Zusehends gerät die gute alte Welt aus der Bahn. Im Besonderen fällt die ausufernde Verschuldung nahezu aller Staaten auf. Allein die USA haben einen Schuldenberg von über 26 Billionen Dollar angehäuft. Doch die Risiken werden nicht allein durch die Schulden genährt. Eine kleine, bei Weitem nicht vollständige Aufstellung der Faktoren, die sich negativ auf die USD-Anleihe- und Aktienmärkte auswirken könnten: Die USA weisen ein extremes Außenhandelsbilanzdefizit auf, allein im August 97,7 Milliarden Dollar. Gleichzeitig explodieren die Rohstoff- und Energiepreise, die erhoffte Entlastung durch Fracking blieb aus. Im Gegenteil: Die US-Fracking-Industrie liegt am Boden und ist nahezu pleite. Die galoppierende Inflation wird die US-Notenbank spätestens im Frühjahr 2022 zwingen, sich von der Politik des billigen Geldes zu verabschieden und die Zinsen zu erhöhen.

In Deutschland liegt die Inflation bei 4,9 Prozent, ein 29-Jahres-Hoch. Gefühlt allerdings bewegt sich die Teuerungsrate eher im Bereich von 20 Prozent. Allein beim Dieselpreis an der Tankstelle war seit Jahresanfang ein Anstieg von 99 Cent auf 1,57 Euro je Liter zu beobachten. Das bedeutet: Kaufkraftschwund, weniger Konsumausgaben, keine Wiederbelebung der Wirtschaft im nächsten Jahr. Der vielbeachtete Ifo-Geschäftsklimaindex war im Oktober bereits zum vierten Mal in Folge rückläufig. Auch andere Indikatoren und Konjunkturprognosen werden laufend nach unten korrigiert. Hinzu kommt ein extremer Kapitalbedarf aller Staaten - unter anderem wegen der Notwendigkeit, den Ausstoß von Kohlendioxid drastisch zu senken. Allein in Deutschland belaufen sich die Klimaschutzausgaben auf 50 Milliarden Euro pro Jahr. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs angesichts einer Neuverschuldung von 850 Milliarden Euro in der EU. Die Maastricht-Kriterien, die dem Euro einst Stabilität verleihen sollten, interessieren schon lange nicht mehr. Die weltweit extreme Erhöhung der Geldmenge in den vergangenen Jahren wurde von der Politik toleriert, wenn nicht gar unterstützt.

Zu allem Überfluss kämpft auch China als weltweit größter Gläubiger von US-Staatsanleihen mit rückläufigen Wirtschaftsdaten und hat selbst enormen Kapitalbedarf. Die exorbitante Bewertung des chinesischen Immobilienmarkts und die Schieflage von Evergrande sowie zwei weiteren Immobilienentwicklern sind nicht von der Hand zu weisende Alarmzeichen. Die Unbedarftheit der Vergangenheit wird sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in die Zukunft transferieren lassen. Die Zeiten, als eine jährliche Aktienperformance von 20 bis 30 Prozent als alltäglich empfunden wurde, neigt sich unweigerlich dem Ende zu. Auch in diesen verwöhnten Segmenten wird die Normalität wieder Einzug halten. Dieser Aspekt sollte im Bewusstsein verankert sein, andernfalls kann das Erwachen äußerst schmerzhaft verlaufen. Die makroökonomischen und ökologischen Veränderungen sowie die tiefgreifenden Verwerfungen einzelner Branchen lassen die aktuellen Bewertungen äußerst ambitioniert erscheinen. Die ersten warnenden Stimmen aus berufenem Munde sind nicht zu überhören und weisen auf eine eher dramatische Entwicklung hin. Unserer Einschätzung nach stehen wir vor einem sehr stürmischen Jahr 2022.

Was bedeutet das für die Anleihemärkte? Der Renditeanstieg der marktführenden 30-jährigen US-Staatsanleihen im zurückliegenden Halbjahr von 1,62 auf 2,15 Prozent dürfte sich fortsetzen. Unsere Experten rechnen mit einem Renditeanstieg auf 2,75 Prozent in den nächsten sechs Monaten, was auch alle anderen Anleihemärkte mitziehen wird. Für Anleger hat das aber auch eine gute Seite: Es gibt endlich wieder - wenn auch bescheidene - Zinsen auf bonitätsstarke Anleihen. Und auch hohe Renditen sind keineswegs passé: Mit gezielten und gut getimten Short-Kontrakten auf die gängigen Rentenindizes etwa werden weiterhin zwei- oder auch dreistellige Gewinne möglich sein.

 


Heinz Kober

verantwortet die Internetseite Zinshandel.de. Sein Team zeigt Wege auf, mit denen Anleger von den steigenden (volatilen) Renditen der internationalen Anleihemärkte überproportional profitieren und ihr Vermögen gegen die drohende Inflation absichern können. Kober ist seit mehr als 30 Jahren als Wertpapierhändler aktiv. Er ist registrierter Broker an der New York Stock Exchange und an der Chicago Mercantile Exchange. In der Vergangenheit war er als Geschäftsführer von führenden deutschen Brokerhäusern tätig.


Exklusiv in BÖRSE ONLINE schreiben renommierte Finanzexperten und Investmentprofis über Börse und Geldanlage. Weitere Gastkommentare finden Sie unter: www.boerse-online.de/meinungen-und-perspektiven