten.

Stichwort Bund-Länder-Finanzen. Sie monieren seit Jahren vernehmlich, dass die Länder dem Bund ständig höhere Finanzmittel abtrotzen, obwohl der Bund die Lasten des demografischen Wandels in den Sozialversicherungen durch immer höhere Zuschüsse tragen muss.

In diesem Jahr haben wir erstmals die Situation, dass die Umsatzsteuereinnahmen der Gesamtheit der Länder größer sein werden als die des Bundes. Die Schere geht aufgrund vielfältiger Vereinbarungen, insbesondere auch durch den Bund-Länder-Finanzausgleich, der ab diesem Jahr wirkt, immer weiter auseinander. Strukturell sind dadurch die Länder pro Jahr um rund zehn Milliarden Euro besser gestellt. Nach der jüngsten Steuerschätzung, die bereits die Corona-Krise einbezogen hat, wird der Bund erst im Jahr 2023 wieder auf dem Einnahmenniveau von 2019 sein, Länder und Kommunen aber bereits 2021. Diese Lastenverschiebung können wir aber nicht immer so weitertreiben, nach dem Motto: Sonntags zwischen zehn und elf Uhr ist der liebe Gott dafür zuständig und davor und danach der Bund. Spannend wird es jetzt auch bei den Themen Kosten der Unterkunft - Stichwort: Entlastung der Kommunen/Grundgesetzänderung - und beim Ausgleich der Corona-bedingten Gewerbesteuerausfälle der Gemeinden. Geben die Länder die vom Bund gewährten Zuweisungen wirklich an ihre Kommunen weiter?

An den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister bleibt vieles hängen.

(Lacht.) Genauso ist es.

Sie werden am Ende dieser Legislaturperiode selbst gewählt aus dem Bundestag ausscheiden. Welche Bilanz ziehen Sie nach insgesamt 31 Jahren parlamentarischer Erfahrung - je zur Hälfte im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und im Deutschen Bundestag?

Ich bedaure derzeit ein bisschen, dass Corona den 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, den wir am 3. Oktober begehen, etwas in den Hintergrund drängt. Was wir Deutschen in einer Generation beim Thema deutsche Einheit geschaffen haben, ist phänomenal. Wir sollten im Osten wie im Westen stolz darauf sein. Die Aufbaujahre nach der Wende habe ich im Landtag in Schwerin erlebt. Die vergangenen 15 Jahre im Bundestag, die sich zufällig mit der Amtszeit von Angela Merkel als Kanzlerin deckten, waren von einer unglaublich dichten Abfolge von Krisen und Problemen geprägt: Finanzkrise, Eurokrise, Annexion der Krim, Krise im Mittelmeerraum, Flüchtlingskrise und jetzt das Coronavirus und seine Folgen. Wenn man sieht, wie gut Deutschland trotz aller Schwierigkeiten da durchgekommen ist, besser als der Rest Europas, ja besser als die meisten Staaten der Welt, dann sollten wir für die Zukunft einfach auch mehr Mut haben, etwas entspannter sein. Wir Deutschen sollten nicht zuerst immer die Risiken in den Mittelpunkt stellen, sondern auch die Erfolge und Chancen beleuchten.
 


Vita:
Vollblutpolitiker

Eckhardt Rehberg wurde 1954 in Ribnitz-Damgarten (Mecklenburg-Vorpommern) geboren und 1984 CDU-Mitglied. Seit 2005 ist er Bundestagsabgeordneter, seit Februar 2015 haushaltspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion und damit Chefhaushälter der mit Abstand stärksten Regierungsfraktion der Berliner Koalition. Der 66-Jährige wird das Parlament nach 15 Jahren Bundestag und 15 Jahren Landtag nach dieser Legislaturperiode verlassen.