Am 23. September war es wieder so weit: Die Zusammensetzung des deutschen Leitindex DAX hat sich geändert. Und einmal mehr hat das Märchen vom Index-Frontrunning, also das Vorgreifen von Indexanpassungen, die Runde gemacht. Die Geschichte lautet in etwa so: Wenn Indexanpassungen bekannt gegeben werden, können findige Manager die Wochen zwischen der Bekanntgabe und der Indexanpassung nutzen, um ihr Portfolio bereits anzupassen. ETFs und Indexfonds dagegen müssen bis zum Termin der Indexanpassung warten und diese dann eins zu eins vollziehen. Dadurch seien ETF-Anleger zwangsläufig im Nachteil. Doch stimmt das?
Implizit wird angenommen, dass die Bekanntgabe der Indexanpassung eine neue Information in den Markt bringt. Das ist so nicht korrekt. Denn das Regelwerk für die Aufnahme in den DAX ist öffentlich bekannt, mit wenigen Informationen kann jeder Marktteilnehmer mögliche Veränderungen bereits vorher selbst ermitteln. Doch was ist mit den findigen Managern, die nun Aktien vor Indexanpassung kaufen und verkaufen? Treiben wir es doch mal auf die Spitze: Wenn das Phänomen so vorliegen würde, wäre es einem Fondsmanager möglich, dauerhaft besser zu sein als der Index, indem die Anpassungen vorweggenommen werden und die Nachfrage durch ETFs und Indexfonds am Tag der Indexanpassung dann den Kurs in die Höhe treibt (oder im Fall eines Abstiegs umgekehrt). Die Realität sieht jedoch anders aus, die Mehrzahl aller aktiven Fonds schlägt den Markt nicht.
Ziel eines ETFs ist es, die Indexrendite zu liefern. Das heißt aber nicht, dass ETFs zwangsläufig zu jedem Zeitpunkt exakt so allokiert sein müssen wie der Index. ETF-Emittenten haben etwas Spielraum und müssen nicht stumpf jedes Wertpapier kaufen und verkaufen, wenn der Index es diktiert. Angenommen, am Tag einer Indexanpassung müssten tatsächlich alle ETFs und Indexfonds den Indexabsteiger verkaufen und den Indexeinsteiger kaufen. An diesem Tag würde die Masse der gebündelten Verkäufe die Aktie auf eine deutliche Talfahrt schicken, und die Masse der Käufe bei Indexeinsteigern würde dessen Preis in die Höhe katapultieren. Dem ist aber nicht so. Ein weiterer Punkt, der gegen die Mär spricht: Anders als der Index, der einen bestimmten Kurs annimmt, müssten ETFs und Indexfonds jeden Preis akzeptieren, um die Indexanpassung nachzuvollziehen. Die sichtbare Konsequenz wäre, dass ETFs an Tagen der Indexanpassung nennenswerte Abweichungen zum Index aufweisen. Doch auch das ist nicht der Fall.
All das ist schnell überprüfbar. Die Renditen der DAX-ETFs werden den Renditen des DAX gegenübergestellt. Die Differenz aus ETF-Rendite und Indexrendite muss ihre Ursache im Portfolio des ETF haben. Die letzte DAX-Anpassung fand am 24. September 2018 statt, als die Commerzbank ausschied und Wirecard neu aufgenommen wurde. An oder um diesen Tag wäre es bei einem stumpfen Nachvollziehen der Indexzusammensetzung zu einer Ausweitung der Renditedifferenzen zwischen ETF und Index gekommen. Eine solches Phänomen ist jedoch nicht nachweisbar. Von zehn DAX-ETFs zeigte kein einziges Produkt eine Abweichung zu den sonst typischen Renditedifferenzen. Konkret bewegten sich die Renditedifferenzen der zehn ETFs zwischen minus 0,0011 Prozent und 0,0008 Prozent. Nein, hier klemmte nicht die Null-Taste, ETFs sind tatsächlich so präzise.
Würde man selbst Experten eine Grafik mit Renditedifferenzen ohne Zeitangabe zeigen - es würde wohl dort niemand den Tag der Indexanpassung anhand von Auffälligkeiten finden. Ein viel wichtigerer Aspekt für Anleger ist: Indexanpassungen sorgen dafür, dass erfolgreiche Unternehmen in einen Index aufgenommen werden und weniger erfolgreiche ihn verlassen müssen. Diese Mechanik sorgt dafür, dass Indexanleger automatisch in Unternehmen investieren, die langfristig Werte schaffen.
Zum Autor: Kai Hattwich
Der Autor lernte Bankkaufmann und studierte Finanzmanage- ment in Nürtingen, Melbourne und Vilnius. Er verantwortet als Mitglied des Anlageausschusses der Quirin Privatbank und des Robo-Advisors Quirion die strategische Allokation und entwickelte den hauseigenen Produktauswahlprozess für ETFs. Die Quirin Privatbank bietet seit Mai 2019 eine nach- haltige Vermögensverwaltungsstrategie an.