Reger Andrang herrschte vor Beginn des Eröffnungsvortrags von Jens Ehrhardt im Vortragssaal 1, der wegen des großen Interesses auch in benachbarte Vortragsräume übertragen wurde. "Es macht mir mit meinen 77 Jahren immer noch Riesenspaß, vor Ihnen zu sprechen", leitete der Vermögensverwalter seine Ausführungen dann mit einem Bekenntnis ein, was ihm spontanen Applaus seiner Fangemeinde einbrachte. "Ich war schon mehrere Male bei Ehrhardts Vorträgen hier", flüsterte ein Mann im Publikum. "Ich schätze seinen unaufgeregten, klaren Blick auf die Dinge, gerade in turbulenten Zeiten."
Ehrhardt lenkte den Blick auf das Jahr 2018. Die deutliche Korrektur an den Märkten im zweiten Halbjahr sei übertrieben gewesen, das erste Quartal 2019 dagegen in den USA das beste seit 1991: "Die starken Schwankungen zeigen: 2018 war zuviel Pessimismus vorhanden, zuviel Angst vor einer Eskalation des Handelsstreits." Doch der Markt steuere nicht auf neue Einbrüche wie in den Jahren 2000 oder 2007 zu. Der Redner warf mehrere Diagramme an die Wand. "Seit 2000 hat sich bei den Kursen wenig getan, aber die Gewinne und Dividenden sind seitdem deutlich gestiegen. Das zeigt: Aktien sind auch jetzt im historischen Vergleich nicht teuer." Gerade deutsche Aktien seien im Vergleich zu US-Aktien heute so günstig wie seit 50 Jahren nicht mehr.
Vor allem die Sorge vor einer zu restriktiven Geldpolitik der Notenbanken sei derzeit unbegründet. Diese Sorgen hatten durch die sogenannte inverse Zinsstruktur in den USA neue Nahrung bekommen: Übersteigen die kurzfristigen Zinsen die langfristigen, war das in der Vergangenheit oft der Vorbote einer Baisse. "Es ist zu früh, in der Zinsstruktur jetzt schon ein Verkaufssignal zu sehen", sagte Ehrhardt. Die US-Notenbank Fed habe ihre monetäre Bremse ohnehin schon wieder gelockert.
"Weltweites Doping"
An einigen Stellen macht der Vermögensverwalter dennoch "ungesunde Entwicklungen" aus, etwa bei den astronomisch hohen Aktienrückkaufprogrammen der US-Unternehmen im vergangenen Jahr von rund einer Billion Dollar. "2019 könnten das auch wieder 600 bis 700 Milliarden Dollar werden", prognostiziert Ehrhardt. "Richtig gesund ist das nicht. Die Unternehmen könnten das auch in ihr Geschäft investieren, aber so treibt es zusätzlich die Börse." Ähnlich wirkten die zu niedrigen Zinsen in Europa, und der relativ schwache Euro, der in Deutschland die Exporte noch zusätzlich anschiebe. "Das alles könnte man etwas überspitzt als weltweites Doping bezeichnen. Aber so lange es kaum Inflation gibt, funktioniert dieser Mechanismus, und es gibt keine Crash-Gefahr."Auch das Brexit-Chaos hält Ehrhardt für ein begrenztes Risiko. "Die Engländer kommen aus der EU nicht ohne Abkommen raus. Und sie müssen auch"in irgendeiner Form im Binnenmarkt bleiben - dafür steht einfach für beide Seiten zuviel auf dem Spiel." Man werde nach zähem Ringen eine Lösung finden, zeigt sich der Vermögensverwalter überzeugt.
Unter dem Strich erwarte er, "dass 2019 ein Aufwärtsjahr wird", schloss Ehrhardt seinen Vortrag: "Möglicherweise mit Seitwärtstrend im zweiten Halbjahr, aber insgesamt leicht positiv". Gerade in Deutschland sieht er derzeit bei einzelnen Aktien Kaufchancen, etwa im Automobil- und Touristikbereich. "Die deutschen Autoaktien sind schon sehr weit heruntergekommen, ebenso Unternehmen im Touristikbereich."
Auf Nachfrage, ob er beim Touristikkonzern TUI derzeit einsteigen würde, der am Freitag mit einer erneuten Gewinnwarnung einen Kurssturz um zehn Prozent ausgelöst hat, sagte Ehrhardt gegenüber boerse-online.de: "Ich gebe keine Empfehlungen für einzelne Aktien. Ich sage aber, dass in den Touristikaktien schon sehr viel Negatives im Kurs eingepreist ist."