Vor weniger als 100 Tagen, am 11. Januar 2020, luden chinesische Forscher die Gensequenz eines unbekannten Virus ins weltweite Web hoch. Nur fünf Tage später veröffentlichte die Arbeitsgruppe um Christian Drosten von der Berliner Charité das erste Protokoll, nach dem sich eine Infektion mit dem heute als SARS-CoV-2 bekannten Erreger nachweisen lässt.
Seitdem hat sich nicht nur das alltägliche Leben rund um die Welt grundlegend verändert. Wissenschaftler und Unternehmen der Gesundheitsbranche übertreffen sich nahezu täglich mit Leistungen, die vorher unmöglich erschienen. Drägerwerk hat die Produktion von Beatmungsgeräten im Februar verdoppelt und wird sie in den kommenden Monaten vervierfachen. Qiagen fertigt jetzt sieben Tage die Woche rund um die Uhr Extraktionskits, mit denen die Virus-RNA aus Rachen- und Nasenabstrichen isoliert wird. Damit möglichst bald ein Impfstoff zur Verfügung steht, versuchen Firmen, die normalerweise zehn bis 15 Jahre währende Entwicklung auf ein Zehntel dieser Zeitspanne zu verkürzen. "Es gibt keinen Präzedenzfall für die Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegen", sagt Clement Lewin, der bei Sanofi seit zweieinhalb Jahrzehnten an Impfstoffen arbeitet.
Nie zuvor stand der Gesundheitssektor so im Rampenlicht. Auch an der Börse wollen Anleger nun gern auf Gewinner setzen. Dabei hat die Branche weit mehr zu bieten: Von extrem defensiv aufgestellten Firmen bis zu riskanten Biotech-Unternehmen mit Chancen auf Millionen-Bestseller ist der Sektor breit diversifiziert. Gleichzeitig gilt Gesundheit als krisenfest, die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen steigt aufgrund der demografischen Entwicklung stetig. Was Anleger über die aktuelle Situation und die langfristigen Perspektiven wissen müssen, welche Aktien und Branchenfonds empfehlenswert sind, lesen Sie nachfolgend.
Den defensiven Charakter hat der Sektor in vergangenen wirtschaftlichen Schwächephasen mehrfach bewiesen. Sowohl beim Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 als auch in der Finanzkrise 2008/2009 fielen die Aktienkurse der Healthcare-Unternehmen weniger stark als der breite Markt. Wie immun die Geschäfte von Pharma und Co gegen die Schwächephasen waren, zeigt die Gegenüberstellung der Gewinnentwicklung im MSCI World Healthcare Index und im MSCI World: Während der breite Markt deutliche Einbußen verzeichnete, gab es im Gesundheitssektor nur eine kleine Gewinndelle. Insgesamt sind die Profite der Branche in den vergangenen 25 Jahren doppelt so schnell gewachsen wie im Gesamtmarkt. Der MSCI World Healthcare Index hat in diesem Zeitraum durchschnittlich zehn Prozent Ertrag pro Jahr abgeworfen, der MSCI World Index dagegen knapp sieben Prozent.
Die Corona-Krise unterscheidet sich jedoch von der Finanzkrise. So werden aktuell nicht dringend notwendige Operationen wie der Einsatz künstlicher Gelenke verschoben, Zahnärzte behandeln häufig nur noch Notfälle. "Die Orthopädiefirmen werden im März und im zweiten Quartal starke Einbrüche verzeichnen", sagt Rudi Van den Eynde, Fondsmanager des Candriam Equities Biotechnology. Auch Zahnimplantatehersteller leiden. "Die entgangenen Umsätze können aber wieder aufgeholt werden", ist Van den Eynde überzeugt.
Viele klinische Studien nehmen keine Patienten mehr auf, neue Medikamententests werden aufgeschoben, um Personal und Probanden vor der Ansteckung mit SARS-CoV-2 zu schützen. Das kann für unprofitable Biotechfirmen, die kurzfristig auf Kapitalspritzen angewiesen sind, zum Problem werden. "Für diese Firmen sind klinische Daten die ultimative Währung für ihren Marktwert", sagt Bruce Booth, Partner bei der Risikokapitalfirma Atlas Venture. Keine Daten bedeutet im Extremfall kein frisches Geld. Immerhin dürfte die Verzögerung nach Einschätzung von Fondsmanager Van den Eynde maximal einige Monate dauern. "Gut finanzierte und breiter aufgestellte Unternehmen werden solche Verzögerungen problemlos wegstecken", meint er.
Neue Kunden im digitalen Bereich
In anderen Bereichen laufen die Geschäfte dagegen deutlich störungsfreier - mit der Chance auf zukünftige Gewinnsteigerungen. "Das gilt zum Beispiel für Anbieter von Praxis-Software und elektronischen Patientenakten", sagt Andreas Bischof, Co-Manager des Fonds nova Steady Healthcare. So stellt die Firma Compugroup Medical Ärzten, Kliniken und Hebammen bis auf Weiteres eine Plattform für Videosprechstunden kostenlos zur Verfügung. "Natürlich mit dem Hintergedanken, dass viele das weiter nutzen werden, wenn die Krise vorbei ist", so Bischof. Auch Online-Apotheken wie Shop Apotheke können viele neue Käufer gewinnen. Das wird sich auszahlen, wenn - wie am 1. April beschlossen - alle Rezepte in Deutschland zum Jahr 2022 verbindlich elektronisch ausgestellt werden müssen.
International boomen digitale Angebote durch die Corona-Krise. In China, das bei der Bewältigung der Pandemie einige Wochen voraus ist, zeigt sich das Potenzial. "Dort wurden die Regeln angepasst, nach denen Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente online ausgestellt und die Mittel dann verschickt werden", berichtet Oliver Kubli, Fondsmanager des BB Adamant Asia Pacific Healthcare. "Auch die Zahl der Online-Konsultationen hat dramatisch zugenommen."
Produktion kommt nicht hinterher
Schutzmasken und -kleidung können unterdessen gar nicht so schnell produziert werden, wie sie benötigt werden. Die Sonderkonjunktur bei Beatmungsgeräten wird sich in den Bilanzen von Drägerwerk, Getinge oder Medtronic niederschlagen. Wie stark, das ist jedoch aktuell schwer abzuschätzen. Denn niemand außer den Herstellern weiß bisher, zu welchen Preisen etwa die Großaufträge von Regierungen abgewickelt werden. Werden Rabatte gegeben oder Aufschläge gezahlt? Hier ist in den kommenden Wochen gute Kommunikation seitens der Unternehmen gefragt, um womöglich überhöhten Erwartungen von Investoren zu begegnen. Doch zweifellos wird etwas hängen bleiben, wenn wie zum Beispiel bei Qiagen die Testkit-Produktion um mehr als das Zehnfache in die Höhe geschraubt wird. Bei der nordrhein-westfälischen Molekulardiagnostikfirma scheint das Kurspotenzial allerdings durch das Übernahmeangebot von Thermo Fisher zu 39 Euro pro Aktie begrenzt.
Doch große Corona-Testanbieter gibt es viele, zum Beispiel Biomerieux und der Analysespezialist Eurofins. Dieser kann aktuell pro Tag insgesamt rund 15.000 Tests in Deutschland, Spanien, den Niederlanden, Brasilien und den USA durchführen. Der Konzern prüft außerdem, ob Schutzausrüstung wie Masken oder Handschuhe den vorgeschriebenen Normen entspricht. Auch Roche mischt in diesem Markt mit. Die Schweizer vertreiben zudem das Medikament Actemra, das bei schweren Covid-19-Verläufen eingesetzt wird.
Hoffen auf die Forschung
Während diese Unternehmen seit Wochen reale Umsatzsteigerungen verzeichnen, handeln Investoren bei Impfstoff- und Medikamentenherstellern vor allem Hoffnung. Normalerweise dauert es um die zehn Jahre, ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. Der Sicherheit wegen lässt sich der Prozess nicht unendlich verkürzen. Bei Covid-19 stehen deshalb Verbindungen im Vordergrund, die entweder für andere Krankheiten bereits zugelassen sind oder in anderen Indikationen schon experimentelle Stadien hinter sich gebracht haben. Letzteres gilt für Remdesivir, ein antivirales Medikament, das der US-Biotechkonzern Gilead ursprünglich gegen Ebola entwickelt hat.
Aus dieser Zeit stammen Daten, wonach Remdesivir im Reagenzglas auch gegen Coronaviren wirkt. Leider ist so eine präklinische Beobachtung kein Garant, dass das Medikament auch beim Menschen funktioniert. Dieser Tage sollen die ersten Studienergebnisse kommen. Das Nachrichtenportal "Statnews" meldet, dass Remdesivir in einer Klinik in Chicago bei etwas über 100 Patienten eine Verbesserung bewirkt habe. Beobachtungen aus China klangen indes weniger optimistisch. Sicherlich würde die Infusion auch bei nicht überragender Wirksamkeit auf breiter Front eingesetzt. Die Preisgestaltung wäre für Gilead eine Gratwanderung. Der Konzern hört jetzt schon Vorwürfe, aus der Krise Profit schlagen zu wollen. Länder wie China oder Indien könnten drohen, Remdesivir unter Missachtung des Patentschutzes selbst herzustellen, sollte ihnen der Preis von Gilead zu hoch sein.
Kaum noch Hoffnungen setzen Experten auf das Malaria-Medikament Chloroquin. Während es aus epidemiologischer Sicht sehr erfreulich wäre, wenn die weithin verfügbaren und billigen Chloroquin-Tabletten Covid-19 bekämpfen könnten, bergen sie für Investoren wenig Potenzial, weil der Patentschutz bereits abgelaufen ist.
Weiter weg von einer potenziellen Zulassung sind die Antikörper-Medikamente, die unter anderem Regeneron und Vir entwickeln. Daraus könnte eine schlagkräftige Waffe werden, doch erste Versuche an Patienten wird es frühestens im Juni geben. Verfügbar wären die Mittel wohl bestenfalls Ende des Jahres.
Ähnlich lange wird die Welt wohl auf einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 warten müssen. Moderna oder die Mainzer Biontech liegen hier mit ihren RNA-Impfstoffen vorn. Bei ihnen wird nur die "Bauanleitung" für ein Virusteil injiziert, der Körper stellt das Molekül dann selbst her und entwickelt eine Immunantwort darauf. Das wurde noch nie zuvor gemacht, hätte aber produktionstechnisch Vorteile. Traditionelle Impfstoffe sind in der Herstellung aufwendiger und eher eine Stärke großer Konzerne. Auch hier sind Firmen mit moralischen Fallstricken konfrontiert. Paul Stoffels, Forschungschef des US-Pharmariesen Johnson & Johnson, erklärte vor Kurzem, dass der Konzern im Erfolgsfall eine Milliarde Impfstoffdosen zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen würde.
Solche Faktoren sind es, die Gesundheitsfondsmanager stur an ihrer bestehenden Investmentstrategie festhalten lassen. Keiner der erfahrenen Investoren, mit denen die Redaktion in den vergangenen Wochen gesprochen hat, baut sein Portfolio zugunsten von Corona-Gewinnern um. "Das Coronavirus ist primär kein Investment Case", stellen etwa die Manager der Schweizer Beteiligungsgesellschaft BB Biotech klar. Firmen wie Gilead und Regeneron, Vir oder Moderna halten viele Fonds aber ohnehin schon lange - weil sie von deren langfristigen Chancen überzeugt sind.
Ganz gleich, wie der Kampf ausgeht, das Virus verbessert die Reputation der Branche und steigert das Bewusstsein für ihre Wichtigkeit. Experten erwarten für die nächsten Jahre steigende Investitionen in das Gesundheitssystem aufgrund der Pandemie. "Abgesehen von den Menschenleben, die dadurch gerettet werden können - entsprechende Kapazitäten aufzubauen und dauerhaft vorzuhalten, kostet wenig im Vergleich zu den Belastungen, die jetzt durch das Herunterfahren der Wirtschaft entstehen", sagt Fondsmanager Bischof.
Investor-Info
Roche
Krisensichere Schweizer
Die großen Pharmakonzerne sind eine sichere Bank. Sie glänzen mit stetigem Wachstum und verlässlichen Dividenden. Statt der Schweizer Roche können sich Anleger auch die Titel von Novartis, Pfizer, Astrazeneca oder Sanofi ins Depot legen. Roche hat als Besonderheit das zusätzliche Standbein Diagnostik (unter anderem mit Corona-Tests), wo der Konzern ebenso wie bei Medikamenten zu den Weltmarktführern gehört. Aktuell nur außerbörslich oder in der Schweiz handelbar.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 385,00 Euro
Stoppkurs: 260,00 Euro
Compugroup Medical
Digitales aus Deutschland
Compugroup hat mir der digitalen Gesundheitskarte und der dazugehörigen Infrastruktur auf Jahre hinaus sichere Einnahmequellen. Die Corona-Krise sollte dem Unternehmen zusätzliche Kunden für telemedizinische Anwendungen einbringen.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 75,00 Euro
Stoppkurs: 47,00 Euro
Corona-Gewinner
Gute Gewinnaussichten
Die Aktien der in der Tabelle genannten Unternehmen werden an der Börse bereits als klare Profiteure der Corona-Krise gehandelt. Der Erfolg dieser Firmen ist jedoch noch mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden. Deshalb müssen Anleger bis auf Weiteres auch mit starken Kursschwankungen bei diesen Titeln rechnen. Spekulativ.
Unternehmen ISIN
Biomerieux FR 001 328 028 6
Biontech US 090 75V 102 6
Drägerwerk DE 000 555 063 6
Eurofins FR 000 003 825 9
Getinge SE 000 020 262 4
Gilead US 375 558 103 6
Moderna US 607 70K 107 9
Regeneron US 758 86F 107 5
Shop Apotheke NL 001 204 474 7
Vir US 927 64N 102 8
Quelle: Bloomberg
BB Adam. Asia Pac. Healthcare
Asien als Vorreiter
China ist dem Rest der Welt in der Corona-Pandemie um einige Wochen voraus. Wie das Land mit digitalen Lösungen für Arztbesuche und Medikamentenversorgung durch die Krise kam, ist beispielhaft - und beschert Anbietern wie Ping An Healthcare oder Alibaba enormen Zuwachs. Beide Titel gehören zu den Top-Positionen im Fonds, der außerdem verschiedene, vor allem japanische Pharmakonzerne enthält. Spannende, zukunftsträchtige Mischung für risikofreudige Anleger.
Candriam Eq. Biotechnology
Best of Biotech
Der mehrfach ausgezeichnete Biotech-Fonds setzt auf Medikamentenhersteller mit Potenzial. Größte Position im Fonds ist aktuell Vertex Pharmaceuticals. Die amerikanische Firma hat quasi das Monopol auf innovative Mittel zur Behandlung von Cystischer Fibrose. Mit Gilead und Regeneron hält Manager Rudi Van den Eynde auch zwei potenzielle Corona-Profiteure, weil er die Firmen ohnehin schon seit Langem für gut positioniert hält. Basisinvestment im Biotech-Bereich.
Nova Steady Healthcare
Stetig und schwankungsarm
Andreas Bischof und Oliver Kämmerer suchen für Anleger nach den Aktien, mit denen sie vom stetigen Wachstum des Gesundheitssektors profitieren können, die sie aber trotzdem ruhig schlafen lassen. Biotech-Werte sind tabu, in Pharmakonzerne investieren sie kaum. Stattdessen setzen die Manager auf Unternehmen wie Eurofins oder Compugroup, Equipment-Hersteller, Software- und Serviceanbieter oder Unternehmen aus dem Krankenversicherungsbereich. Die FondsNote 1 beweist: Die Strategie geht auf.