Herr Jansen, könnte die zweite Jahreshälfte 2016 doch noch positiv für Aktienanleger werden?
Ja, könnte sie. Denn zum einen werden wir ein positives Wachstum der Unternehmensgewinne von vier Prozent in Europa und den USA sehen. Das ist nicht besonders stark, aber in Relation zu den niedrigen Zinsen sind vier Prozent gar nicht so schlecht. Zum anderen sind Aktien in diesem Jahr noch nicht gut gelaufen, sie sind jedenfalls noch nicht teuer bewertet. Es sollten also noch Kurssteigerungen drin sein.
Richtig optimistisch sind Anleger aber nicht.
Ja, sie sind extrem vorsichtig. Die Aktienquote in den Portfolios von Fondsmanagern ist sehr niedrig, wie wir aus Branchenumfragen wissen. Zugleich halten sie hohe Bargeldbestände. Solche Levels sehen wir normalerweise bei Wachstumsschocks oder Schuldenkrisen. Doch eine solche Situation haben wir nicht. Die Datenlage in den USA ist zwar nicht super, aber wir sehen, dass sie sich langsam verbessert. Und in Europa sind die Zahlen auch okay.
Was lässt Anleger dann zögern?
Sie schauen auf die großen Risiken. Zu denen zählt ein möglicher Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Aber auch der Ölmarkt. Zwar hat sich der Ölpreis etwas stabilisiert, das Problem des Überangebots ist aber immer noch nicht gelöst. Und natürlich blicken alle gebannt auf den Kurs der US-Notenbank Fed.
Wie könnte der denn aussehen?
Die Fed hat die Erwartungen reduziert. Am Anfang dieses Jahres hat sie noch von vier Zinsschritten gesprochen, jetzt nur noch von zwei. Und selbst das glauben die Investoren nicht mehr, wenn wir auf die Entwicklung bei den entsprechenden Future-Kontrakten blicken. Der Markt hat aktuell den nächsten Zinsschritt im Frühling 2017 und den zweiten Schritt im Frühling 2018 eingepreist. In diesem Jahr erwartet der Markt also keine Zinserhöhung mehr.
Sehen Sie das auch so?
Nein. Wir gehen von ein bis zwei Zinsschritten dieses Jahr aus.
Wann könnte die Fed handeln?
Nicht im Juni, denke ich. Denn die Fed-Sitzung ist eine Woche vor dem Brexit-Referendum. Dieser Zeitpunkt erscheint mir doch als sehr ungünstig. Ich gehe davon aus, dass die Fed im Juli die Zinsen erhöhen wird. Natürlich muss dann die Datenlage passen. Und die Finanzmärkte müssen sich relativ stabil präsentieren.
Das heißt?
Es darf keine Krise geben wie im August vergangenen Jahres, als die Kurse an den weltweiten Börsen abstürzten. Dann wird die Fed nicht handeln. Sie hat heute bei ihren Entscheidungen viel mehr im Blick als früher.
Zum Beispiel?
Vor allem gilt es für sie, die globalen Folgen eines stärkeren Dollar infolge einer Zinserhöhung genau abzuschätzen. Denn etwas hat sich geändert: In der Vergangenheit war die Fed oft die erste Notenbank, die die Zinsen erhöhte. Und die anderen Notenbanken folgten ihr. Zumindest ging es in dieselbe Richtung. Das ist aktuell nicht so. Die EZB und die Bank of Japan lockern ihre Geldpolitik weiter. Die Folge sind stärkere Wechselkursbewegungen und eine höhere Volatilität. Die Fed wird in jedem Fall vorsichtig sein.
Vita
Pieter Jansen Jansen ist Anlagestratege der niederländischen NN Investment Partners (ehemals ING Investment Management) im Bereich Multi-Asset-Strategien. Zuvor arbeitete er unter anderem für Union Invest und das niederländische Finanzministerium.