Schon früh in seiner Karriere hatte Helmut Horten von der "Arisierungspolitik" der Nazis profitiert. Das änderte nichts daran, dass Horten nach dem Zweiten Weltkrieg, als seine Zeit als Kaufhauskönig beendet schien, mit Wagemut, einem sicheren Instinkt für große Deals, aber auch mit Glück und dank der Hilfe reicher Gönner erneut eine spektakuläre Karriere als Unternehmer hinlegte. Ende der 60er-Jahre ließ er sich im Tessin nieder und verkaufte nach und nach seine Kaufhausgruppe, die viertgrößte der Republik. Er war aber auch "ein Kaufmann mit sehr flexiblem moralischen Kompass", schrieb das "Manager Magazin". Dank einer Gesetzeslücke musste der Milliardär den Erlös nicht in Deutschland versteuern, was ihm den Ruf eines Steuerflüchtlings einbrachte.
Horten, 1909 in Bonn geboren, entschied bereits als Primaner, nach dem Abitur eine Lehre als Warenhauskaufmann zu machen. Zum Entsetzen seines Vaters, Senatspräsident beim Kölner Oberlandesgericht, der gehofft hatte, dass sein Sohn der Familientradition folgen und Jura studieren würde. Horten volontierte erst bei der Leonhard Tietz AG in Düsseldorf, arbeitete als Verkäufer, Einkäufer und Abteilungsleiter und wechselte dann zum gediegenen Duisburger Kaufhaus Alsberg. "Als ich nach Duisburg kam, habe ich mir den Gesamtumsatz des Textilhandels angesehen und gesagt: Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht in zehn Jahren zehn Prozent des Gesamtumsatzes selbst machen könnte", erzählte er später. Er brauchte keine zehn Jahre ...
1936 mussten die beiden jüdischen Alsberg-Besitzer in die USA emigrieren und boten ihrem Abteilungsleiter Horten, der damals 27 war, ihr Warenhaus zum Kauf an. Seine Familie, die inzwischen eingesehen hatte, dass ihr Sohn kein vom sozialen Abstieg bedrohter Loser, sondern ein aufstrebender Glücksritter mit großem kaufmännischem Geschick war, steuerte einen Teil der Kaufsumme bei. Der Rest stammte von Wilhelm Reinold, einem Freund der Familie und damals Leiter der Duisburger Commerzbank-Filiale.
Inhaftierung und Wiederaufbau
Horten war nun einziger persönlich haftender Gesellschafter in der in "Helmut Horten KG" umbenannten Firma mit sechs Millionen Reichsmark Jahresumsatz. Er war sehr schnell erfolgreich, überwachte die Verkäufe, eliminierte schlechte Umsatzbringer, führte Marktstudien ein und arrangierte das Sortiment nach den Kaufgewohnheiten seiner Kunden. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gründete er sechs weitere Firmen, zum Teil in Ostpreußen. Dank seiner guten Beziehungen zum Naziregime wurde ihm zusätzlich die Verteilung der kriegsbedingt kontingentierten Waren für die Kauf- und Warenhäuser im gesamten Niederrhein-Bereich übertragen.
Mit der sich abzeichnenden militärischen Niederlage schien auch Hortens phänomenale Karriere als Kaufhauskönig am Ende. Von seinem Warenhaus in Duisburg blieben nach den Bombenangriffen der Alliierten nur noch Ruinen übrig und er musste die Verkäufe in einem nahegelegenen Café fortsetzen. Im August 1946 verhaftete ihn die englische Militärpolizei und lieferte ihn in das Internierungslager Recklinghausen ein. Fast eineinhalb Jahre blieb er in Haft.
1948 kehrte er nach Duisburg zurück. 250 Mitarbeiter waren ihm nach Kriegsende noch geblieben. Mit ihnen machte er sich wieder an die Arbeit, mietete ein paar Hundert Quadratmeter Verkaufsfläche und bot auch Waren an, die er bereits ab 1944 in einem stillgelegten Schacht der August-Thyssen-Hütte in Hamborn gehortet hatte. Die große Stunde des Wiederaufbaus schlug auch für ihn Mitte 1948 mit der Währungsreform und der Einführung der D-Mark. Er zog in Rekordzeit einen sechsstöckigen Geschäftspalast hoch, der pünktlich zum Weihnachtsgeschäft öffnete. Der Meister des Marketings organisierte zudem jedes Jahr Modeschauen und lud dafür jeweils rund 20 000 Kundinnen ein.
1952 bot sich ihm die Chance, in den elitären Kreis der ganz Großen im Warenhausgeschäft vorzustoßen. Der jüdische Unternehmer Salman Schocken, der vor dem Krieg in Deutschland eine der erfolgreichsten Warenhausketten betrieb, hatte 1938 in die USA auswandern müssen. Ein Bankenkonsortium übernahm seine elf Häuser unter dem neuen Namen "Merkur AG". Schocken kehrte nach dem Krieg zurück und meldete Wiedergutmachungsansprüche an, 51 Prozent der Aktien wurden ihm 1949 zurückgegeben. Als der 75-jährige Schocken diese deutschen Interessenten zum Kauf anbot, schlug Horten zu und übernahm die Aktienmehrheit.
Sein zweiter großer Schachzug gelang ihm zwei Jahre später, als er die Kaufhauskette "Deutsches Familienkaufhaus" (Defaka) übernahm. Sie gehörte Jakob Michael, dem wohl genialsten Spekulanten der Zeit zwischen den Weltkriegen, der als "Inflationskönig" ein riesiges Vermögen gemacht hatte. Nach dem Krieg bot Michael unter der Hand deutschen Geschäftsleuten sein Defaka-Aktienpaket an. Horten schlug erneut zu.
Rückzug und Gesetzeslücken
Schon Ende der 60er-Jahre hatte Horten begonnen, sich aus seinem Konzern zurückzuziehen und erwies sich dabei einmal mehr als exzellenter Stratege. Erst wandelte er sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, bewilligte sich vorher noch eine Dividende von 18 Prozent und einen Bonus von zwölf Prozent - zusammen rund 75 Millionen Mark. Drei Monate später verlegte er seinen Wohnsitz in die Schweiz, in das Tessiner Dorf Madonna del Piano hoch über dem Luganer See. Im Sommer 1969 trennte er sich von 25 Prozent seines Warenhausbesitzes, dann, fünf Monate später, von weiteren 50 Prozent. Horten transferierte das Geld in die Schweiz und musste es dank einer Gesetzeslücke nicht in der Bundesrepublik versteuern, sondern im steuerlich milden Schweizer Kanton Tessin.
Der Milliardär hat nie verwunden, wie seine Landsleute, die Presse und die Politiker damals über ihn herfielen. Einen Steuerflüchtling nannten sie ihn, obwohl der Deal eigentlich ganz legal war.
Zusammen mit seiner zweiten Frau Heidi, die er in einer Hotelbar in Velden am Wörthersee kennengelernt hatte, genoss der kinderlose Milliardär sein weiteres Leben. Für drei Millionen Mark ließ Horten am Wörthersee seine letzte Ruhestätte errichten - eine Kapelle mit einer unterirdischen Gruft. Er starb 1987 in seiner Schweizer Wahlheimat. peb