Frau Haag, wird es für Japans Regierungskoalition nach dem Wahlsieg vom vergangenen Sonntag leichter, die Wirtschaft zu beleben und den Teufelskreis aus fallenden Preisen, Löhnen, Ausgaben und Investitionen zu durchbrechen?
Der Wahlausgang hat an den Mehrheitsverhältnissen sowohl im Unter- als auch im Oberhaus nichts geändert. Die Regierungskoalition verfügt über eine Zweidrittelmehrheit und muss die Opposition daher nicht fürchten. Premierminister Shinzo Abe führt vielmehr einen Kampf gegen Widerstände innerhalb seiner Liberaldemokratischen Partei. In dieser gibt es Fraktionen, die sich gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA aussprechen, seine geplanten Arbeitsmarktreformen ablehnen oder gegen eine Schwächung des Yen sind. Die innerparteilichen Gegner zu überzeugen wird für Abe sicher nicht leichter. Durch den Wahlsieg hat er lediglich mehr Zeit für die Umsetzung und die Wirksamkeit seiner Maßnahmen.

In den vergangenen beiden Quartalen ist die Wirtschaft geschrumpft. Japan befindet sich in der Rezession. Ist dafür nur die Mehrwertsteuererhöhung von fünf auf acht Prozent verantwortlich?
Das ist schon der wesentliche Grund für den Abschwung. Die Konsumenten haben vor der Erhöhung Käufe vorgezogen. Aber auch staatliche Stimulierungsprogramme, die zur Beginn der Amtszeit von Abe vor zwei Jahren aufgelegt wurden, liefen aus. Zudem schlugen die in Folge des schwächeren Yen höheren Energiekosten negativ zu Buche. Um zusätzliche Belastungen zu vermeiden, hat Abe die eigentlich für 2015 geplante nächste Stufe der Mehrwertsteuererhöhung auf 2017 verschoben. Im kommenden Jahr dürfte daher die Wachstumsrate wieder positiv ausfallen.

Wie beurteilen Sie die bisherige Bilanz der Abenomics? Ist das Ergebnis angesichts der massiven quantitativen Lockerung und der Erhöhung der Staatsausgaben enttäuschend?
Es ist nicht so, das nichts erreicht wurde. Unter anderem brummt der Arbeitsmarkt. Auf eine leere Stelle kommen 1,1 Bewerber, für Japan ist das viel. Auch sind die Steuereinnahmen dank der Ankurbelungsmaßnahmen gesprudelt. Ebenso sind die Unternehmensgewinne und in Folge auch die Boni gestiegen, was sich wiederum positiv auf die Binnennachfrage auswirken kann. Zieht man zur Beurteilung der Wirtschaftsleistung Japans nicht das Bruttoinlandsprodukt heran, sondern das Bruttosozialprodukt, also die Größe, die auch die Güter und Dienstleistungen misst, die Japaner im Ausland hergestellt haben, dann steht das Land auch gar nicht so schlecht da.

Auf Seite 2: Unternehmenssteuersenkung und Staatsanleihen



Die Inflationsrate ist aber immer noch vom Zielwert der Notenbank von zwei Prozent entfernt.
Richtig, aber die Teuerungsrate beträgt nicht mehr minus 0,4 Prozent, sondern ist auf immerhin 0,9 Prozent gestiegen. Insofern ist dies auch als ein Erfolg der Maßnahmen zu werten.

Premier Abe macht sich für Lohnerhöhungen stark, um den Binnenkonsum anzukurbeln. Werden Japans Unternehmen dem Appell folgen?
Diese sind davon nicht unbedingt begeistert. Doch im kommenden Jahr will Abe die Unternehmensteuern von derzeit 36 auf 32,5 Prozent senken. Damit ergeben sich Spielräume für Lohnsteigerungen. Diese aber werden wohl nicht höher als zwei bis drei Prozent ausfallen.

Japans Notenbank beschloss im November, die Anleihekäufe zu intensivieren und will jährlich bis zu rund 692 Milliarden Euro Staatsanleihen erwerben. Birgt die damit verbundene Geldflut Gefahren?
Der prozentuale Anteil der japanischen Notenbank am heimischen Staatsanleihemarkt beträgt aktuell 25 bis 27 Prozent, der entsprechende Anteil der Fed oder der Bank of England ist höher. Die quantitative Lockerung gibt bislang noch nicht Anlass zur Sorge. Allerdings ist die Geschwindigkeit, mit der Japans Notenbank ihre Bilanzsumme ausweitet, deutlich höher. Die Frage wird sein, wem die Notenbank künftig Anleihen abkaufen will. Sie kann sich zwar bei Neuemissionen beteiligen, auch Pensionsfonds dürften Bestände abgeben, doch die großen Versicherer und die Banken werden wohl nicht verkaufen. Das heißt, auch die Möglichkeiten der Notenbank, die Wirtschaft mit Geld zu fluten, sind begrenzt.

Auf Seite 3: Die Entwicklung des Yens



Seit dem Amtsantritt Abes vor zwei Jahren hat der Yen gegenüber dem Dollar um 35 Prozent abgewertet. Wird Japans Währung noch schwächer, lässt sich der Prozess ohne Gefahren steuern?
Das Risiko einer unkontrollierten Abwertung ist gegeben. Noch aber ist das Austauschverhältnis Yen-Dollar im langfristigen Durchschnitt. Aktuell befinden wir uns auf dem Niveau von 1992.

Der billige Yen hat nicht nur Vorteile?
Nein. Zwar profitieren exportorientierte Unternehmen, doch der auf den Binnenmarkt konzentrierte Mittelstand leidet. Japan ist nicht, wie manche glauben, eine Exportnation wie Deutschland. Der Inlandskonsum trägt 60 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Eine weitere Schwächung des Yens ist daher nicht wünschenswert. Eine Kapitalflucht wie derzeit in Russland ist in Japan aber nicht zu erwarten.

Die Neuverschuldung ist in diesem Jahr auf acht Prozent geklettert, die Gesamtverschuldung Japans beträgt mittlerweile 240 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Wie hoch ist das Zahlungsausfallrisiko?
Gering, da der Staat überwiegend im Inland verschuldet ist.

In diesem Jahr hat der Nikkei um sieben Prozent zugelegt. Was erwarten Sie im kommenden Jahr?
Im Februar 2015 dürfte es einige positive Gewinnrevisionen geben, die den Markt noch einmal nach oben treiben dürften. Ansonsten bin ich vorsichtig. Auch weil der Yen bei einer Zuspitzung geopolitischer Risiken als Fluchtwährung gesucht sein dürfte.

Angesichts des sinkenden Bevölkerungswachstums muss Japan die Produktivität steigern. Wie lässt sich dies erreichen?
Abe will den Anteil erwerbstätiger Frauen steigern. Auch müsste sich das Land für ausländische Arbeitnehmer öffnen. Doch danach sieht es bislang nicht aus. Viel Hoffnung setzt man in den Einsatz von Robotern. Für Investoren ist dies sicherlich eine interessante Branche.

Auf Seite 4: Lilian Haag im Profil



Lilian Haag

Lilian Haag ist Portfoliomanagerin für japanische und asiatische Aktien mit Sitz in Frankfurt. Bevor Sie 1999 zu Deutsche Asset & Wealth Management kam, arbeitete sie drei Jahre im Vertrieb von japanischen und asiatischen Aktien für Yamaichi Securities und Nomura Securities. Haag hat einen M. A. in Volkswirtschaftslehre und Japanologie der Universität Heidelberg. Sie studierte Japanologie im Rahmen eines DAAD-Stipendiums auch an der Waseda Universität in Tokio.