Boerse-online.de: Wie groß ist der Druck auf die US-Notenbank Fed, angesichts der hohen US-Inflationsrate jetzt ein massives Signal zu setzen, dass sie die Inflation wenn nötig auch mit hohen Zinsen bekämpft?

Carsten Mumm: Die im Mai mit 8,6 Prozent unerwartet hoch vermeldete Inflation in den USA war für die internationalen Aktienmärkte ein Schockmoment. Definitiv steigt dadurch der Druck auf die Fed über stärkere Zinserhöhungen gegenzuarbeiten. Die Erwartung lag aber ohnehin schon bei einer Leitzinsanhebung um jeweils 0,50 Prozentpunkte im Juni, Juli und September. Da die Kerninflationsrate ohne die schwankungsanfälligen Komponenten Energie und Nahrungsmittel im Mai im Rahmen der Erwartungen angestiegen und im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht gesunken ist, denke ich nicht, dass schon in dieser Woche ein größerer Zinsschritt um 0,75 Prozentpunkte erfolgt. Sicher aber wird Fed-Chef Powell klar signalisieren, dass man die kommenden inflationsrelevanten Daten genau analysieren und bei Bedarf doch noch stärker gegensteuern wird.

Könnte Sie dabei auch Zinssätze von vier, fünf oder sechs Prozent in Aussicht stellen, um den Märkten ein klares und unmissverständliches Signal zu geben - ähnlich wie der frühere EZB-Chef Mario Draghi mit seiner "Whatever-it-takes"-Ansage im Jahr 2012, den Euro um jeden Preis zu retten?

Das glaube ich noch nicht, denn es wäre vorschnell und dürfte an den Börsen für unerwünschte größere Turbulenzen sorgen. Die wirtschaftlichen Risikofaktoren sind vor allem durch den Ukrainekrieg und die Corona-Situation in China derzeit so bedeutend, dass die Fed auch immer wieder bewerten muss, wie stark die angestrebte konjunkturelle Abkühlung sich tatsächlich einstellt und darauf basierend von Sitzung zu Sitzung weitere Schritte abwägen dürfte.

Was könnte die Fed auf der nächsten Sitzung beschließen?

Ich rechne mit einem weiteren Leitzinsanstieg um 0,50 Prozentpunkte und einer Reduktion der Bilanzsumme im bereits kommunizierten Tempo.

Die Fed steht vor einem Dilemma: Reagiert sie zu schwach, gerät die Inflation außer Kontrolle. Reagiert sie zu stark, würgt sie die Konjunktur ab. Wie kommt sie da raus?

Das Kernproblem ist, dass die Notenbanken den derzeitigen Inflationsschub nur indirekt bekämpfen kann, weil sie ihre Ursache auf der Nachfrageseite haben. Im laufenden Jahr sind es vor allem explodierende Energie- und Rohstoffkosten sowie Nahrungsmittelpreise, deren Ursprung größtenteils in der Eskalation des Ukrainekonfliktes liegt. Hinzu kommen wieder verstärkte Lieferkettenprobleme durch die harten Corona-Restriktionen in China. Beide Faktoren kann die Fed nicht beeinflussen. Sie kann nur über einen restriktiveren geldpolitischen Kurs die Nachfrageseite beeinflussen, indem sie Konsum und Investitionen verteuert. Und sie kann der Etablierung zu hoher Inflationserwartungen und damit das Entstehen einer sich selbst erfüllenden Inflationsspirale entgegenwirken. Die oberste Zielsetzung ist derzeit aber die Inflationsbekämpfung. Im Zweifel dürfte die Fed auch riskieren, die Wirtschaft zu stark abzubremsen.

Wird sie im Extremfall eine Rezession riskieren wie in den 80er Jahren, um die Inflation einzudämmen?

Das Abrutschen in eine Rezession ist im Rahmen des Möglichen. Die Fed versucht sich gerade an einer geldpolitischen Gratwanderung, da kann es leicht zu einer Übersteuerung im Sinne eines zu starken Abbremsens der Wirtschaft kommen. Sollte es eine Rezession geben, dürfte diese aber leicht ausfallen, weil derzeit kaum Überkapazitäten vorhanden sind, die abgebaut werden müssten, bevor es mit der Wirtschaft wieder bergauf geht.

Der DAX hat binnen einer Woche acht Prozent verloren. Besteht die Gefahr, dass er weitere kritische Linien unterschreitet?

Der DAX hat in den letzten Tagen bereits einige wichtige Unterstützungen mit einer sehr hohen Abwärtsdynamik durchbrochen, vor allem die Marke von 14.000 Punkten war eine wichtige Haltemarke. Jetzt rückt die Spanne zwischen 13.300 und 13.400 als mögliche Haltelinie in den Fokus. Da der Pessimismus vieler Marktteilnehmer derzeit allerdings schon sehr hoch ist, dürfte noch oberhalb von 13.000 Punkten ein Stabilisierungsversuch erfolgen.

ehr