Es war eine der radikalsten Veränderungen in der Geschichte der DAX-Familie. Am 24. September hat die Deutsche Börse ihre Indizes umgestellt. Anleger müssen sich nun auf einige Veränderungen einstellen. Seit diesem Tag wird etwa nicht mehr zwischen klassischen Aktien und Techtiteln unterschieden. Unternehmen können in den einzelnen Indizes deswegen auch doppelt notiert sein.
Ein prominentes Beispiel ist der Online-Bezahldienstleister Wirecard. Schon seit Wochen zeichnete sich ab, dass die Bayern den Platz von der Commerzbank im Deutschen Aktienindex ergattern. Ein Fintech-Vorstadtunternehmen ersetzt somit eine 150 Jahre alte Traditionsbank und DAX-Gründungsmitglied. Gleichzeitig behält Wirecard allerdings auch seine Notiz im Tech-DAX. Entscheidend für den Auf- und Abstieg waren der Börsenumsatz und die Marktkapitalisierung.
Mit der Umstellung schafft die Deutsche Börse dadurch mehr Platz für Unternehmen. So wird der MDAX von bislang 50 auf jetzt 60 Unternehmen aufgestockt. Der SDAX beinhaltet künftig 70 Unternehmen. Beim Leitindex DAX bleibt die Anzahl der Titel gleich. Mit der Aufnahme von Wirecard wird der Index allerdings technologiegetriebener.
Überhaupt sind Techfirmen die großen Gewinner der Rochade in den Indizes. Zwar kann man nicht gerade behaupten, dass Deutschland ein Sammelbecken höchst erfolgreicher Hightechfirmen ist. Dennoch gibt es einige Unternehmen, deren Kursentwicklung deutlich besser ist als die traditioneller Konzerne. Der Grund liegt vor allem in höheren Wachstumsraten, vergleichsweise schlanken Strukturen, aber auch in der Gewinnentwicklung oder zumindest der Aussicht darauf. Kurse werden heute nicht wie noch zur Jahrtausendwende lediglich durch Fantasie getrieben. Unternehmen - auch diejenigen, die an die Börse gehen - haben größtenteils etablierte Geschäftsmodelle, die verfeinert, ausgebaut und auf Wachstum getrimmt sind.
Auf Seite 2: Neue Gesichter in MDAX und SDAX
Neue Gesichter in MDAX und SDAX
Zum ersten Mal nimmt die Deutsche Börse auch Techwerte in den MDAX auf. Künftig sind etwa Unternehmen wie United Internet, Siltronic, Software AG oder Freenet im Index zu finden. In den SDAX ziehen Dialog Semiconductor, Cancom und Isra Vision ein. Und auch der TecDAX verändert sich: In ihm vertreten sind künftig die DAX-Unternehmen Deutsche Telekom, der Walldorfer Softwareriese SAP sowie Infineon. Alle drei haben künftig eine Doppelfunktion und notieren in zwei Indizes.
Für Fonds hat das Folgen: Anbieter von ETFs müssen etwa umschichten, wenn sie einen Index exakt abbilden wollen. Zur Umstellung von Freitag, 21. September, auf Montag, 24. September, verkauft etwa der größte Anbieter iShares laut eigenen Angaben für seinen DAX-ETF 7,4 Millionen Aktien der Commerzbank, weil das Unternehmen aus dem DAX fällt. Parallel werden physisch 2,5 Millionen Aktien der Bank für die Aufnahme in den MDAX dazugekauft. Hin- und hergetauscht werden dürfen die Anteilscheine nicht, da der Fonds voll replizierend ist, die Aktien der Frankfurter Bank deswegen tatsächlich gekauft und verkauft werden müssen.
Auch Anleger sollten genau hinschauen. Vor allem auf den TecDAX wirkt sich die Umstellung aus. Bereits jetzt ist das Klumpenrisiko für Anleger, die über einen ETF auf den Technologieindex setzen, groß. Beim Anbieter iShares macht die größte Position Wirecard aktuell etwas mehr als zehn Prozent aus. Auch Qiagen und Siemens Healthineers kommen knapp auf diesen Prozentsatz. Zählt man die drei Schwergewichte, die aus dem DAX in den TecDAX rücken, dazu, machen allein sechs Werte rund 60 Prozent des Gewichts aus. Verliert ein Titel deutlich an Wert, wirkt sich das negativ auf die Performance des Index aus. Anleger riskieren somit eine höhere Volatilität. Allerdings sorgten Werte wie der DAX-Neuling Wirecard mit seinem Gewicht dafür, dass der TecDAX in den vergangenen zwölf Monaten deutlich besser lief als der DAX.
Auswirkungen hat die Umstellung auch auf unsere Datenbank. Ab der kommenden Woche passen wir diese an. Wie in unserer Grafik (links) finden Sie dort dann sämtliche Veränderungen in den einzelnen Indizes. Die TecDAX-Werte werden farblich markiert und auf die einzelnen Indizes verteilt sein.
Indizes auf einen Blick - Aus 130 mach 160: Mit der Umstellung der DAX-Familie bleibt mehr Platz für Unternehmen. Teilweise notieren die Konzerne doppelt in den Indizes. Neuaufnahmen sind in der Grafik gefettet.
Das Doppellisting beschert dem Technologieindex drei prominente Neuzugänge aus dem DAX. Allerdings verteilt sich das Gewicht dann auf weniger Unternehmen. Diese haben einen entsprechend hohen Einfluss auf die Kursperformance.
Auf Seite 3: Änderungen im Dax und unsere Favoriten
DAX: Der Leitindex behält sein Gesicht
Der bekannteste deutsche Index verändert sein Gesicht kaum. Zwar stieg am Montag Wirecard auf und Gründungsmitglied Commerzbank musste nach 30 Jahren Indexzugehörigkeit weichen. Das wäre aber auch ohne die Neuordnung der Indizes passiert. Der Neuling hat dem Traditionsgeldhaus bei den entscheidenden Kriterien Börsenwert und Handelsvolumen den Rang abgelaufen.
Aufsteiger Wirecard gehört seit geraumer Zeit zu den Favoriten der Redaktion. Bereits im Jahr 2015 hatte BÖRSE ONLINE den Überflieger mehrfach zu Kursen zwischen 30 und 45 Euro zum Kauf empfohlen. Aber reicht es auch bei Kursen über 180 Euro noch für ein "Kaufen"-Rating? Ja, wenn auch mit Einschränkungen.
Grundsätzlich trauen wir dem Titel wegen der herausragenden Umsatz- und Gewinnentwicklung Kurse jenseits der 200-Euro-Marke zu und erhöhen das Kursziel moderat auf 220 Euro. Allerdings ist der Wert nach der jüngsten - eben durch die DAX-Aufnahme getriebenen - Rally möglicherweise etwas heiß gelaufen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass DAX-Neulinge in den Wochen nach der Indexaufnahme oft nachgaben. Wer noch nicht investiert ist, kann eine solche Schwächephase zum Aufbau einer ersten Position nutzen. Andererseits erwarten derzeit viele institutionelle Investoren einen Durchhänger, was die Chance wiederum steigert, dass es anders kommt. Somit ist Wirecard ein zweischneidiges Schwert: langfristig top, kurzfristig vielleicht korrekturgefährdet. Die Aktie sollte deshalb nur gekauft werden, wenn sich auch andere - weniger hoch bewertete und damit defensivere - Papiere im Depot befinden.
Aus dem Technologiesektor ist beispielsweise SAP erste Wahl. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für 2019 ist mit 20,8 nicht einmal halb so hoch wie das von Wirecard, die Wachstumsperspektiven sind dank des florierenden Cloud-Geschäfts ebenfalls exzellent. Zudem gewann der Titel in den vergangenen Wochen gegen den Trend deutlich an Momentum.
Ähnlich fest zeigte sich zuletzt der Immobilienkonzern Vonovia. Trotz aller politischen Anstrengungen wie der Mietpreisbremse bleibt bezahlbarer Wohnraum in vielen Regionen Deutschlands ein knappes Gut. Zwar könnte die Zinswende, wenn sie denn kommt, die Finanzierungskosten in die Höhe treiben. Doch im Moment ist nicht absehbar, ob und wann die EZB sich von der Nullzinspolitik abwenden wird. So lange das nicht der Fall ist, werden die Mieten schneller steigen als die Finanzierungskosten. Zudem lockt die Aktie mit einer Dividendenrendite von deutlich mehr als drei Prozent.
Ebenfalls besser als der DAX schlägt sich seit Anfang September die Aktie der Allianz. Vor allem die von Italien ausgehende Unsicherheit im Finanzsektor hatte dem Kurs zuvor zugesetzt. Die Brückenkatastrophe von Genua belastete den Konzern gleich doppelt: zum einen, weil die Allianz dem Konsortium angehört, bei dem die Brücke versichert war, zum anderen, weil die Münchner am Betreiber Autostrade per l’Italia beteiligt sind. Gelegentliche Großschäden sind für eine Versicherungsgesellschaft allerdings Business as usual. Das KGV von etwa zehn liegt unterhalb des DAX-Durchschnitts von knapp 13, die Dividendenrendite von weit über vier Prozent hingegen im Spitzenfeld des Auswahlindex.
Das gilt auch für BASF mit einer Dividendenrendite von knapp über vier Prozent. Der Chemiekonzern gilt als konjunktursensitiv und musste die hochgesteckten Erwartungen in den vergangenen Jahren ein ums andere Mal nach unten korrigieren. Doch so schlecht, wie es der Kurs suggeriert, ist es um die Welt- und Branchenkonjunktur nicht bestellt. In der Vergangenheit erwiesen sich Phasen, in denen die Dividendenrendite über vier Prozent lag, stets als gute Einstiegsgelegenheit. Sollten die Gewinnschätzungen von gut sieben Euro je Aktie für 2019 einigermaßen realistisch sein, liegt das KGV bei moderaten elf.
Auf Seite 4: MDAX
MDAX: Mehr Power für die zweite Börsenliga
Deutschland ist berühmt für seinen Mittelstand. Viele dieser Unternehmen sind Marktführer in ihren Nischen, einige sogar noch immer in der Hand der Gründerfamilien. An der Börse sind etliche dieser Firmen im MDAX vertreten. Die Rendite der zweiten Liga ist erstklassig: Seit seinem Start im Januar 1996 hat der Index der großen deutschen Nebenwerte im Jahresschnitt um fast elf Prozent zugelegt, das sind rund drei Prozentpunkte mehr, als der DAX im selben Zeitraum geschafft hat. Trotz der starken Wertentwicklung ist vergleichsweise wenig Geld in dem Index per ETF investiert. Bei ETF-Marktführer Blackrock (iShares) sind es etwas mehr als zwei Milliarden Euro, im DAX dagegen über sieben Milliarden.
Am 24. September wurde der MDAX erstmals offiziell mit Unternehmen aus dem Technologiesektor bestückt. Im neuen Index sind unter den 60 Mitgliedern 13 Neuzugänge aus dem TecDAX. Streng genommen gibt es noch mehr Techwerte im MDAX. Denn zuletzt wurden bereits einige Unternehmen aufgenommen, die eigentlich aus dem Technologiesektor stammen, sich aber für die klassische Indexwelt entschieden haben - etwa der Onlinehändler Zalando, der Lieferdienst Delivery Hero, das Handelsforum Scout24 und die auf Internetfirmen spezialisierte Beteiligungsfirma Rocket Internet. Insgesamt werden Techs in der neuen Indexwelt voraussichtlich rund ein Viertel des MDAX ausmachen und damit eine größere Rolle spielen als bisher.
MDAX profitiert von neuer Struktur
Die Bewertungskennziffern des MDAX werden sich durch die Indexerweiterung verschieben. Da neun der 13 Neulinge ein größeres KGV als der Index ausweisen oder rote Zahlen schreiben, wird der Index in neuer Aufstellung teurer. Da viele Techwerte kein Bargeld an ihre Aktionäre ausschütten, dürfte die Dividendenrendite des MDAX leicht sinken. Solange die Wachstumserwartungen der Investoren erfüllt werden, sollte der MDAX von der Neustrukturierung jedoch profitieren. In der Rückrechnung hätte sich der um Techwerte verstärkte MDAX besser entwickelt als die klassische Version. Laut Berechnung der Deutschen Börse hätte er über die vergangenen fünf Jahre im Schnitt um 16 Prozent zugelegt - einen Prozentpunkt mehr als der reale Index.
Unter allen MDAX-Mitgliedern sehen wir beim Immobilienkonzern Aroundtown gute Chancen. Die Aktie ist günstig bewertet und befindet sich im stabilen Aufwärtstrend. Auch beim Versicherer Hannover Rück sehen wir noch Potenzial. Riskanter, aber nicht minder interessant sind die Aktien von Morphosys (Achtung: neuer Stopp) und Rocket Internet. Bei Uniper wetten Anleger auf eine preisliche Nachbesserung im Übernahmepoker.
Auf Seite 5: SDax
SDAX: Kleiner Index steht plötzlich im Blitzlicht
Trotz guter Performance in den vergangenen Jahren - seit dem Start 1999 acht Prozent per annum - steht der Index nicht unbedingt im Fokus der Anleger. Die Umsätze in den Titeln sind häufig sehr gering. Größere Orders für einzelne Unternehmen zu platzieren ist teilweise sehr schwierig. Für Emittenten mit ein Grund, sich mit Produkten zurückzuhalten. So bietet Marktführer iShares keinen ETF auf den Index an. Auch mit Blick auf die bessere Performance des großen Bruders MDAX ist dies nachzuvollziehen.
Künftig könnte sich das Blatt allerdings wenden. Denn auch der SDAX wurde technologielastiger. Mehr als die Hälfte der TecDAX-Werte notieren künftig im Kleinwertesegment. Dafür verteilt die Deutsche Börse 20 neue Plätze. Bekannte Unternehmen wie Aixtron, SMA Solar, Jen-optic oder Nordex könnten dafür sorgen, dass mehr Investoren Interesse am Index zeigen. Für weniger bekannte Neulinge ist es besonders wichtig, die stärkere öffentliche Aufmerksamkeit zu nutzen und sich ins Rampenlicht zu rücken. Denn oftmals sind die unbekannten Unternehmen die wahren Stars der Börse.
Starker Anstieg mit neuer Aufstellung
In einer Rückrechnung der Deutschen Börse über fünf Jahre, in der die neuen Titel im SDAX bereits Berücksichtigung finden, hätte dieser eine Performance von mehr als 20 Prozent pro Jahr erzielt. In der aktuellen Aufstellung kommt er in diesem Zeitraum gerade mal auf 14 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass gerade die Techtitel extrem stark zugelegt haben. Zu beachten ist, dass es sich lediglich um eine retrospektive Betrachtung handelt und Techtitel mittlerweile eine sehr hohe Bewertung erreicht haben. Allerdings ist deren Momentum auch sehr stark.
Ein alter Hase mit dem wohl bekanntesten Namen im Index ist Sixt. Jedoch mutiert auch der Pullacher Autovermieter immer mehr zur Software- und damit zu einer Technologiefirma. In einer aktuellen Studie zeigt die Credit Suisse auf, dass gerade Familienunternehmen in Deutschland besonders erfolgreich sind. Darunter fällt Sixt, aber auch das Leasingunternehmen Grenke. Innerhalb von vier Jahren vervierfachte sich der Kurs des Leasing- und Factoringspezialisten. Mehr als 40 Prozent der Anteile befinden sich in Familienhand.
Einer unserer Favoriten ist der Newcomer Shop Apotheke: Traditionellen Apotheken nimmt der Onlinehändler Marktanteile ab. Um ein potenzielles Versandverbot verschreibungspflichtiger Medikamente ist es zuletzt wieder ruhig geworden. Der Aktienkurs legte kräftig zu, die fundamentalen Daten passen. Auch der Immobilienkonzern Adler Real Estate kratzt aktuell wieder am Allzeithoch und könnte weiterlaufen, genauso wie die österreichische Technologiefirma S & T.