Pflanzen-Burger statt Weihnachtsgans, Pilz-Steak statt Fonduefleisch: 13 Millionen Tonnen sogenannter "alternativer Proteine" wurden zuletzt weltweit konsumiert. Nachhaltiger und gesünder leben ist, vor allem in Industrieländern, nicht mehr nur ein guter Vorsatz, sondern eine Lebenseinstellung. Das Arbeiten im Homeoffice hat den Trend zu neuen Fleisch- und Milchersatzprodukten noch einmal beschleunigt.

Zwar entspricht die Menge immer noch nur zwei Prozent des globalen Marktes für tierische Proteine. Doch einer Analyse der Unternehmensberatung BCG zusammen mit der Investmentgesellschaft Blue Horizon zufolge könnte der Anteil der neuen, pflanzen- oder zellbasierten Produkte in den kommenden 13 Jahren schon auf elf Prozent steigen. Dabei ist das nur das Basis-Szenario. Bei höheren Investitionen in die Entwicklung geschmacklich und preislich überzeugender Innovationen, die für eine schnellere Marktdurchdringung sorgen, wären demnach auch 16 Prozent möglich. Den Turbo würde der Wegfall von Subventionen und die Einführung der CO2-Bepreisung im Lebensmittelsektor zünden: Dadurch dürfte der Anteil alternativer Proteine bis 2035 sogar auf 22 Prozent steigen.

"Innovation und Lebensmittel, das waren früher zwei Pole, die sich nie berührt haben", sagt Volker Heinz, Leiter des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück. "Das hat sich grundlegend geändert." Bereits das Basis-Szenario von BCG und Blue Horizon entspricht einem Marktvolumen von 290 Milliarden Dollar, zum Vergleich: Das ist so viel wie das Bruttoinlandsprodukt von Finnland 2020. Einzelne Segmente verzeichnen hohe zweistellige Wachstumsraten. Die Chance auf überdurchschnittliche Gewinne lockt viele Investoren an.

Verteilungskämpfe beginnen

Während Anleger die nächste Beyond Meat suchen, entgeht ihnen jedoch der - bis auf Weiteres - weitaus größere Markt: Zulieferer und Technologie-Provider entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bereits heute sind enorme Investitionen nötig, um die zukünftige Nachfrage decken zu können. Hier beginnen jetzt Verteilungskämpfe, die entscheiden, wer morgen Marktführer ist. "Die Rohstofffrage ist eminent, es fehlen die Eiweißquellen", sagt DIL-Chef Heinz. Schließlich sind Massenagrargüter wie Soja, Mais und Weizen nicht frei verfügbar, sie werden für andere Nahrungsmittel, vor allem aber als Tierfutter benötigt.

Dazu kommt: Die Hersteller von Nahrungsmitteln aus alternativen Proteinen arbeiten in aller Regel nicht mit den ursprünglichen Getreiden, Ölsaaten oder Hülsenfrüchten, sondern extrem prozessierten Vorprodukten. Die Feldfrüchte werden gepresst und ihre Proteine extrahiert, filtriert und konzentriert, bis ein Pulver mit extrem hohem Eiweißgehalt herauskommt. "Diese Prozesse sind etabliert für die Futterherstellung aus Soja und Weizen, aber nicht für andere Pflanzen wie Lupinen oder Bohnen, die für die Alternative-Protein-Branche potenziell attraktiv sind", sagt Zak Weston, Supply Chain Manager der Non-Profit-Organisation Good Food Institute. "Es gibt eine hohe Eintrittsbarriere für neue Rohstoffe, weil solche Anlagen Hunderte Millionen von Dollar kosten. Die Verarbeitungskapazität für alternative Proteine auf industriellen Maßstab hochzufahren, das ist aktuell die große Herausforderung."

Wer gut positioniert ist

Wer sich hier jetzt positioniert, hat gute Chancen, vom Pflanzen-Fleischersatztrend zu profitieren. Am Start sind vor allem internationale Inhaltsstoff-Konzerne wie Ingredion oder Kerry, aber auch Agrarriesen wie Archer Daniels Midland. Saatguthersteller springen mit Neuentwicklungen, die sich besser für die Zwecke der Alternativprotein-Entwickler eignen, auf den Zug auf: Etwa die US-Firma Benson Hill, mit deren extrem proteinreichen Sojabohnen sich angeblich ein Teil der energieintensiven Weiterverarbeitung zu Proteinpulver einsparen lässt.

Die Inhaltsstoffbranche sorgt auch für Aromen, Farbstoffe und Textur-Additive, Zusätze, von denen bei der Herstellung von pflanzenbasiertem Fleischersatz eher mehr als weniger benötigt werden. Konzerne, die Maschinen wie Extruder herstellen, mit denen heute die meisten der innovativen Veggie-Produkte produziert werden, dürften sich in den kommenden Jahren ebenfalls über steigende Nachfrage freuen. Hier zählen deutsche Unternehmen zu den Marktführern, allerdings sind sie mehrheitlich nicht börsennotiert. Elf bis 28 Milliarden Dollar müssten laut BCG-Report allein in Extruder-Kapazität aufgebaut werden, um die erwartete Nachfrage zu decken.

Auch der große Life-Sciences-Konzern Thermo Fisher stellt Extruder her. Noch spürbarer dürfte jedoch ein anderer Geschäftsbereich der Amerikaner vom Trend zu alternativen Proteinen profitieren: die biotechnologische Produktion, vom Bioreaktor über Medien und Wachstumsfaktoren bis hin zur Bioprozesstechnik. All das ist Grundlage der Herstellung von sogenanntem Cultured Meat, dem im Labor hergestellten Fleisch aus tierischen Zellen.

Bioprozesstechnik gefragt

Diese Art von Equipment und Verbrauchsmaterialien wird aber auch für die Proteinherstellung mit Mikroorganismen benötigt. Hier geht es darum, bestimmte Proteine von Hefen oder Bakterien produzieren zu lassen, die Eiweißbausteine dann zu isolieren und wie beim natürlichen Vorbild zusammenzusetzen. So macht es beispielsweise das Berliner Start-up Formo mit Milchproteinen, die die Firma dann zu Käse weiterverarbeitet. Im September stellte Formo mit 50 Millionen Dollar einen Finanzierungsrekord für europäische Foodtech- Unternehmen auf.

Die Produktionsweise, wenngleich sie ebenfalls Herausforderungen bereithält, ist unkomplizierter und preiswerter als beim Laborfleisch, das aus einzelnen Rind-, Huhn oder Fischzellen wachsen soll. Solche tierischen Zellen gelten als wesentlich anspruchsvoller als Bakterien und Hefen, das Wachstumsmedium ist darum der größte Kostenfaktor.

30 bis 100 Milliarden Dollar müssen laut BCG und Blue Horizon in den kommenden Jahren in Bioreaktorkapazität investiert werden - kein Wunder, dass Bioprozess- und Ausrüstungsspezialisten wie die Darmstädter Merck sich längst mit dem Thema Cultured Meat und Proteinproduktion durch Mikroorganismen befassen. In Zukunft sollen Nährmedien teilweise recycelt und einzelne Bestandteile günstiger hergestellt werden.

Dabei könnte der naturgetreue Nachbau von Fleisch und Fisch nur der Anfang einer weit darüber hinausgehenden Entwicklung sein. "Was wir bisher gemacht haben, war, Tiere zu zerlegen, um sie zu verzehren", erklärt Zak Weston die Zukunftsvision der Foodtech-Branche. "Stattdessen setzen wir sie jetzt aus einzelnen Bausteinen neu zusammen. Dadurch gibt es weniger Limitierungen, wir können diese Zusammensetzung also auch ändern." Das Fleisch der Zukunft kommt daher vielleicht nicht nur aus dem Bioreaktor, es ist wahrscheinlich auch gesünder als das Original. Und womöglich schmeckt es sogar besser.
 


INVESTOR-INFO

Preisentwicklung

Noch teurer

Drei Faktoren sind entscheidend für den Erfolg von alternativen Proteinprodukten: Sie müssen vom Geschmack, der Textur und dem Preis her vergleichbar mit dem Original sein. Bei pflanzenbasierten Produkten könnte die Preisparität 2023, bei Proteinen aus Mikroorganismen 2025 und bei Fleisch aus tierischen Zellen 2032 erreicht werden.

Vegetarische Produkte

Rohstoff- und Techlieferanten

Archer Daniels Midland und Ingredion liefern Rohstoffe und Zusätze für die Herstellung innovativer Proteinprodukte. Beide haben sich mit Zukäufen in diesem Bereich verstärkt. Die Gastro-Schließungen haben die Bilanzen zuletzt geschmälert - eine gute Einstiegsgelegenheit. Saatguthersteller Benson Hill ist erst im Herbst 2021 per SPAC an die Börse gegangen. Die Firma schreibt noch Verluste, entsprechend spekulativ ist ein Investment.

Name ISIN Marktkap.*
ADM (ADM) US0394831020 33,5
Benson Hill US0824901039 1,1
Ingredion US4571871023 5,7
*in Milliarden Euro; Stand: 05.01.22; Quelle: boerse-online.de

Kulturfleisch/Mikroorganism.

Bioreaktoren und Materialien

Zellen in Bioreaktoren vermehren und Proteine isolieren, das war bisher die Domäne von Pharma- und Biotechnologie. Mit der Nahrungsmittelbranche könnte ein riesiges neues Geschäftsfeld für die Bioprozess-Spezialisten entstehen. Der Evonik-Aktie hängt ihr Chemie-Image an, sie ist deshalb sehr günstig. Merck und Thermo Fisher sind zwar deutlich höher bewertet, zählen aber zu den Basisinvestments im Life-Sciences-Sektor.

Name ISIN Marktkap.*
Evonik DE000EVNK013 13,3
Merck KgaA DE0006599905 98,7
Thermo Fisher US8835561023 232,7
*in Milliarden Euro; Stand: 05.01.22; Quelle: boerse-online.de