Von Vorfreude auf eine Jahresendrally ist an den Börsen zurzeit wenig zu spüren. Stattdessen drückt die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen eines neuerlichen Lockdowns, der die zweite Welle der Corona-Infektionen eindämmen soll, wieder auf die Aktienkurse.
Allerdings liefern die wirtschaftlichen Fundamentaldaten keine Indizien für einen erneuten Konjunktureinbruch wie im Frühjahr. Gerade bei Unternehmen aus dem Technologiesektor und der Konsumbranche, die die Markterholung seit dem Frühjahr getragen haben, zieht die Nachfrage weiter an. Zudem haben sich die positiven Gewinnrevisionen von Unternehmen in den zyklischen und exportorientierten Industriezweigen erhöht.
Die Börsen sind das Spiegelbild dieser Entwicklung: Der von Technologie- und Konsumgüterfirmen dominierte S & P 500 liegt aktuell knapp über dem Niveau vom Jahresanfang. Dagegen hat der mit Vertretern der "Old Economy" gespickte EuroStoxx 50 mehr als 20 Prozent an Wert eingebüßt. Deutlich besser schneiden ausgewählte europäische MSCI-Branchenindizes ab (siehe Grafik rechts oben). Zwischen September und Oktober ging es hier mit den zyklischen Konsumgütern und der Industrie um 5,2 beziehungsweise 4,8 Prozent nach oben. Übers Gesamtjahr gesehen, hat aber der Technologiesektor auch in Europa am besten abgeschnitten.
Profiteure der Corona-Krise
Im aktuellen Marktumfeld empfiehlt es sich, auf Branchen zu setzen, die bereits den Lockdown im Frühjahr gut verkraftet haben und die wegen des Weihnachtsgeschäfts vor einem starken Schlussquartal stehen. Für Florian Bohnet, Leiter Research und Portfoliomanagement bei DJE Kapital, könnte die Lockdown-Atmosphäre bis Ende 2021 die Nachfrage in bestimmten Bereichen weiter beschleunigen: "Ich halte es für denkbar, dass das Weihnachtsgeschäft für einzelne Konsumbereiche besser als erwartet ausfällt, weil die Menschen statt für Urlaubsreisen das Geld für Geschenke ausgeben. Dazu gehören Elektronikartikel, Spielekonsolen, Handys sowie Luxus- und Markenartikel - vorausgesetzt, die zweite Corona-Welle bleibt unter Kontrolle."
Luxusgüterkonzerne zählen zu den Nutznießern. Vor allem Branchengrößen wie LVMH oder Kering wachsen wieder deutlich bei Umsatz und Gewinn, insbesondere in Asien, wo die Konjunktur bereits auf die Wachstumsspur zurückgefunden hat. Aber auch in Europa und den USA gönnt man sich jetzt etwas öfter Schönes für zu Hause, vorausgesetzt, das nötige Geld ist vorhanden - denn in diesem ersten Corona-Winter bleiben die Reisemöglichkeiten eingeschränkt.
Gut läuft es bei den Basiskonsumgütern. "Unternehmen mit einem breit diversifizierten Produktsortiment für den Alltagskonsum sind mit organischen Wachstumsraten zwischen drei und sieben Prozent bislang sehr gut durch die Krise gefahren", sagt Fondsmanager Marcus Poppe von DWS Investment. Als wichtige treibende Kraft habe sich dabei erwiesen, dass staatliche Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Corona-Schecks dafür sorgen, dass sehr viele Privathaushalte weiter Geld für Konsumausgaben haben.
Poppe warnt aber davor, dass sich dieser Corona-Effekt bald abschwächt: "Firmen, deren Geschäft in der Corona-Krise von der Nachfrage nach bestimmten Produkten getrieben wird, werden es 2021 schwer haben, ihr hohes Wachstum weiter zu steigern. Zumal sich mit der Zulassung der ersten Impfstoffe der Fokus der Investoren auf zyklische Sektoren, die sequenziell wieder höhere Wachstumsraten ausweisen, verlagern wird."
Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt Marco Herrmann, Geschäftsführer der Fiduka Vermögensverwaltung. Die im dritten Quartal wieder anziehende Auftragslage bei zyklischen Industriewerten und in der Autobranche war für den Fondsmanager von Nachholeffekten nach dem ersten Lockdown getragen. Über das Jahresende hinaus gelte es, den Blick weiter auf Zykliker zu richten: "Industrie, Infrastruktur, Umwelttechnologien und Anlagenbau sind die Bereiche, die von einer anziehenden Nachfrage und den staatlichen Förderprogrammen in Europa ab dem nächsten Jahr profitieren würden." Die anhaltend lockere Geldpolitik sowie weitere staatliche Konjunkturpakete sollten sich im Verlauf des nächsten Jahres positiv bemerkbar machen.
Aussichtsreich bleiben auch Technologieaktien. DJE-Anlagestratege Bohnet favorisiert Marktführer, vor allem solche mit einem starken Asiengeschäft: "In dieser Region wächst die Wirtschaft, der Markt ist riesig und die Menschen sind sehr technologieaffin. Die Adaption und schnelle Marktdurchdringung von neuen Trends sind sehr stark ausgeprägt." Langfristig hohe Wachstumsraten bei Gewinn und Cashflow aufgrund ihrer skalierbaren Geschäftsmodelle generieren dabei vor allem Onlineplattformen, wie sie Amazon und Alphabet erfolgreich aufgesetzt haben.
Darüber hinaus wird das Universum von digitalisierten Produktionsabläufen und Geschäftsprozessen immer mehr den Alltag bestimmen. Die Corona-Krise hat hier gezeigt, dass Angebote wie kontaktloses Bezahlen, Apps für Videokonferenzen oder Online-Lieferdienste von immer mehr Menschen genutzt werden.
Eine Frage des Potenzials
Nach herkömmlichen Parametern sind die Aktien der meisten dieser Trendsetter bereits hoch bewertet. Um das langfristige Renditepotenzial richtig einzuschätzen, beziehen Fondsmanager wie Christophe Bernard von der Boutique ValuAnalysis neben klassischen Kriterien wie dem KGV diverse weitere Faktoren in ihre Analysen ein, etwa die Höhe des freien reinvestierbaren Cashflows. Entscheidend ist, dass sich der faire Wert eines Unternehmens aus der Summe von bilanzieller Substanz, Gewinnentwicklung und langfristigen Wachstumsperspektiven berechnet. Sieben Titel mit dem richtigen Mix aus Wachstum und Substanz stellen wir auf den folgenden Seiten vor.
Fonds: Hightech und Lifestyle
Aktiv verwaltete Fonds bieten Anlegern die Möglichkeit, am Wachstumspotenzial unterschiedlichster Branchen wie E-Commerce, Konsumelektronik, Luxusgüter, mobiles Bezahlen oder Freizeitsport zu partizipieren.
Drei Fonds mit starken Marken
Bei seiner Titelauswahl setzt der Pictet Premium Brands P fast ausschließlich auf die einzelnen Konsumgütersegmente mit deren global führenden Marken. Ergänzend werden Finanzdienstleister beigemischt. Auf geografischer Ebene sind die USA und Europa nahezu gleich hoch gewichtet, andere globale Regionen sind dagegen nur marginal vertreten. Nike, Apple und L’Oréal sind die größten Positionen im mit rund 30 Unternehmen sehr konzentrierten Fondsportfolio.
Der im Juni 1998 aufgelegte Robeco Global Consumer Trends Equities D zählt nicht nur zu den Pionieren in seinem Segment, auch die langjährige Wertentwicklung kann sich sehen lassen. 19,5 Prozent im Schnitt auf Sicht der letzten drei Jahre sowie mehr als 15 Prozent Rendite auf Fünfjahresbasis sind eine Ansage an die Konkurrenz. Das Portfolio des Fonds ist mit gut 60 Unternehmen breit gestreut. Ebenso weit gefasst ist die Branchenauswahl, die von Luxuskonzernen und Einzelhändlern über Spezialisten für mobiles Bezahlen bis zu Onlineportalen, Streamingdiensten und Sportartikelherstellern reicht.
Relativ neu ist der 2013 aufgelegte BNP Paribas Consumer Innovators Privilege Cap. Unternehmen aus den USA machen circa 70 Prozent des Fondsportfolios aus. Zyklische Konsumgüter stellen rund zwei Drittel der Branchengewichtung. Auffallend bei der geografischen Ausrichtung ist, dass Europa nach den USA, gefolgt von asiatischen Schwellenländern und Japan, am niedrigsten gewichtet ist. Einzelne Kernpositionen wie aktuell Amazon (zehn Prozent) oder die US-Baumarktkette Home Depot (6,7 Prozent) werden schon einmal höhergefahren. Ein Pluspunkt gegenüber den beiden anderen Fonds sind die deutlich niedrigeren Kosten.
Amazon: Digitaler Marktplatz boomt
Der Online-Versandhändler aus Seattle verdient in der Corona-Krise weiter kräftig. Kein Wunder, denn immer mehr Menschen kaufen in der Pandemie lieber im Internet ein als im Laden. Doch auch das Cloud-Geschäft mit IT-Dienstleistungen und Datenspeichern im Internet läuft. Für Amazon zahlt es sich aus, dass praktisch alle Gewinne aus dem laufenden Geschäft in neue Tätigkeitsfelder investiert werden. Im dritten Quartal 2020 schaffte der Konzern ein Umsatzplus von 37 Prozent auf 96,1 Milliarden US-Dollar. Der Konzerngewinn verdreifachte sich auf 6,3 Milliarden US-Dollar. Etliche Investoren hatten allerdings noch etwas mehr erwartet und nahmen Gewinne mit. Für die Aktie, die seit Jahresanfang um rund 70 Prozent zugelegt hat, ist das kein Desaster. Wer einsteigen will, findet jetzt gute Kurse. Beim Blick auf die kontinuierlich steigende Profitabilität relativiert sich das optisch hohe KGV. Amazon wird auf Sicht der nächsten drei Jahre beim Umsatz im Schnitt um 27 Prozent wachsen. Im selben Zeitraum wird sich der Konzerngewinn auf mehr als 43 Milliarden US-Dollar nahezu vervierfachen. Mit dem immensen freien Cashflow von zuletzt 29,5 Milliarden US-Dollar finanziert das Unternehmen kontinuierlich neue Produkte und Eigenmarken.
Cewe Stiftung: Weiter gut belichtet
Dem Fotodienstleister aus dem SDAX kommt sein weitgehend konjunkturunabhängiges Geschäftsmodell zugute. Dass etliche Kunden in diesem Jahr auf Urlaubsreisen verzichteten, wird die Nachfrage nach den populären digitalen Fotobüchern nicht bremsen, denn schließlich werden auch im Jahr der Corona-Krise viele schöne Erinnerungen als Schnappschuss festgehalten. Nach dem soliden ersten Halbjahr, in dem Cewe Stiftung entgegen den Erwartungen einen operativen Gewinn erzielte, rechnet Vorstandschef Christian Friege mit einem "soliden Jahresergebnis". Während das Kerngeschäft Fotofinishing mit seinem Umsatzanteil von 80 Prozent solide läuft, schreibt man beim zweiten Standbein Onlinedruck rote Zahlen. Nach dem jüngsten Kursrutsch ist Cewe mit einem erwarteten zweistelligen Gewinnwachstum günstig bewertet. Für die Aktionäre springt zudem eine ordentliche Dividende heraus. Wir stufen die Cewe-Aktie deshalb wieder als kaufenswert ein.
Deutsche Post: Das Paketgeschäft brummt
Europas größter Logistikkonzern ist ein klarer Profiteur der Corona-Pandemie. Weil in Zeiten der Kontaktbeschränkungen zunehmend online eingekauft wird, erwartet die deutsche Paketbranche im November und Dezember 20 Prozent mehr Paketsendungen als im Vorjahr. DHL Express, die Expressdienstsparte der Deutschen Post, stellt sogar ein sattes Plus von 50 Prozent in Aussicht. Aber auch in den anderen Geschäftsfeldern hellt sich das Marktumfeld auf. Die meisten Branchenexperten gehen davon aus, dass die Frachtmärkte die Talsohle durchschritten haben. Der globale Logistikmarkt befindet sich vor allem dank der anziehenden Nachfrage aus Asien auf Erholungskurs. Gut denkbar, dass die Deutsche Post am 10. November bei der Präsentation ihres Zahlenwerks für das dritte Quartal positiv überrascht. Bereits im zweiten Quartal blieben alle Sparten profitabel, während der freie Cashflow um eine Milliarde Euro auf 650 Millionen Euro in positives Terrain vorstieß. Die Rückstellungen von 234 Millionen Euro für die Einstellung der firmeneigenen Elektroautos lassen sich damit locker verkraften. Langfristig orientierten Anlegern bietet die aktuelle Bewertung gute Einstiegskurse.
Hawesko: Flüssige Bescherung
Beim Weinhändler Hawesko hat sich das Wachstum des Onlinehandels im Zuge der Corona-Pandemie ausgezahlt. Dass die Einzelhandelssparte "Jacques’ Weindepot" ihren Kunden wegen strenger Hygienevorschriften keine Weinverkostungen anbietet, hat die Kauflaune nicht getrübt. Nach einem überraschend starken ersten Halbjahr ist im Schlussquartal mit einem neuen Umsatz- und Ertragsschub zu rechnen, wenn die Kunden im vorweihnachtlichen Lockdown für den Genuss zu Hause ordern. Die Einbußen bei den Kunden aus der Gastronomie werden damit mehr als ausgeglichen. Zugleich forciert die Gesellschaft die Digitalisierung aller Absatzkanäle. In der 2020er-Bilanz muss Hawesko keine Sonderbelastungen mehr verbuchen, wie sie noch im Vorjahr durch den Lagerumzug für Geschäftskunden entstanden. Den Aktionären sollte der steigende Cashflow mit wieder zunehmenden Dividenden zugutekommen. Wir stufen die Aktie auf "Kaufen" hoch.
LVMH: Wieder ein Hingucker
Der weltgrößte Luxusgüterkonzern LVMH hat sich vom drastischen Umsatz- und Gewinneinbruch des ersten Halbjahrs erholt. Im dritten Quartal verbuchten die Franzosen einen Umsatzrückgang von sieben Prozent und übertrafen damit die Markterwartungen. Die Aktie kletterte daraufhin in Reichweite ihres bisherigen Jahreshochs, das sie zum Jahresanfang markiert hatte. Den Ausschlag gab der größte Geschäftsbereich: Die Erlöse mit Mode- und Lederartikeln, die 41 Prozent des Konzernumsatzes stellen, zogen um zwölf Prozent an. Das lässt auf ein starkes Schlussquartal mit dem Weihnachtsgeschäft hoffen. Weil der Tourismus als Einnahmequelle in diesem Jahr weggebrochen ist, werden mehr Kunden im Internet einkaufen - insbesondere in Asien, dem mit 37 Prozent Umsatzanteil größten Regionalmarkt. Bei der Übernahme der US-Juwelierkette Tiffany ist LVMH am Ziel. Nachdem die Franzosen nach Ausbruch der Corona-Pandemie einen Rückzieher gemacht hatten, schlägt der Konzern jetzt zu einem um zehn Prozent niedrigeren Kaufpreis von 15,9 Milliarden US-Dollar zu. 21 Prozent operative Marge wie 2019 - ein Topwert in der Branche - wird LVMH dieses Jahr nicht erreichen, die Aktie ist aber auf gutem Weg zu neuen Höhenflügen.
Paypal: Die Geldmaschine
346 Millionen aktive Kundenkonten und mehr als 26 Millionen aktive Händler verkaufen und zahlen im Netzwerk des Online-Bezahldienstleisters. 300 Millionen US-Dollar steckt Paypal allein im zweiten Halbjahr 2020 in die Entwicklung von neuen Produkten, zum Beispiel eine eigene Kreditkarte für die Cash-Transfer-App Venmo oder eigene QR-Codes für die Paypal-App. Diese Investitionen kann das Unternehmen aus der Portokasse bezahlen. 2,2 Milliarden US-Dollar Free Cashflow generierte Paypal allein im zweiten Quartal 2020. Über ein kürzlich geschlossenes Abkommen mit dem E-Commerce-Unternehmen Mercadolibre hat sich Paypal Zugang zum rasant wachsenden lateinamerikanischen Onlinehandel verschafft. Mit einem eigenen Dienst für Kryptowährungen sollen Nutzer ab 2021 für Artikel mit Bitcoin & Co bezahlen können. Die Analystenschätzungen geben ein klares Bild, wie hoch die Wachstumserwartungen für die Zukunft sind. Für den Zeitraum 2019 bis 2022 berechnen sie ein jährliches Umsatzwachstum von im Schnitt 24 Prozent. Dreimal so steil soll es mit dem operativen Gewinn nach oben gehen. Wächst Paypal in diese Bewertungen hinein, hat die Aktie noch Luft nach oben. Wir erhöhen Ziel- und Stoppkurs.
Sony: Nicht nur für Zocker
Am 19. November wird die neue Playstation 5 auf den Markt kommen. Mindestens 100 Millionen Stück will Sony verkaufen - und an die legendäre PS4 herankommen, die in sieben Jahren weltweit mehr als 114 Millionen Mal über den Ladentisch ging. Die Corona-Pandemie beschert den Herstellern von Spielekonsolen und Videospielen einen neuen Boom. Dementsprechend gut wird das Weihnachtsgeschäft laufen. Sony profitiert aber auch von der Konjunkturerholung in Japan. Mit neuen Produkten wie LED- und OLED-Fernsehgeräten buhlt die Elektroniksparte um Kunden. Im ersten Halbjahr des am 31. März endenden Geschäftsjahres 2020/21 hat Sony den Gewinn auf umgerechnet 5,6 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Die Prognose für das Gesamtjahr hat das Management angehoben. An der Börse kam die Botschaft an: Der Kurs schnellte auf ein Jahreshoch. Aufgrund der stabilen Wachstumsraten bleibt Sony ein Kauf. Wir erhöhen das Kursziel und ziehen den Stoppkurs nach.