Anleger haben turbulente Wochen hinter sich. Wie erfahrene Profis agiert haben und was in den kommenden Monaten vermutlich noch vor uns liegt, erklärt Ulrich Kaffarnik, Kapitalmarktstratege bei der Fondsgesellschaft DJE.
Euro am Sonntag: Herr Kaffarnik, viele Anleger haben im vergangenen Jahr mit dem Investieren begonnen und erleben nun ihre erste Krise. Wie sind Sie, die Profis, mit dem Kriegs-Crash umgegangen?
Ulrich Kaffarnik: Sicher, für manche ist das eine neue Situation. Für uns allerdings nicht. Es ist ja nicht nur die bedauernswerte Entwicklung in der Ukraine, sondern es waren vorher schon auf der Zinsseite Anlagerisiken erkennbar. Da stellt man sich einfach etwas defensiver auf.
Wie sieht das im Detail aus?
Da gibt es relativ simple Möglichkeiten: Man verkauft einen Teil des Portfolios und legt das Geld in die Kasse. Man sichert sich mit Derivaten ab, sowohl auf der Rentenseite als auch auf der Aktienseite. Auf der Rentenseite durch durationsverkürzende Maßnahmen, weil der Trend zu steigenden Zinsen da ist. Bei Aktien, indem man die Quote runterfährt. Wo die Möglichkeiten da sind, nimmt man die Dollarquote etwas hoch, weil der Dollar in einer Krisensituation die klassische Absicherung ist, natürlich neben Gold. Man verlässt den Markt möglichst aber nicht vollständig. Das ist eine Herausforderung für uns genauso wie für die Privatanleger: Wenn man rausgeht, wann geht man dann wieder rein? Es klingelt ja bekanntlich niemand, wenn der Markt den Boden erreicht hat. Keiner weiß, wie schnell sich die Dinge entwickeln. Also stellt man sich defensiver auf und versucht, selektiv Chancen zu nutzen.
Wie reagieren Ihre Kunden?
Es gibt einen höheren Gesprächsbedarf. Nach dieser steilen Hausse sind die Menschen an eine solche Situation natürlich kaum noch gewöhnt. Es gab aber keinerlei Mittelabflüsse bis jetzt. Wobei man nicht vergessen darf: Der DAX ist stärker betroffen als der S & P 500, bei dem so gut wie nichts passiert ist.
Waren DJE-Publikumsfonds in russischen Aktien engagiert?
Wir hatten kleine Positionen in russischen Anleihen. Auch eine Mini-Position in russischen Aktien im Rahmen der Gesamtstrategie.
Was sehen Sie jetzt als bestimmende Faktoren für Investoren?
Ein Faktor ist relativ stabil geblieben, das ist die Zinswende in den USA und - mit etwas weniger Bedeutung - auch in Europa. Es lässt sich darüber streiten, ob die Fed ein bisschen langsamer agiert, weil die Konjunkturrisiken zugenommen haben, oder ob die EZB erst später handelt. Aber das kann Ihnen kein Mensch sagen, weil keiner weiß, wie dieser Krieg weiter verläuft. Als Asset Manager sollte man jetzt, ganz pauschal gesprochen, Chancen und Risiken abwägen und dann versuchen, selektiv Chancen zu nutzen. Auf der anderen Seite gilt es auch wieder, Risiken herauszunehmen.
Was meinen Sie damit?
In dem Moment, in dem wir sprechen, haben Ölaktien vielleicht das größte Risiko, weil es gerade danach aussieht, dass Russland seine Lieferverpflichtungen einhält. Ähnlich schaut es mit der Unsicherheit und dem Sentiment bei Gold aus. Wobei das in zwei Tagen wieder anders sein kann. Also insgesamt braucht es sehr viel Flexibilität. Interessanterweise hatten wir diese Einschätzung schon Ende des vergangenen Jahres. Und diese Einschätzung hat sich noch mal verstärkt: hohe Volatilität, die eine hohe Flexibilität erforderlich macht.
Haben Sie Ihre Renditeerwartungen gesenkt?
Die waren sowieso nicht so hoch. Nach dem unglaublichen Jahr 2021 haben wir schon gesehen, dass hier erst einmal "Schmalhans der Küchenmeister" ist und dass sich die Risiken jetzt vergrößert haben. Mit kurzfristigen Renditeerwartungen zu argumentieren, ist meines Erachtens überhaupt der größte Fehler, den man machen kann. Die kurzfristigen Prognosen sind risikoreicher als langfristige Prognosen. Wir plädieren deshalb auch dafür, sich nicht zu stark von der aktuellen Situation beeinflussen zu lassen. Die mittelfristigen Prognosen haben sich nicht geändert, und da waren wir schon im letzten Jahr sehr vorsichtig im mittleren einstelligen Bereich. Es ist ja auch nie gleich verteilt. Da hat man mal ein Jahr mit minus zehn Prozent und im nächsten dann mit plus 20 Prozent. Dieser Wunschtraum der Anleger, jedes Jahr immer vier oder fünf Prozent zu erzielen, ist leider pure Illusion.
Vor dem Krieg war der Favoritenwechsel von Value zu Growth das dominierende Thema im Fondsbereich. Bleibt es dabei?
Nein, da war ich im Januar schon vorsichtig. So hoch wie vor vier Wochen war der Value-Bereich seit sehr langer Zeit nicht gewichtet. Ich glaube eher daran, dass sich die Rotation von Growth zu Value und wieder zurück das ganze Jahr fortsetzen wird.
Sie haben davon gesprochen, selektiv Chancen wahrzunehmen. Wo finden Sie die?
In allen Branchen gibt es Qualitätswerte, die kurzfristig stark unter Druck kommen, wo wir dann sehr selektiv kaufen.
Gibt es Märkte, die Sie bevorzugen?
Europa ist seit gefühlt ewigen Zeiten attraktiver als die USA, aber trotzdem laufen die USA grundsätzlich besser. Ähnliches gilt für Europa und die USA im Vergleich zu Schwellenländern. Es gibt immer mal kurzfristige Phasen, in denen das anders ist. In den ersten Wochen des Jahres etwa war Europa mit den Zyklikern besser vertreten. Und das ist dann sehr schnell wieder passé. Für längere Zeiträume glaube ich, dass die USA besser laufen werden.
Wie sieht es bei Rohstoffen aus, über Öl und Gold hinaus?
Da sehen wir natürlich viel Knappheit, gerade bei Rohstoffen wie Palladium oder Nickel, wo Russland eine große Rolle spielt. Da sehen wir Bereiche, die wirklich sehr aufgeheizt und spekulativ sind. Generell sind diejenigen Metalle interessant, die vom Umbau in Richtung grüne, erneuerbare Energien profitieren. Kupfer zum Beispiel. Aber auch das ist eine langfristige Geschichte.
DJE hat in den vergangenen Jahren stark an der ESG-Integration gearbeitet. Wie sehen Sie in dem Zusammenhang die Renaissance der Ölbranche?
Das war im letzten Jahr durchaus schwierig. Viele Renewables-Titel haben stark verloren. Die Energiewende war ein Riesenthema in den Medien, an den Märkten verlief die Entwicklung deutlich schwieriger. Zugleich können wir bestimmte Ölunternehmen, die beim ESG-Scoring durchfallen, nicht kaufen. Das trifft aber nicht auf alle zu.
Und wie beurteilen Sie die Rufe von Waffenherstellern, die jetzt auch gern als nachhaltig eingestuft werden wollen?
Das zeigt, dass alles in dieser Situation möglich ist - und dass alle Grundsätze hintangestellt werden können. Sollte wirklich versucht werden, Waffenhersteller in der EU-Taxonomie als nachhaltig einzustufen, dann wäre das schon ein Stück aus dem Tollhaus.
DJE - Multi Asset: Ziel des von Ulrich Kaffarnik verwalteten Multi-Asset-Portfolios ist eine positive und möglichst schwankungs-arme Entwicklung in jeder Phase. Aktuell liegt der An-teil von Anleihen bei 44, der von Aktien bei 37 Prozent.