Wer im Alter wenig Geld, aber ein Eigenheim hat, kann seine Immobilie verrenten. Worauf Interessenten hierbei unbedingt achten sollten. Von Bernhard Bomke
Gisela Winkelmann ist 76 Jahre alt und tiefenentspannt. Ihr Leben lang hat die Frau, die sich selbst eine Reisetante nennt und ihren echten Namen nicht veröffentlicht sehen will, gearbeitet. Sie leistete sich eine Vier-Zimmer-Wohnung im vornehmen Münchner Stadtteil Bogenhausen und verkaufte diese Anfang 2017 für die Hälfte des Preises, den sie hätte erzielen können. "Ich habe 400 000 Euro bekommen", erzählt sie. Ein Gutachter hatte die 100 Quadratmeter große Wohnung in der vierten Etage auf 800 000 Euro geschätzt. Für Münchner Verhältnisse völlig normal.
"Ich bin glücklich damit", betont die joviale Seniorin am Telefon. Und sie erklärt bereitwillig, warum das so ist. "Ich habe keine Kinder, an die ich die Wohnung vererben könnte, deswegen habe ich das gemacht. Es ist ganz schön, wenn man etwas mehr Geld zum Ausgeben hat." Dass sie nur die Hälfte des Marktpreises ausbezahlt bekommen hat, juckt die Rentnerin nicht. Für sie zählt neben dem Geld, das sie nun zusätzlich zu ihrer Rente zur Verfügung hat, noch etwas anderes: Sie kann bis an ihr Lebensende in ihrer Wohnung bleiben. Das ist die wesentliche Erklärung für den hohen Abschlag auf den Verkehrswert.
Winkelmann ist eine von mittlerweile 250 Personen, die in den vergangenen sechs Jahren über die Gesellschaft für Immobilienverrentung (Degiv), München, ihre Wohnung an einen - meist privaten - Käufer haben vermitteln lassen. Die Degiv tritt also als Makler auf, so wie das auch zum Beispiel das von Otto Kiebler gegründete Unternehmen Hausplusrente tut. Kiebler nimmt für sich in Anspruch, der Erste gewesen zu sein, der die Verrentung von Immobilien auf Nießbrauchbasis angeboten hat.
Das Prinzip ist dabei: Die Verkäufer veräußern ihre Bleibe, sichern sich jedoch ein zumeist lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht. Sie bleiben also in der vertrauten Umgebung wohnen. Dazu wird im Grundbuch ein erstrangiges Nießbrauchrecht eingetragen. Damit bleibt der Verkäufer wirtschaftlicher Eigentümer. Juristisch gehört die Wohnung jedoch dem Erwerber.
Der erste Rang, so erklärt Degiv-Geschäftsführer Özgün Imren, sei deswegen wichtig, weil das Wohn- und Nutzungsrecht in diesem Fall auch dann erhalten bleibe, wenn die Immobilie weiterverkauft werden sollte. "Zudem ist das Nießbrauchrecht dann insolvenzsicher." Das heißt, auch wenn der Käufer finanziell die Grätsche machen sollte: Die Verkäufer kriegt bei diesem Modell keiner raus.
Keine Grundschuld für Käufer. Imren hat nicht nur sein eigenes Geschäft und die Interessen der Verkäufer im Blick, sondern auch die der Käufer. Für sie hat er diesen nicht ganz unwichtigen Hinweis: "Wegen des erstrangigen Nießbrauchrechts der Verkäufer können die Käufer keine Grundschuld eintragen." Die erworbene Immobilie ist also nicht dazu geeignet, sie etwa gegenüber einer Bank als Sicherheit zu bieten. Im Ernstfall hätte das Geldinstitut ja keinen vollumfänglichen Zugriff auf sie.
Für Merten Larisch von der Verbraucherzentrale Bayern ändert auch dieser Malus für Käufer nichts daran, dass diese bei solchen Verrentungen unverhältnismäßig viele Vorteile genössen. Für die Verkäufer seien dagegen alle Verrentungsmodelle für Wohneigentum "wirtschaftlicher Käse" (siehe Interview unten). Das gelte für Verrentungen auf Nießbrauchbasis ebenso wie für klassische Leibrenten und die diversen Formen von Teilkäufen, bei denen Firmen oder Investoren rechnerisch nur maximal die Hälfte einer Wohnung erwerben.
Ein wesentlicher Kritikpunkt Larischs etwa bei den Verrentungsmodellen betrifft das Abzinsen für das lebenslange Nießbrauchrecht. Er spricht von "absurd hohen Lebenserwartungen", die von den Vermittlern angesetzt würden. Bei Gisela Winkelmann wurde zum Beispiel angenommen, zu ihren 72 Lebensjahren bei Vertragsabschluss kämen noch 20 Jahre hinzu, erzählt sie. Die angenommene Lebenserwartung ist entscheidend, wenn der Wert des Nießbrauchs errechnet wird. Basis ist eine gutachterlich ermittelte Monatsmiete. Diese wird mit der Zahl der Monate multipliziert, die der Nießbrauchnehmer voraussichtlich noch zu leben hat. Bei Gisela Winkelmann waren das demnach 240 Monate.
Dabei hat sie wahrscheinlich noch Glück gehabt, denn die Degiv nutzt die Sterbetafeln des Statistischen Bundesamts. Das sind diejenigen mit der kürzesten Lebenserwartung. Dagegen bescheinigen die Sterbetafeln der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), an denen sich etwa private Rentenversicherer orientieren, den Menschen hierzulande in der Regel deutlich mehr noch ausstehende Lebenszeit. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, als ein 60-jähriger Mann laut Statistischem Bundesamt die Aussicht auf weitere 23,7 Jahre hatte: Die DAV-Tafel gab ihm ohne Sicherheitszuschlag noch 27,9 Jahre, mit Sicherheitszuschlag sogar 31,4 Jahre. Das heißt, wird nach DAV-Tafeln abgezinst, geht das bei der Immobilienverrentung zulasten der Verkäufer. Sie bekommen weniger ausbezahlt.
Verkaufen und zurückmieten. An der unterstellten Lebenserwartung kritisiert Larisch nicht nur die Höhe an sich, sondern obendrein das mögliche Kalkül von Investoren, der Nießbrauchnehmer werde schon nicht so lange leben. "Dann erzielen Käufer eine Riesengewinnmarge", schlussfolgert Larisch. Der Altersvorsorgeexperte rät Senioren, die vielleicht nur wenig Rente bekommen, aber in einer eigenen Wohnung wohnen, zu einer Verrentungslösung innerhalb der Familie.
Geht das nicht, weil es zum Beispiel keine Kinder gibt, die Familie zerstritten ist oder ein Eigentümer den zu vererbenden Pflichtteil reduzieren will, empfiehlt der Verbraucherschützer einen klassischen Verkauf. Dann werde der Marktpreis erzielt, ohne sich in Abzinsungs- oder Gebühren-Labyrinthen zu verlieren. Wirtschaftlich sei das am sinnvollsten, auch dann, wenn ein Rentner nicht umziehen will. "Wer in seiner Wohnung bleiben will, mietet sie vom Käufer eben zurück." Damit dabei nichts schiefgeht, rät Larisch dazu, sich zum Beispiel bei einer Verbraucherzentrale oder bei einem Honorarberater unabhängige Expertise einzuholen. "Wer sein Haus verkauft hat, für den sind die Honorarsätze für einen Berater Peanuts."
Eine professionelle Beratung legt der Verbraucherschützer Senioren auch dann dringend ans Herz, wenn sie noch am Anfang ihrer Überlegungen über eine Immobilienverrentung stehen. "Es ist unbedingt zu vermeiden, dass alte und womöglich durch Krankheit eingeschränkte Menschen in die Argumentationsfallen von Anbietern geraten." Larisch lässt keinen Zweifel daran, dass er seine Rolle darin sieht, vor den möglichen Nachteilen bei Verrentungen von Wohnungen und Häusern zu warnen. Das umso mehr, als Leser von Print- und Onlinemedien nahezu täglich auf die Werbung diverser Anbieter stoßen, die schnelles Geld versprechen.
Özgün Imrens Degiv gehört zu denen, die mit viel Reklame um Kunden werben. Das Münchner Unternehmen mit weiteren Niederlassungen in Stuttgart, Düsseldorf und Hamburg, demnächst auch noch in Frankfurt/Main und Dresden, geht von einer weiter steigenden Nachfrage nach Immobilienverrentungen aus. "Der Markt ist groß und wird noch viel größer werden", sagt Imren, der vor der Degiv-Gründung 15 Jahre für den Allianz-Konzern Versicherungen verkauft hat. Für seine Einschätzung spricht die wachsende Zahl von Senioren ebenso wie das Wissen darum, dass auch Wohnungseigentümer oft nur eine schmale Rente haben. Immobilienverrentungen eignen sich laut Imren für Menschen ab 65 Jahren. Davor falle die Höhe der Abzinsungen zu gewaltig aus.
Was Käufer und Verkäufer verbindet. Die Vermittler und Verrenter erklären ihrer Klientel zumeist beflissen, wie sie ihr Betongold versilbern können, um mehr Geld zur Verfügung zu haben. Viel spricht dafür, dass die meisten Senioren dabei nicht auf jeden Euro achten, sondern einfach ihren Immobiliennachlass geregelt haben wollen. Imren sagt es so: "Die Käufer wollen ihre Ruhe haben, die Senioren wollen auch ihre Ruhe haben, deswegen passt es ja so perfekt."
Die Käufer findet Imren in der Regel im Kreis von "etwa 60 bis 70 vermögenden Kunden". "Die haben oft das Problem, ihr Geld anzulegen. Sie wollen keine hohe Rendite, sondern zuallererst keinen Vermögensverlust erleiden." Dazu passten die Verrentungswohnungen, zumal dann, wenn die Käufer sie noch viele Jahre nicht etwa zum Selbstnutzen brauchten. Und: "Sie bekommen Zugang zu Immobilien, die sonst gar nicht auf den Markt kämen."
IMMOBILIENVERRENTUNG
Verkauf und Rückmietung
Diese Variante ist aus der Sicht von Verbraucherschützern wie Merten Larisch (siehe Interview unten) für Senioren, die ihr Betongold versilbern wollen, die sauberste. Der Verkäufer erzielt den Marktpreis ohne irgendwelche Abzinsungen für ein Wohnrecht. Der Käufer vermietet das Haus oder die Wohnung an den bisherigen Eigentümer. Für Letztgenannten empfiehlt es sich, im Kaufvertrag eine Kündigung wegen Eigenbedarfs auszuschließen. Nachteil für den Verkäufer: Er kann Änderungen an der Immobilie, die der neue Eigentümer vornehmen will, nicht verhindern.
Verkauf mit Nießbrauch
Die Immobilie geht an einen Investor (Privatier oder Unternehmen), der juristischer Eigentümer wird. Dieser leistet an den Verkäufer eine Einmalzahlung, die sich aus dem Verkehrswert minus Nießbrauchwert ergibt. Letztgenannter errechnet sich aus der angenommenen Lebenserwartung des Verkäufers und einer gutachterlich ermittelten Miete. Der Verkäufer bleibt für die Dauer des lebenslangen Nießbrauchrechts, das im Grundbuch erstrangig abgesichert wird, wirtschaftlicher Eigentümer. Er kann bis zum Tod in seiner vertrauten Wohnung bleiben.
Leibrente
Der Eigentümer verkauft seine Immobilie an einen Investor. Dieser ist neuer juristischer Eigentümer und zahlt seinem Vorgänger eine lebenslange monatliche Rente. Deren Ertragsanteil ist zu versteuern. Der Verkäufer hat ein bleibendes Wohnrecht. Risiko: Geht der Käufer insolvent, besteht die Gefahr, dass die Rentenzahlungen ausfallen.
Für Vermittler wie Imren sind die Verrentungen ein zusätzliches Geschäftsfeld neben dem Verkauf und der Vermietung von Immobilien. Kommt es zum Abschluss, berechnet die Degiv Käufern und Verkäufern jeweils drei Prozent Maklercourtage (plus Mehrwertsteuer) auf den Bruttokaufpreis (also Auszahlung plus Nießbrauchwert).
Leibrente und Teilkauf. Bei der klassischen Leibrente, wie sie seit 2015 von der Deutschen Leibrenten Grundbesitz angeboten wird, verkaufen Eigentümer ihre Immobilie an ein Unternehmen. Dieses zahlt eine vom Wert des Objekts abhängende monatliche Rente. Auf den sogenannten Ertragsanteil hiervon (zum Beispiel 15 Prozent bei 70-Jährigen) müssen die Bezieher Steuern zahlen, erklärt Friedrich Thiele, Vorstandschef der Deutsche Leibrenten, die etwa 750 Immobilien im Bestand hält. Kritiker solcher Leibrentenmodelle warnen vor den Folgen einer möglichen Insolvenz. Im Zweifelsfall, so bestätigt die Deutsche Leibrenten, müssten die Bezieher ihre Rente dann gerichtlich einklagen.
Die Deutsche Teilkauf bietet eine Nießbrauchvariante à la Degiv an - mit einem entscheidenden Unterschied: Sie kauft höchstens 50 Prozent einer Immobilie. Das von Marian Kirchhoff geführte Unternehmen fungiert als stiller Teilhaber. Die Verkäufer erhalten den ermittelten Wert des veräußerten Immobilienanteils überwiesen und bezahlen im Gegenzug für diesen Teil ihrer Wohnung ein Nutzungsentgelt. Das beträgt laut Kirchhoff 2,9 Prozent der Auszahlungssumme. Ein Beispiel: "Wenn wir 100 000 Euro auszahlen, kostet das den Verkäufer 242 Euro im Monat", rechnet er vor. Seine Argumente pro Teilkauf: Viele Senioren wollten nicht umziehen, sie brauchten etwas mehr Geld, aber nicht gleich den Erlös für einen Komplettverkauf, und sie wollten, so glaubt Kirchhoff, ihre Immobilie am Ende an Angehörige vererben.
Bei dem Modell der Düsseldorfer wird für die Nutzer im Grundbuch das Nießbrauchrecht für die gesamte Immobilie im ersten Rang eingetragen. Mögliche Erben haben ein Erstankaufrecht auf den Anteil der stillen Teilhaber. Will kein Erbe zugreifen, verkauft die Deutsche Teilkauf selbst. Das Unternehmen profitiert also erstens vom Nutzungsentgelt und zweitens von erhofften Wertzuwächsen.
Für Gisela Winkelmann wäre das alles nichts. Für sie war entscheidend, die Zukunft ihrer Eigentumswohnung selbst und umfassend zu regeln - ohne viel Firlefanz. Sie ärgert sich nur über eines: "Ich habe zu früh verkauft. Meine Wohnung wäre heute noch viel mehr wert als vor vier Jahren." Davon hat sie nun nichts. Von möglichen Wertsteigerungen profitiert einzig der Käufer.
Interview Merten Larisch, Altersvorsorge-Experte bei der Verbraucherzentrale Bayern
€uro: Herr Larisch, wem würden Sie dazu raten, die eigene Immobilie zu verrenten?
Merten Larisch: Ich würde niemandem empfehlen, diese Form der Immobilienverwertung zu wählen - schon gar nicht, wenn der Erlös in eine private Rentenversicherung gesteckt wird. Damit machen nur die Versicherungen ein gutes Geschäft. Für die Verkäufer aber ist das alles wirtschaftlicher Käse.
Gilt das für eine Leibrente genauso wie für die Modelle, bei denen sich der Verkäufer gegenüber dem Käufer ein lebenslanges Nießbrauchrecht in seiner Wohnung sichert?
Es gibt in der Tat verschiedene Modelle, aber mir wurde noch keines eines gewerblichen Anbieters vorgelegt, das für die zumeist betagten Eigentümer wirtschaftlich sinnvoll wäre.
Woran liegt das?
Weil etwa bei den Nießbrauchmodellen mit absurd hohen Lebenserwartungen kalkuliert wird. Das führt zu hohen Abschlägen für den langjährigen Nießbrauchwert auf den Verkaufspreis. Das beschert den Verkäufern in der Regel deutliche Verluste ihres Vermögens. Der Käufer, ganz gleich, ob das ein Unternehmen oder eine Privatperson ist, profitiert hingegen davon, günstig an eine Immobilie zu kommen, er hat die Chance auf Wertsteigerungen und ihm winkt eine Riesenmarge, wenn der Verkäufer früher stirbt als kalkuliert.
Was sollten denn Menschen tun, die eine kleine Rente, aber ein großes Haus haben - und dieses Betongold gern verflüssigen würden?
Wer mit seiner Immobilie keinen Verlust, sondern Gewinn machen will, verkauft sie am besten zum vollen Marktpreis. Wer in seiner Wohnung bleiben will, mietet sie vom Erwerber zurück. So ist sichergestellt, dass die Verkäufer von ihrer Immobilie profitieren und nicht nur andere.
Und wohin dann mit dem vielen Geld?
Ich rate zu Festgeld und Aktienmarkt. Also 60 bis 80 Prozent in einlagengesicherte Bankprodukte ohne Minuszinsen und 20 bis 40 Prozent in einen weltweit anlegenden Aktien-ETF-Indexfonds.