Kaum ein anderer lebte den amerikanischen Traum so wie Joseph P. Kennedy. Er war, wie sein Biograf David Nasaw ("The Patriarch") schrieb, ein Außenseiter, der sich einen Platz in den Zentren der Macht erkämpfen musste und sich an keine Spielregeln hielt, ein Mann mit vielen Talenten und zügellosem Ehrgeiz, ein Frauenheld, ein irischer Katholik, der stolz war auf seine Her- kunft.

Joseph P. Kennedy kam 1888 in Boston zur Welt. Sein Vater war ein Einwanderer, der sich vom Kneipenwirt zu einem angesehenen Lokalpolitiker hochgearbeitet hatte. Der junge Joseph war zwar kein guter Schüler, aber er brillierte außerhalb des Klassenzimmers: Er spielte Basketball und Baseball und managte das Footballteam der Schule - und er verliebte sich als 18-Jähriger in die zwei Jahre jüngere Rose Fitzgerald, die er 1914 heiraten sollte. Das Paar hatte neun Kinder, die später den Kennedy-Clan bildeten.

1908 bestand er die Aufnahmeprüfung in Harvard und schaffte 1912 seinen Bachelorabschluss. Er hatte drei Ziele: Reichtum, Macht und gesellschaftliche Anerkennung. Ihm schwebte eine Karriere in einer großen Bostoner Bank vor. Aber solche Positionen waren, wie er feststellen musste, "richtigen Bostonern" vorbehalten, nicht den Söhnen von irisch-katholischen Gemeindepolitikern, die der falschen Partei, nämlich den Demokraten, angehörten. Er machte das Beste aus der Situation, indem er eine Stelle im öffentlichen Dienst als Bankprüfer annahm. Schlecht bezahlt, aber ein Schnellkurs, in dem er alles über Finanzstrukturen und Bankgeschäfte lernte. Mit 25 Jahren wurde er zum Präsidenten der East Boston Bank ernannt. Er hätte in Boston bleiben und ein entspanntes Leben als Banker führen können. Aber er wollte mehr - und dafür musste er Boston verlassen.

Kennedy zog nach New York und stieg in das schnell wachsende Filmbusiness ein. Zusammen mit einem Konsortium von Investoren übernahm er 1926 für 1,1 Millionen Dollar das FBO-Studio und konzentrierte sich auf Low-Budget-Streifen wie Western, Actionthriller und Melodramen. Bereits im ersten Jahr spielte FBO neun Millionen Dollar ein. In Hollywood lernte Kennedy den Stummfilmstar Gloria Swanson kennen. Sie wurde Kennedys Geliebte. Seine Ehefrau Rose ertrug diese Affäre stillschweigend. Wichtig war ihr nur, dass der Schein einer intakten Familie gewahrt blieb. 1930 verkaufte Kennedy seine FBO überraschend für über fünf Millionen Dollar. Das Timing war perfekt. Er hatte bereits vor dem Crash im Jahr 1929 seine Aktienbestände verkauft und stieg nun aus der Filmbranche aus, bevor die Depression Hollywood einholte.

Verbindungen zur Mafia

Kennedy war jetzt 38 - und Multimillionär. Zahlreiche Quellen dokumentieren, dass er schon sehr früh zu Beginn der Prohibition im Januar 1920 in den Alkoholschmuggel eingestiegen und dabei auf die Kooperation mit der Mafia angewiesen war, die alle illegalen Bars kontrollierte. Kennedy stand im Ruf, dass er seine Gewinne aus dem Alkoholschmuggel in legale Investitionen wie Aktien, Immobilien oder Filmprojekte transferieren würde. Zeitungsberichten zufolge machte Kennedy damals an der Börse und mit dem Alkoholhandel ein Vermögen von rund 100 Millionen Dollar.

Sein zunehmender Pessimismus als Folge der Depression und seine Angst um die Zukunft von Kapitalismus und Demokratie bewogen ihn 1932, in die Politik zu gehen und den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Roosevelt zu unterstützen - nicht zuletzt, weil er sich ein hohes politisches Amt erhoffte. Als Roosevelt 1933 Präsident wurde, bekam Kennedy aber keinen Kabinettsposten. Roosevelt ernannte ihn ein Jahr später zum ersten Vorsitzenden der neu gegründeten Börsenaufsichtsbehörde SEC. Er genoss den Ruf eines überparteilichen und fairen Managers, der den Börsenhandel regulierte und all die spekulativen Praktiken verbot, die ihn selbst reich gemacht hatten.

Für seine Verdienste wurde er 1937 mit der Ernennung zum Botschafter in London belohnt. Aber der außenpolitisch unerfahrene Kennedy machte sich dort schnell unbeliebt. Seiner Meinung nach ging von der Nazidiktatur in Deutschland keine größere Gefahr aus; er hielt deshalb ein militärisches Eingreifen der USA für unnötig. Kennedy, dem antisemitische Tendenzen nachgesagt wurden, unterstützte den Beschwichtigungskurs des britischen Premierministers Neville Chamberlain, er verstieß ungestraft gegen die Anweisungen des US-Außenministeriums, setzte im Alleingang seine defätistische diplomatische Agenda durch und musste schließlich in Schande zurücktreten. Er kehrte nach Amerika zurück und kümmerte sich fortan um die politischen Ambitionen seiner ältesten Söhne. Beide waren 1941 als Freiwillige in die US-Streitkräfte eingetreten: Joseph Jr. als Marineflieger, John als Kommandeur eines Torpedoboots im Pazifik. Joseph Jr. kam ums Leben, als sein überladener Bomber bei einem Einsatz kurz nach dem Start explodierte. Im Frühjahr 1948 starb seine zweite Tochter Kick bei einem Flugzeugabsturz in Frankreich. Er setzte nun alle seine Hoffnungen in John und aktivierte seine alten Kontakte zur Mafia. Er versprach dem Syndikat die Loyalität seines Sohnes, falls dieser Präsident würde. Die Mafia schmierte Wahlmänner, kaufte und fälschte Stimmen. Am 20. Januar 1961 wurde John F. Kennedy Präsident der Vereinigten Staaten.

Der Clanchef war am Ziel. Doch im Dezember 1961 erlitt er einen schweren Schlaganfall. Er konnte kaum noch reden und war an den Rollstuhl gefesselt. Die Ermordung seines Sohnes John kommentierte er mit den Worten: "Glück führt man herbei - Unglück steht man durch." Bobby Kennedy, der die Nachfolge seines Bruders John antreten wollte, wurde 1968 während des Präsidentschaftswahlkampfs erschossen. Die Todesnachricht wurde Joseph Kennedy nicht mehr mitgeteilt. Auch vom Ende der politischen Ambitionen seines Sohnes Edward M., Ted genannt, erfuhr der Patriarch nichts. Ted hatte nach einem Autounfall im Juli 1969, bei dem seine Sekretärin ums Leben kam, Fahrerflucht begangen.

"In den letzten 30 Jahren seines Lebens wurde Joseph Kennedy als Anpasser, Isolationist, Antisemit, Nazisympathisant, skrupelloser Frauenheld, verräterischer und rachsüchtiger Schurke, der als Schmuggler und Wall-Street-Betrüger Millionen verdiente, verteufelt", schrieb sein Biograf David Nasaw. "Dann benutzte er diese Millionen, um für seinen Sohn Wahlen zu stehlen." Joseph Kennedy starb am 18. November 1969 im Alter von 81 Jahren am Familiensitz in Hyannis Port.