Am Abend des 8. November 2016, als die beiden Kandidaten der US-Präsidentschaftswahlen auf die Wahlergebnisse warteten, bestieg Joshua Kushner den Virgin-America-Flug 29 von New York nach San Francisco. Der Gründer der Wagniskapitalgesellschaft Thrive Capital ging davon aus, dass nach seiner Landung die Kandidatur von Donald Trump als ein historischer Egotrip endgültig der Geschichte angehören würde. Er selbst hatte, genauso wie seine langjährige Freundin, das Victoria-Secret-Supermodel Karlie Kloss, für Hillary Clinton gestimmt.
Aber der Sieg von Donald Trump änderte alles. Jetzt war sein Bruder Jared, der Ehemann von Trumps glamouröser Tochter Ivanka, plötzlich einer der wichtigsten Polit-Player im Weißen Haus. Und was dort entschieden würde, könnte direkte Auswirkungen auf sein Unternehmen haben. Auch wenn sein Bruder jetzt für den Präsidenten arbeite, er selbst habe keinen direkten Draht ins Weiße Haus, erklärte er seinen Mitarbeitern nach dem Wahlsieg. "Ich bin nicht verantwortlich für die Politik dieser Administration. Und ich bin auch nicht in der Position, Vorteile auszuhandeln."
"Es ist kein Geheimnis, dass ich mich stets von linksliberalen politischen Prinzipien habe leiten lassen", sagte Joshua Kushner in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin "Forbes", "aber keine Partei hat das Monopol auf konstruktive Ideen. Es ist wichtig, offen zu bleiben."
Die unterschiedlichen politischen Meinungen scheinen den Familienfrieden bei den Kushners nicht zu stören. Die beiden Brüder telefonieren täglich miteinander. Die Hilfe seines Bruders wird er wahrscheinlich auch gar nicht brauchen: Joshua kann mit seinen 33 Jahren selbstbewusst auf eine spektakuläre Erfolgsserie als Investor und Unternehmer zurückblicken. Und er verfügt über ein Netzwerk von einflussreichen Playern in der Venture-Capitalist-Szene, darunter auch der deutschstämmige Investor Peter Thiel.
Joshua Kushner war gerade mal 26 Jahre alt, als ihm ein echter Glücksgriff gelang. Mit seiner Wagniskapitalgesellschaft Thrive Capital, die er ein paar Jahre zuvor gegründet hatte, investierte er 2012 in Instagram, eine Smartphone-Anwendung für den Austausch von Fotos. An der Finanzierungsrunde waren neben ihm auch Investoren wie Sequoia Capital oder Greylock Partners vertreten. Kushner und die anderen Wagniskapitalgeber setzten beim Kauf ihrer Anteile an Instagram eine Bewertung von 500 Millionen Dollar an. Aber nur drei Tage nach Abschluss der Finanzierungsrunde erfuhr Kushner im Mexiko-Urlaub, dass Facebook Instagram übernehmen will - für eine Milliarde Dollar. Kushner hatte somit seinen Einsatz verdoppelt.
Mit Thrive Capital hat sich Kushner seither an einer ganzen Reihe guter Start-ups der letzten zehn Jahre engagiert. Neben Instagram etwa bei Spotify, Stripe, Twitch, GitHub und Slack. Oder beim Onlinehändler Jet.com, der 2016 für drei Milliarden Dollar an den Einzelhandelskonzern Walmart verkauft wurde.
Joshua Kushner beschränkt sich nicht aufs Investieren, sondern ist auch selbst Unternehmer. 2013 hat er zum Beispiel zusammen mit dem Deutschen Mario Schlosser die Firma Oscar Health gegründet, einen Anbieter von digitalen Krankenversicherungen, der jetzt mit rund 2,7 Milliarden Dollar bewertet wird. Mit Oscar Health will Kushner den Versicherungsmarkt aufmischen.
Oscar-Kunden können via App kostenlos mit Telemedizinern chatten oder Rezepte empfangen. In Echtzeit. Eine kleine Armee von Krankenschwestern steht von New York oder Arizona aus den Patienten bei Wehwehchen digital zur Seite. Das ist bequem und senkt die Kosten - auch für die Versicherten, die in den USA Behandlungskosten von bis zu 1000 Dollar im Jahr oft selbst tragen müssen.
Joshua Kushner, 1985 in Livingston im Bundesstaat New Jersey geboren, hat neben seinem Bruder Jared auch noch zwei Schwestern. Er genoss eine privilegierte Kindheit, bekam anschließend einen der begehrten Studienplätze an der Elite-Universität Harvard, studierte erst Politikwissenschaften und später auch Wirtschaft. Er sei trotz seiner bescheidenen Schulnoten in Harvard akzeptiert worden, nachdem sein Vater 2,5 Millionen Dollar an die Universität gespendet hatte, schrieb der Pulitzerpreisträger Daniel Golden in seinem Buch "The Price of Admission".
Unternehmer-Familie
Joshuas Vater Charlie war ebenfalls ein erfolgreicher Immobilien-Unternehmer, sein Großvater Joseph, ein polnischer Holocaust-Überlebender, war 1949 nach New York ausgewandert. Ein Handwerker, der nachts auf den Baustellen schlief, um das Busticket zu sparen, und der sein Erspartes in Immobilien investierte. Sein Sohn Charlie, Joshuas Vater, machte einen MBA-Abschluss an der New York University, gründete 1985 die Kushner Companies und baute die Firma zu einem Immobilienimperium aus.
Charlie, der regelmäßig hohe Summen für Kandidaten der Demokratischen Partei spendete, war ein begabter, aber rücksichtsloser Geschäftsmann. Er zwang sich eine spartanische Selbstdisziplin auf, legte vor Arbeitsbeginn 180 Bahnen im Pool zurück oder trainierte für den Marathon. Er kam mit einem Minimum an Schlaf aus, war Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, seine Frau kaufte beim Billigdiscounter.
Charlie Kushner wurde später wegen illegaler Wahlkampffinanzierung, Steuerhinterziehung und unerlaubter Zeugenbeeinflussung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Der Fall wurde zum Skandal und zu einer veritablen Seifenoper, die von den Boulevardmedien genüsslich ausgeschlachtet wurde: Charlie Kushner hatte seine Schwester und ihren Mann verdächtigt, mit der Staatsanwaltschaft kooperiert zu haben. Um sich zu rächen, heuerte Charles eine Prostituierte an, die seinen Schwager verführen sollte. Das Schäferstündchen ließ er heimlich filmen und schickte die Aufnahmen seiner betrogenen Schwester. Der Staatsanwalt, der ihn damals ins Gefängnis schickte, war übrigens Chris Christie, der gegen Trump später als Präsidentschaftskandidat antrat.
Joshua Kushner hätte nach seinem Studium in die Immobilienfirma seines Vaters eintreten können. Wie sein Bruder Jared. Statt Fußball zu spielen, musste er bereits als kleiner Junge mit seinem Vater Immobilien inspizieren. Später absolvierte er mehrere Praktika im Immobilienbusiness. Nach einem Jahr in der Geschäftsbank-Abteilung von Goldman Sachs entschied er sich aber für eine Karriere als Unternehmer. Es war die Zeit, als Zuckerbergs Erfolg mit Facebook das Silicon Valley faszinierte. Bereits während des Studiums hatte Joshua Kushner mehrere Start-ups mitbegründet, zum Beispiel die Onlineplattform Unithrive oder Vostu, eine brasilianische Gaming-Plattform mit heute 40 Millionen registrierten Nutzern. Für seine Eltern war dies alles ziemlich verwirrend. "Während der ersten drei Jahre glaubte meine Mutter, dass ich eigentlich bloß Computer repariere", sagte Kushner in einem Interview.
Joshuas "Uniform" besteht aus einem schwarzen Pulli, schwarzen Jeans und Turnschuhen - er scheut das Rampenlicht. Und wenn er dem Stress entfliehen will, zieht er sich aufs Land zurück, in eine Hütte aus Stein mit einem großen Kamin. Mal allein, mal mit Freundin Karlie.