Der Regentag am 27. Juli 2009 ist auf Porsches Werksgelände in Zuffenhausen bei Stuttgart unvergessen. Volkswagens Sportwagentochter hatte ihren Kampf um mehr Einfluss in der Zentrale in Wolfsburg verloren. Als Konsequenz daraus wurden die aufmüpfigen Schwaben vollständig in die Strukturen des Konzerns integriert. "Der Mythos Porsche lebt und wird nie untergehen", schwor der damalige Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche die unter Schirmen dicht gedrängte Porsche-Belegschaft ein. In Wolfsburg ist die hochprofitable Tochter ein heißes Thema geblieben. Konzernintern wird mit dem Projekt "Phoenix" seit Längerem Porsches Rückkehr an die Börse geprüft.
Denn bis 2025 will Volkswagen die gewaltige Summe von 159 Milliarden Euro investieren. Nicht nur in sechs Batteriefabriken. Als zweitgrößter deutscher Softwareentwickler nach SAP will der Konzern so seine globale Führung in einer mit alternativen Antrieben, digitaler Vernetzung und autonomem Fahren veränderten Autowelt behaupten.
Für Software und Elektroautos sind 89 Milliarden Euro reserviert. Mercedes investiert 40 Milliarden, Stellantis, General Motors und Ford jeweils rund 30 Milliarden. Die Mittel aus Porsches Börsendebüt (IPO) könnte VW in Wolfsburg also gut gebrauchen.
Porsches Mythos an der Börse
Analysten des US-Börsendienstes Bloomberg schätzen Porsches Börsenwert auf 80 bis 100 Milliarden Euro. Sie prognostizieren eine ähnlich erfolgreiche Börsenstory wie Ferrari. Ohne die Kontrolle über die Sportwagen-Ikone abzugeben, brachte der damalige Konzern Fiat-Chrysler Ferrari am 20. Oktober 2015 an die New Yorker NYSE. Seither haben die Papiere mit dem Kürzel RACE um 560 Prozent zugelegt.
Im Automarkt ist auch Porsche gut in Fahrt. Während der ersten neun Monate wurden 13 Prozent mehr Fahrzeuge ausgeliefert als im Vorjahreszeitraum. Porsches Elektroflitzer Taycan ist sehr gefragt. Bis Ende September rollten 28.640 Stück auf die Straße. 2020 waren es insgesamt 20 015. Die Fertigung läuft nahe an der Kapazitätsgrenze von 40.000 Fahrzeugen jährlich. Die Elektroversion des SUVs Macan soll in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres gegen Teslas Model Y antreten.
Porsche wird viel zugetraut. Mit Taycan und Macan werden die Schwaben Ende 2023 mehr als 30 Prozent ihrer Autos mit E-Antrieb bauen. Auch das für 2024 avisierte Ziel von 40 Prozent Stromer-Anteil werde Porsche übertreffen, schätzen die Experten von Bloomberg.
Die Zuffenhausener sind nicht nur bei Cashflow und Rendite, sondern auch beim Spurwechsel in die Elektromobilität VWs Musterschüler. Der Mythos Porsche ist stark. VW-Lenker Herbert Diess, nun auch Chef der Softwaretochter Caria, will deren Mitarbeiter "von der Konzernbürokratie fernhalten". Bei der Firmenkultur werde "eine gute Mischung zwischen Netflix und Porsche" angestrebt, sagte Diess auf einem Management-Treffen in Alpbach in Österreich.
In Frankfurt wäre Porsches Rückkehr aufs Parkett 2022 der größte und prominenteste IPO für Deutschland und Europa. Die Eigentümerverhältnisse bei VW und in der Porsche Holding sowie Bedenken bei Gewerkschaften und Teilen des Vorstands sind jedoch ein Hindernis. Für dessen Überwindung ist viel diplomatisches Geschick notwendig.
Große Zuversicht für 2022
Die Stimmung fürs Geschäft mit Börsendebütanten im neuen Jahr ist gut: "Die Pipeline für IPOs in Deutschland, aber auch europaweit, ist sehr gut gefüllt", berichtet Joachim von der Goltz, Leiter Equity Capital Markets für Nordeuropa bei der Schweizer Bank Credit Suisse. Trotz der wieder aufflammenden Pandemie seien die makroökonomischen Rahmenbedingungen gut, erklärt der Experte.
Das freundliche Umfeld für 2022 wollen auch die deutschen Autobauer nutzen, um den 2015 von Nokia gemeinsam erworbenen Kartendienst Here an die Börse zu bringen. Bevorzugt wird der indirekte Weg über eine Verschmelzung mit einem sogenannten SPAC, einer börsennotierten Zweckgesellschaft (siehe Glossar unten). Mit BMW, Daimler und VW sind auch die Zulieferer Continental, Bosch und der Chipkonzern Intel an Here beteiligt. Angestrebt wird eine Verdoppelung des 2015 auf 26 Milliarden Euro taxierten Firmenwerts.
SPACs, hierzulande als Börsenmäntel bekannt, sind an der Wall Street schon seit einigen Jahren populär, in Europa erst seit diesem Jahr. Laut Angaben des Marktforschers Dealogic wählten in Europa Debütanten im Gesamtwert von mehr als sieben Milliarden Euro den IPO-Weg über Börsenmäntel. In Deutschland erreichten IPOs via SPAC demnach knapp eine Milliarde Euro Gesamtvolumen. Zum Vergleich: In den USA waren es über 130 Milliarden Euro.
Im klassischen IPO-Markt hierzulande, wo die Experten von Kirchhoff Consult für 2022 mindestens 15 größere Debütanten erwarten, gibt es viel Prominenz. Die Wasserstoffsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp Uhde Chlorine Engineers (UCE), die im zweiten Quartal 2022 aufs Parkett soll, gehört dazu. Der Wert der Konzerntochter wird in Finanzkreisen auf vier bis sechs Milliarden Euro taxiert. Wettbewerber sind die Firmen ITM in Großbritannien und Nel Asa in Norwegen. Die in mehreren Industrien geplante Umstellung von fossilen Brennstoffen auf emissionsfreien Wasserstoff ist für Uhde Chlorines Branche ein Umfeld mit Aussicht auf starkes Wachstum.
Der Münchner Medienriese ProSiebenSat.1 will seine Online-Partnervermittlung ParshipMeet aufs Parkett schicken, der Berliner Axel Springer Verlag sein Online-Stellenportal Stepstone. Der Wert der beiden bekannten IPO-Kandidaten wird auf jeweils sieben Milliarden Euro taxiert.
In den USA könnte die Abspaltung des Messengerdienstes Instagram aus dem Meta-Platforms-Konzern, früher Facebook, für Furore sorgen. Instagrams Wert wird auf über 600 Milliarden Euro geschätzt. Der Wert von Burger Kings Großbritannien-Geschäft, bis zu 700 Millionen Euro, das der Eigentümer der Tochter Bridegepoint Capital an die Börse bringen will, wirkt im Vergleich dagegen bescheiden.
Zu Ende geht währenddessen weltweit ein sehr guten IPO-Jahr, gemessen am Emissionsvolumen. Weniger gut lief es hierzulande dagegen für die Zeichner der IPOs (siehe Tabelle unten). Von den 17 Debüts deutscher Firmen notieren aktuell nur fünf im Plus. Es bleibt die Hoffnung auf Aufwind im nächsten Jahr.
Glossar:
SPACS: Kürzel für Special Purpose Acquisition Companies - Gesellschaften, die über den eigenen Börsengang das Geld für die Übernahme einer nicht börsennotierten Firma einsammeln. Der Verwalter des börsennotierten Mantels und die Geldgeber können mit dem Kauf einer aussichtsreichen Firma hohe Kapitalren- diten erzielen. Via SPAC spart sich der Börsendebütant aufwendige Präsentationen bei potenziellen Zeichnern seines IPOs und hat die Mittel aus dem Topf des SPACs sicher. LiveWire, die Elektromotorradsparte von Harley Davidson, wird zurzeit mit dem amerikanischen SPAC AEA Bridges Impact Corp verschmolzen, um sich Wachstumskapital zu sichern.
INVESTOR-INFO
Auction Technology
Technik für Online-Auktionen
Mit Online-Auktionen revolutioniert die Technologie des britischen Börsenneulings Auction Technology ein traditionelles Gewerbe. Die Briten mit umgerechnet 73 Millionen Euro Umsatz für 2021 betreiben sechs eigene Marktplätze und vernetzen im Auftrag von Auktionshäusern weltweit Teilnehmer an Versteigerungen. Rund 60 Prozent des Umsatzes wird in den USA erlöst, der überwiegende Rest in Großbritannien. Globaler technologischer Trendsetter mit Potenzial.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 19,00 Euro
Stoppkurs: 13,00 Euro
CTEK
Ladetechnikspezialist
Der schwedische Börsendebütant CTEK ist weltweit führend bei 12-Volt-Ladetechniken. Mit dem Kauf des inländischen Konkurrenten Chargestorm im Jahr 2018 bieten die Skandinavier nun auch Ladetechnolgie für Elektro- und Hybridfahrzeuge. Für 2022 werden bei umgerechnet 110 Millionen Euro Erlös gut 14 Millionen Euro Nettogewinn prognostiziert. Das 12-Volt-Geschäft liefert hohe Cashflows. Bis 2025 werden jährliche Erlöszuwächse von 23 Prozent erwartet. Abwarten.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 19,00 Euro
Stoppkurs: 14,00 Euro
SUSE
Linux made in Germany
Das vom finnischen Informatiker Linus Torvalds entwickelte sogenannte Open-Source-Computerbetriebssystem Linux ist der von webbasierten Technologien geprägten neuen Softwarewelt ein weltweit begehrter Standard. Softwareentwickler Suse ist ein Linux-Spezialist. Für 2021 prognostiziert die US-Bank JP Morgan 19 Prozent mehr Umsatz, rund 560 Millionen Euro. Suses Markt wird auf acht Milliarden Dollar geschätzt, mit jährlichen Zuwächsen von 24 Prozent.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 45,00 Euro
Stoppkurs: 27,00 Euro
Synlab
Profiteur der Impfkampagne
Der Münchner Labortechnikspezialist profitiert aktuell vom erhöhten Tempo bei Covid-19-PCR-Tests und Impfungen. Bereits bis Ende September hatte der Börsenneuling so viel verdient wie nie zuvor in der Firmengeschichte. Mit den hohen freien Mittelzuflüssen aus dem Geschäft kann die Verschuldung nun schneller abgebaut werden, zudem stehen auch Mittel für Zukäufe zur Verfügung. Für das laufende Geschäftsjahr erwarten Analysten von JP Morgan 3,4 Milliarden Euro Umsatz, 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Spekulatives Investment.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 28,00 Euro
Stoppkurs: 18,00 Euro
Volvo Cars
Schwedischer E-Auto Pionier
Der eigentlich für robuste und mit Sicherheitstechnik vollgepackte Autos bekannte schwedische Hersteller ist mit seiner Elektroautomarke Polestar auch im neuem Zeitalter der Autobranche erfolgreich. Via SPAC gelang dem Konzern, inzwischen im Besitz des chinesischen Autobauers Geely, ein fulminantes Börsendebüt. Für das bevorstehende Geschäftsjahr erwarten die Analysten von Kepler Chevreux umgerechnet 30,6 Milliarden Euro Umsatz, ein Plus von 16 Prozent.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 8,50 Euro
Stoppkurs: 5,50 Euro
US IPOs als ETF
Börsendebütanten im Paket
Wer bequem von dem anhaltenden IPO-Boom an der Wall Street profitieren will, kauft das ETF von First Trust auf den IPOX 100 US Index. Die Aktien der hundert Debütanten im Index werden an ihrem sechsten Handelstag gekauft und scheiden nach vier Jahren aus dem Index aus. Aktuelle Top-Positionen im Index: Airbnb, Avantor, Cloudflare, Marvell Techn., Crowdstrike, Jacobs Engineering, Keysight Technologies und Uber. Während der vergangenen drei Jahre brachte das ETF rund 85 Prozent Wertzuwachs.