Die Diskussionen im italienischen Fernsehen sind leidenschaftlich und laut. Für oder gegen Premier Matteo Renzi, das ist der rote Faden. Argumente und Inhalte geraten dabei oft zur Nebensache. In der Sache geht es um das Referendum, in dem die italienische Bevölkerung am 4. Dezember über eine Verfassungsreform abstimmen soll. Um den schwerfälligen politischen Entscheidungsprozess effizienter zu gestalten, soll der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, seine Vetomacht verlieren. Dazu wird die Zahl der Senatsmitglieder von 315 auf nur noch 100 reduziert, und die werden nicht mehr direkt gewählt, sondern aus dem Kreis der Regionalräte und der Bürgermeister entsandt.

Ein angesichts der zahlreichen Regierungskrisen und politischen Hängepartien überfälliger Schritt, möchte man meinen. Dumm nur, dass Renzi im April, als das Gesetz im Parlament verabschiedet wurde, das Referendum ansetzte und selbstbewusst verkündete, im Fall einer Niederlage werde er zurücktreten.

Damals erfreute sich Renzi hoher Popularitätswerte. Jetzt bläst ihm angesichts des ausbleibenden wirtschaftlichen Aufschwungs ein heftiger Gegenwind ins Gesicht. Hinter dem "Nein" zur Reform steht eine breite Front von Populisten. Die Protestbewegung MoVimento 5 Stelle ("5 Sterne") des Komikers Beppe Grillo zählt ebenso dazu wie die rechtsextreme Lega Nord und die Partei Forza Italia des einstigen Premiers Silvio Berlusconi.

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Instabilität bedroht die Märkte



Inzwischen ist das Nein-Lager in der Mehrheit. Zwar ist Renzi mittlerweile von einem Rücktritt im Fall einer Niederlage abgerückt, klar ist aber, dass danach wieder unruhige politische Zeiten bevorstünden. Im Fall eines Sieges bei Neuwahlen hat Grillo bereits eine Volksabstimmung über den Verbleib in der Eurozone angekündigt: eine Konstellation, die an Griechenland im Sommer 2014 erinnert - mit dem Unterschied, dass Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone stellt. Dementsprechend groß ist die Gefahr neuer Verwerfungen an den Finanzmärkten.

Längst haben die Geldhäuser verschiedene Szenarien für das Referendum entworfen. Die Deutsche Bank setzt die Wahrscheinlichkeit eines "Nein" bei 60 Prozent an. Tritt dies ein, erwartet man geordnete Neuwahlen bis Mitte 2017. "Dieses Ergebnis scheint derzeit eingepreist zu sein", erklärt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege bei der Deutschen Bank für Privat- und Firmenkunden. "Eine starke Jahresendrally in Europa ist in diesem Fall unwahrscheinlich. Italienische Aktien würden sich dabei schwächer entwickeln als der Rest der Eurozone.

Das Extremrisiko, dessen Wahrscheinlichkeit Stephan mit zwölf Prozent beziffert, sieht sofortige Neuwahlen mit einem Sieg der Populisten vor. Je nach Eskalation der Krise könne der italienische Leitindex dann um bis zu 50 Prozent einbüßen und den europäischen Stoxx 600 um 20 Prozent nach unten ziehen. Zugleich würde die Verzinsung zehnjähriger italienischer Staatsanleihen, die bereits seit Wochen steigt (siehe Chart), kurzfristig auf über drei Prozent liegen. Ein positiver Ausgang des Referendums würde dagegen zu Erleichterung führen, wobei in Italien vor allem Finanztitel eine solche Rally anführen würden.





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Abwarten und dann kaufen



Wie sollen Anleger also reagieren? Marc Siebel, Geschäftsführer der auf europäische Nebenwerte spezialisierten Fondsboutique Peacock Capital, rät zum Abwarten bis zum Wahlausgang. "Ein Scheitern von Renzi wird zu einer schlechteren Performance in Italien führen, nicht aber zu größeren Verwerfungen an Europas Aktienmärkten." Je nach Marktreaktion sieht sich Siebel dann auch wieder ausgewählte italienische Aktien an. Besonders günstig bewertet sieht er einige Banken mit hohen Kernkapitalquoten, aber auch Baukonzerne und Infrastrukturspezialisten. Zudem sei der Mediensektor, in dem er den Verlag Mondadori favorisiert, einen Blick wert.

Und angesichts der im europäischen Vergleich niedrigen Käuferquote beim Onlinehandel hätten italienische Anbieter wie Banzai reichlich Potenzial.

BÖRSE ONLINE setzt in Italien über den 4. Dezember hinaus weiterhin in erster Linie auf wachstumsstarke Firmen, die lukrative Marktnischen besetzen und aktuell günstig bewertet sind. Zu unseren Dauerempfehlungen unter diesen Champions zählt auch der als Formel-1-Ausrüster tätige Bremsenhersteller Brembo, bei dem Experten für 2016 ein Gewinnplus von 25 Prozent erwarten. Kaufkurse nach dem jüngsten Kursrutsch bietet auch der Autobahnbetreiber Atlantia. Die Aktie hat zwar den Stoppkurs gerissen, weil Atlantia aber zuletzt die Gewinnprognose nach oben angepasst hat und kontinuierlich eine üppige Dividende ausschüttet, bleibt es beim Kauftipp.

Noch in der Wachstumsphase befindet sich Yoox Net-à-Porter, ein Onlinehändler für Luxusmode. Ab 2017 sollen sich Investitionen aber in deutlich höheren Margen bezahlt machen, was die hohe Bewertung relativiert. Ein solides Gewinnwachstum von 15 Prozent bei einem Börsenwert unter dem Buchwert spricht für den Einstieg in Poste Italiane. Dazu kommt eine üppige Dividendenrendite von fast sieben Prozent.