Herr Halver, einige der Schwergewichte der US-Tech-Branche sind zuletzt übel unter die Räder gekommen. Mitte Julie erwischte es Netflix, am Freitag brach Twitter ein, und am Donnerstag zerlegte es die Facebook-Aktie. Müssen sich Anleger bei Tech-Werten Sorgen machen?
Bei den High Tech- bzw. Social Media-Aktien trennt sich immer mehr die Spreu vom Weizen, sie sind nicht mehr per se hipp. Ihre hohe Bewertung muss verdient werden mit Substanz in Form von wachenden Kunden, Umsätzen und Gewinnen. Jede Enttäuschung wird hierbei überproportional abgestraft. Wird man von Facebook oder Netflix enttäuscht, geht man zu den Aktien über, die liefern, z.B. Alphabet - Muttergesellschaft von Google - oder Amazon.
Aber die Tech-Aktien waren zuvor lange auf Höhenflug und haben den gesamten Markt mitgezogen. Sind das bei Facebook, Netflix und Twitter wirklich nur hausgemachte Probleme oder doch Alarmzeichen für eine bevorstehende Trendwende an den Börsen?
Da an der künstlichen Intelligenz, an Digitalisierung kein Weg vorbeiführt, darf man dem High Tech-Sektor auf keinen Fall das gleiche Schicksal unterstellen wie dem Neuen Markt, wo es vielfach hinter glänzenden Fassaden kaum blühende Landschaften gab. Solange Unternehmen klare fundamentale Substanz bieten, wird es keinen nachhaltigen Aktieneinbruch geben. Natürlich wäre auch eine massive Zinswende nach oben ein Problem. Gerade teure Aktien werden dann sozusagen kastriert. Aber angesichts der Überschuldung der Welt, verbunden mit dem Wunsch aller großen Volkswirtschaften, mit lockerer Geldpolitik die Währung zum Wohle des Exports zu stärken, ist das Zinsrisiko beschränkt. Das verhindert aber keine zwischenzeitliche und auch gesunde Aktienkonsolidierung.
Die Lage ist doch durchaus kritisch. Immerhin entfällt der allergrößte Teil der Kursgewinne im S&P 500 im laufenden Jahr auf die Tech-Schwergewichte. So hat Amazon im laufenden Jahr rund 55 Prozent gewonnen, Netflix sogar 84 Prozent. Wenn den Zugpferden die Puste ausgeht, könnte das die gesamte Marktstimmung belasten, oder?
Es darf nie zu einem Nokia-Effekt kommen. Damals haben sich die Finnen mit ihren führenden Handys nicht weiterentwickelt, sondern sind stehen geblieben. Sollte sich Alphabet z.B. nur auf das Online-Werbegeschäft konzentrieren, wäre das ungesund und gefährlich. Aber sie bearbeiten ja massiv das lukrative Zukunftsgeschäft der Netzinteraktion, also die Verknüpfung von mobilen Endgeräten.
Es gibt ja noch ein anderes Problem: Viele Portfolios sind sehr FAANG-lastig, weisen also einen hohen Anteil an Aktien von Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google bzw. deren Konzernmutter Alphabet auf. Wie gefährlich ist ein solches Klumpenrisiko für die Börsen, wenn die Zugpferde wie zuletzt Netflix oder Facebook ins Straucheln kommen?
Wenn der Tech-Sektor in Ungnade fallen sollte, wäre das nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein praktisches Risiko. Deshalb werden die großen Kapitalsammelstellen jeden einzelnen Wert noch mehr auf fundamentale Qualitäten abklopfen. Es wie im Märchen Aschenputtel: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Kritische Unternehmensanalyse bei High Tech-Werten, die vor allem auf digitale Zukunftspotenziale abzielt, wird zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor.
Der Dax hat im Juli mit einem Plus von 4,5 Prozent endlich wieder eine sehr ordentliche Performance hingelegt. Im August sind weltweit viele Investoren im Sommerurlaub. Was erwarten Sie für die nächsten Wochen? Drohen weitere Kursrückschläge im Dax und was sollten Anleger jetzt tun?
Der aktuellen Marktverfassung fehlt der Verkaufsdruck, so dass ein Aktien-Crash nicht vorstellbar ist. Denn obwohl die Anlegerverunsicherung der letzten Wochen nachgelassen hat, sind die Anleger noch nicht von nachhaltig steigenden Kursen überzeugt. Privatanleger und institutionelle Investoren in Deutschland sind weiter gegen fallende Kurse abgesichert. Eine erhöhte Schwankungsbreite bei Aktien ist aber möglich.
Doch schon eine weniger negative Entwicklung in der Protektionismusdebatte ist ausreichend, um an den Aktienmärkten für steigende Kurse zu sorgen. Zu schwach investierte bzw. zu deutlich abgesicherte Marktteilnehmer müssten dann den Kursen hinterherlaufen, was eine Aktien-Rallye befeuern würde. Gäbe es über die Feuerpause im Handelsstreit hinaus sogar Aussichten auf einen Handelsfrieden zwischen EU und USA, hätten die Aktienmärkte sogar einen konjunkturell Goldenen Herbst vor sich.
Aber klar ist: Käme es trotz kürzlicher Annäherung zwischen EU und USA zu einem ausgewachsenen Handelsstreit, kämen die deutschen Exportwerte kräftig unter die Räder. Doch haben beide Seiten Muffensausen. Europa hat Angst vor dem Wegfall der nordamerikanischen Absatzmärkte und Trump will seinen Farmern und Energieunternehmen neue Verkaufschancen in Europa öffnen, nachdem China seine Importtüren schließt. Die Handels-Kuh mag noch nicht vom Eis sein. Aber das Seil hat man ihr immerhin schon um den Hals gelegt.
Auch ein Ende der Liquiditätshausse ist nicht zu befürchten. Die anhaltende Schulden- aber auch Polit-Krise in Europa gestattet der EZB keine wirklich harte Geldpolitik, die zu nachhaltig steigenden Zinsen und damit einer klaren Alternativanlage zu Aktien führt. Der zinspolitische Anlagenotstand - wonach die Inflation deutlich oberhalb der Rendite liegt - ist kein One Hit Wonder, sondern ein evergreen wie Dancing Queen von Abba!
Die Anleger sollten mindestens weiter ihre regelmäßigen Aktiensparpläne fortführen. Dann tut einem auch die Volatilität nicht weh. Denn im Einkauf liegt auch bei Aktien der Gewinn.