Gazprom meldet, dass die Pipeline Nordstream 1 aufgrund eines Lecks geschlossen bleiben muss. Vorerst kommt gar kein Gas mehr nach Europa. Die Börsen, welche sich bis dahin auf Erholungskurs befunden hatten, brechen ein. Kommt jetzt der erneute Crash? Von Marian Kopocz und Frank Pöpsel
"Der Gastransport zur Nord-Stream-Pipeline wurde bis zur Behebung der Mängel vollständig eingestellt", vermeldet Gazprom am Freitagabend. Schuld daran sei ein Ölleck bei der Gasverdichtungsanlage in Portowaja in der Nähe von Sankt Petersburg, wie der russische Staatskonzern mitteilte. Ob dies der wirkliche Grund ist oder ob eher politische Interessen dahinterstehen, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Eigentlich hätte ab Samstag wieder Gas durch die Pipeline fließen soll, welche seit Mittwochmorgen gewartet wurde. Bereits in der Vergangenheit habe es solche Ölaustritte gegeben, sagt Gazprom. Ein sicherer Betrieb sei somit nicht gewährleistet.
In einer ersten Reaktion zeigten sich die Aktienmärkte schockiert. Die wichtigen Indizes sackten um mehrere Prozent ab. Ein Crash wird wieder wahrscheinlicher.
Welche Rolle kommt Siemens Energy zu?
Mal wieder nicht gut weg bei dieser Geschichte kommt der Siemens-Konzern mit Tochter Siemens Energy. Unabhängig ist dies noch nicht bestätigt, doch sollen Siemens-Techniker auch bei der Wartung anwesend gewesen sein und die Ergebnisse samt der Erkenntnis: "Ölleck" mitunterzeichnet haben. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Probleme mit Siemens-Gasturbinen, welche in der Pipeline zum Einsatz kommen. Zudem soll es bei mehreren Turbinen zu Fehlern gekommen sein, welche Siemens Energy nur in bestimmten Werkstätten reparieren kann.
Nachdem sich Siemens Energy zunächst noch nicht dazu geäußert hatte, teilte der Konzern am Freitagabend mit: "Als Hersteller der Turbinen können wir lediglich feststellen, dass ein derartiger Befund keinen technischen Grund für eine Einstellung des Betriebs darstellt." Denn normalerweise würden solche Leckagen den Betrieb einer Turbine nicht beeinträchtigen. "Unabhängig davon, haben wir bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass in der Verdichterstation Portowaja genügend weitere Turbinen für einen Betrieb von Nord Stream 1 zur Verfügung stehen", erklärte das Unternehmen.
Auch der Gazprom CEO Alexei Miller äußerte sich zu diesem Thema und ließ durchblicken, dass Siemens Energy aufgrund der Sanktionen des Westens gegen Russland die benötigten Reparaturen an den Gasturbinen gar nicht durchführen könne. Frei übersetzt sagte Miller laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax: "Siemens hat derzeit kaum die Möglichkeit, unsere Gasförderanlagen regelmäßig zu überholen. Siemens kann diese Arbeit einfach nirgendwo erledigen."
Die Märkte spielen verrückt
Fakt ist, dass vorerst wohl kein weiterer Kubikmeter Gas von Russland durch Nordstream 1 geliefert wird. Ob und wann dies wieder Fall sein kann, steht am Freitagabend noch nicht fest. Gazprom meldetet den Ausfall der gesamten Pipeline bis auf unbestimmte Zeit.
Der Dax hatte gegen 17:30 Uhr den Handel noch mit einem Plus von mehr als drei Prozent beendet. Erfreuliche Arbeitsmarktzahlen aus den USA hatten den Druck weiterer Zinserhöhungen auf die FED gesenkt. Drei Stunden später steht das Tagesplus im außerbörslichen Handel beim Dax nur noch bei 0,8 Prozent. Auch die US-Indizes, welche sich rund ein Prozent im Plus befanden, sanken in den Verlustbereich.
Zwar sind die Gasspeicher in Deutschland mit rund 84 Prozent und in der EU mit fast 85 Prozent gut gefüllt. Doch falls gar kein Gas mehr aus Russland kommen sollte und das womöglich für Wochen oder gar über den ganzen Winter, dann wird es doch wieder eng mit der Gasversorgung. Und dadurch dürfte der Gaspreis und am Ende der Strompreis unweigerlich steigen. Da nämlich beim Strompreis durch das MERIT-System immer der teuerste Stromerzeuger – in diesem Fall die Gaskraftwerke – den Preis bestimmen, dürfte der Strommarkt wieder Kapriolen schlagen.
Fazit
Ob es sich wirklich um technische Probleme handelt oder eher politische Gründe dahinterstecken, kann jeder für sich entscheiden. Fakt ist, dass die Märkte wieder in Mitleidenschaft gezogen werden. Und nicht nur sie: Auch die Realwirtschaft und die Geldbeutel der Konsumenten dürften weiter unter dem Gasstopp leiden. Somit nimmt der Druck auf die Wirtschaft und damit auch auf die Märkte zu. Ohnehin befinden sich die Börsen aktuell an einer ganz empfindlichen Stelle: Sie sind nur noch knapp über den Tiefs aus dem Juni/Juli. Wird das Tief gerissen, so wird es deutlich weiter abwärts gehen – der Crash wird sich fortsetzen. Mit ungewissem Ausgang.