Dabei ging es um das "PSPP" getaufte Anleihenkaufprogramm der Währungshüter, mit dem die Konjunktur seit 2015 angeschoben werden soll. Die Richter hatten dieses im Mai 2020 für teilweise verfassungswidrig eingestuft und gefordert, dass die Währungshüter die Verhältnismäßigkeit der Käufe nachweisen müssten. Ansonsten sei es der Bundesbank untersagt, an den Käufen teilzunehmen. Karlsruhe gab nun endgültig Entwarnung: Die Anträge von Lucke und Gauweiler seien sowohl unzulässig als auch unbegründet.

Mit dem Karlsruher Urteil kann die EZB auch für die Zukunft mit dem Programm planen, für das die Bundesbank angesichts des volkswirtschaftlichen Gewichts Deutschland besonders wichtig ist. Es könnte nach der Pandemiekrise die ebenfalls umstrittenen Corona-Nothilfen als ein zentrales Instrument der Währungshüter ersetzen.

Das Bundesfinanzministerium begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Die Rechtsauffassung der Bundesregierung werde bestätigt. Gauweiler zeigte sich enttäuscht. Indem die Anträge für unzulässig erklärt worden seien, lasse Karlsruhe "die Nichtbeachtung seines Urteils durch die EZB, die Bundesregierung und den Bundestag ungerügt."

"Die Entscheidung ist auf ganzer Linie positiv für die EZB", so das Fazit von ING-Ökonom Carsten Brzeski. Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung um die EZB-Anleihekäufe im Rahmen des PSPP vor der Pandemie seien damit "endgültig ad acta gelegt", pflichtete ihm Volkswirt Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW bei.

Der EZB-Rat hatte als Reaktion auf das Karlsruher Urteil vom Mai 2020 Dokumente für die Bundesregierung und den Bundestag freigegeben, mit denen die Verhältnismäßigkeit des Anleihenkaufprogramms belegt werden sollte. Der Bundestag bestätigte im Juli 2020 mit deutlicher Mehrheit, dass die Vorgaben des Karlsruher Urteils umgesetzt worden seien.

Die Verfassungsrichter bescheinigten nun ihrerseits Bundesregierung und Bundestag, sich mit den Beschlüssen des EZB-Rates und "der hierbei erfolgten Prüfung und Darlegung der Verhältnismäßigkeit des PSPP" inhaltlich befasst und diese für ausreichend befunden zu haben. Es sei nicht ersichtlich, dass sie dabei ihren Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum überschritten hätten. (AZ: 2 BvR 1651/15 und 2 BvR 2006/15)

Ob die vom EZB-Rat vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung den materiellen Anforderungen der im EU-Vertrag festgelegten Vorschriften in jeder Hinsicht genüge, sei für das vorliegende Verfahren nicht entscheidend, so die Richter. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte das PSPP 2018 als rechtens bewertet.

In Deutschland sind die Staatsanleihenkäufe seit Jahren umstritten. Die Entscheidung aus Karlsruhe betrifft zwar nicht das billionenschwere EZB-Programm zur Bekämpfung der Virus-Krise - kurz PEPP, das den Währungshüter mehr Flexibilität beim Ankauf von Wertpapieren bietet als das PSPP. Doch auch gegen die Corona-Nothilfen liegt eine Verfassungsbeschwerde vor. Und die AfD-Bundestagsfraktion hat in Karlsruhe eine Organklage eingereicht.

"RICHTER WOLLTEN PROGRAMM NICHT STOPPEN"


ZEW-Ökonom Heinemann sieht auch vor diesem Hintergrund mit dem Karlsruher Beschluss die europa- und verfassungsrechtliche Auseinandersetzung um Anleihekäufe noch keineswegs für dauerhaft beendet an. In der Pandemie habe der EZB-Rat viele der Sicherheitsvorkehrungen kassiert, die eine per EU-Vertrag verbotene monetäre Staatsfinanzierung verhindern solle. Das Eurosystem kaufe Staatsanleihen heute "stark selektiv mit Übergewicht der Hochschuldenstaaten". Die Schlüsselrolle der EZB für die Staatsfinanzierung sei in der Pandemie zu vertreten, aber sicher nicht mehr danach, urteilte der EZB-Beobachter.

"Die Karlsruher Richter wollten das EZB-Anleihekaufprogramm offenbar nicht stoppen", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Sie dürften sich seiner Ansicht nach bewusst sein, dass die Ursachen der Staatsschuldenkrise in Ländern wie Italien nicht gelöst seien. "Ein erzwungenes Einstellen der Anleihekäufe könnte somit an den Finanzmärkten Zweifel an der Stabilität der Währungsunion aufkommen lassen."

Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar hält es für wichtig, dass die EZB zügig einen Ausweg aus den immer weitreichenderen Anleihekäufen weise. "Die Risiken und Kollateralschäden werden stetig größer. Auch die Mitgliedsstaaten der Eurozone müssen aber endlich begreifen, dass nicht immer höhere Staatsschulden, sondern einzig und allein Strukturreformen für Wirtschaftswachstum das Problem auf Dauer lösen werden."

rtr