Zehn Jahre sind für einen Fonds ein bemerkenswertes Alter. Vor wenigen Tagen durfte der DWS Concept Kaldemorgen dieses Jubiläum feiern. Am 2. Mai 2011 war das Produkt gestartet - als flexibler Multi-Asset-Fonds mit einer strikten Kontrolle des Risikos.
An diesem Ansatz hat sich in der zurückliegenden Dekade nichts geändert, am Marktumfeld dafür umso mehr. Niedrige Zinsen sind zur Gewohnheit geworden, Technologie- und Internetkonzerne zum neuen Maßstab für Größe und Marktmacht. Die Frage, wie nachhaltiges Wirtschaften gelingen kann, ist mittlerweile in aller Munde. Und momentan wirbelt eine Pandemie mit ihren Folgen die Börsen durcheinander.
Klaus Kaldemorgen hat seinen Fonds in dieser Zeit durch sämtliche Höhen und Tiefen gelenkt. Für den 67-Jährigen sind zehn Jahre nur eine Phase in seiner langen Karriere bei der DWS. 1982 fing er bei dem deutschen Fondshaus an und die Chancen stehen gut, dass er die 40 Jahre beim gleichen Arbeitgeber vollmachen wird.
Zum zehnten Geburtstag seines Portfolios stellte er sich den Fragen von €uro am Sonntag. Die Redaktion sprach mit ihm über Verzerrungen bei Aktien und Anleihen, fehlende Anlagealternativen - und darüber, dass wir uns an höhere Preise werden gewöhnen müssen.
€uro am Sonntag: Auf Jahressicht liegen die meisten Aktienindizes weit im Plus, viele haben neue Allzeithochs erreicht. Sind die starken Kurszuwächse der vergangenen Monate gerechtfertigt?
Klaus Kaldemorgen: Es ist richtig: Die Kursbewegungen waren groß und die Anstiege sehr schnell. Ob sie gerechtfertigt waren, ist schwierig zu beantworten. Viele Anleger werfen einen Blick auf die Bewertungen der Unternehmen an der Börse, um eine Antwort zu finden. Doch um Bewertungen geht es momentan gar nicht.
Worum dann?
Die aktuelle Rally basiert zum einen auf Hoffnung - Hoffnung, dass die Corona-Krise beendet wird und es anschließend zu einem starken Aufschwung kommt. Das kann die Kurszuwächse der vergangenen Monate aber nicht vollständig erklären. Noch viel wichtiger ist der zweite Grund: die andauernden Nullzinsen mit einer nie zuvor gesehenen Ausweitung der Geldmenge. Das gilt für alle wichtigen Märkte: für die USA genauso wie für Europa und - in etwas kleinerem Maß - auch für Japan. Das Geld sucht seine Anlage. Es fließt zurzeit nicht in Konsum, sondern in die Kapitalmärkte und treibt so die Kurse.
Finden Sie nicht, dass Aktien mittlerweile ziemlich teuer sind?
Kapitalmärkte funktionieren relativ. Es gibt eine Auswahl an unterschiedlichen Anlagemöglichkeiten: Aktien, Anleihen, das Sparbuch oder zum Beispiel auch teuren Wein, Bilder, Oldtimer. Wenn ich das alles miteinander vergleiche, dann kann ich wirklich nicht feststellen, dass Aktien exotisch teuer sind. Schauen Sie sich das Leitzinsniveau an: Das liegt bei null Prozent. Oder Unternehmensanleihen von Versorgern oder Telekommunikationskonzernen - da bekommen Sie bei zehn Jahren Laufzeit vielleicht ein Prozent pro Jahr. Jede Aktienanlage ist interessanter als das! Solange die Geldmenge expansiv ist und die Zinsen niedrig sind, ist keine Verzerrung auf dem Aktienmarkt zu sehen.
Aber woanders?
Wenn etwas aktuell zu teuer ist, dann der Anleihemarkt. Möchten Sie eine Anlage besitzen mit einer Laufzeit von 100 Jahren und dafür ein Prozent jährlich bekommen? Die können Sie haben!
An Ihrer Aussage, dass es keine Alternative zu Aktien gibt, hat sich also nichts geändert?
Richtig, es gibt bei liquiden Anlagen keine vernünftige Alternative zu Aktien. Das heißt natürlich nicht, dass ich in meinem Portfolio 100 Prozent Aktien besitzen will. Wichtig ist eine Streuung über verschiedene Vermögenswerte. Das gilt für meinen Fonds, aber auch für die meisten Privatanleger.
Die von Ihnen gerade gescholtenen Anleihen finden sich aber auch in Ihrem Portfolio.
Das sind überwiegend kurz laufende Anleihen mit "AAA"-Rating. Die halte ich, um das Risiko zu senken. Unternehmensanleihen habe ich auslaufen lassen. Bei diesen wird als Folge der Niedrigzinsen das eingegangene Risiko in keinster Weise mehr kompensiert.
Sie haben gesagt, dass die Aktienmärkte zu einem großen Teil von den Niedrigzinsen getragen werden. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich dieser Treiber in den kommenden sechs bis zwölf Monaten abschwächt?
Wir werden in den wichtigen Volkswirtschaften in nächster Zeit keine Zinsänderungen sehen. Aber einige Notenbanken könnten darüber nachdenken, ihre Anleihenkäufe zurückzufahren. Das wird man sich an den Aktienmärkten dann sehr genau ansehen. Die etwas festere Geldpolitik müsste dann durch höhere Gewinne auf Unternehmensseite kompensiert werden. Die Rally der vergangenen Monate wird sich nicht unbegrenzt fortsetzen.
Erwarten Sie zum Jahresende höhere Kurse als heute?
Schauen Sie sich die Börsen Stand heute an. Der globale Aktienindex MSCI All Country World liegt seit Jahresbeginn mit rund elf Prozent im Plus. Wenn das am Ende herauskommt, wäre 2021 ein verdammt gutes Aktienjahr gewesen.
Viel mehr Luft nach oben sehen Sie also zunächst nicht?
Ich kann mir vorstellen, dass die Kurse zwischendurch höher stehen werden als heute. Aber nicht zwingend zum Jahresende.
Nach dem Börsenaufschwung der vergangenen Monate stellen sich viele Anleger die Frage, ob auf dem aktuellen Niveau ein Einstieg sinnvoll ist.
Natürlich sollten sie einsteigen! Was ist denn die Alternative? Wer Geld investiert, will das Potenzial nutzen, das die Kapitalmärkte langfristig bieten, und sollte nicht bloß darauf schauen, dass die Kurse zum Ende des Jahres höher stehen. Manche Werte bieten im Übrigen mittlere einstellige Dividendenrenditen - das ist auch ganz ohne Kurszuwächse attraktiv.
Gibt es bestimmte Branchen oder Regionen, die Sie bei Aktien zurzeit favorisieren?
Sich bei der Aufteilung des Vermögens an Regionen zu orientieren, funktioniert nicht mehr gut. Bestimmte Branchen sind weltweit ungleich verteilt. Streng nach Sektoren anzulegen, klappt auch nicht mehr.
Wie lässt sich die Ausrichtung Ihres Portfolios dann beschreiben?
Die Aktien in meinem Fonds ordne ich vier Töpfen zu. Den ersten bezeichne ich als "digitale Ökonomie und Technologie". Dazu gehören zum Beispiel Zahlungsdienstleister, etwa Kreditkartenunternehmen, der Bereich E-Commerce oder Chiphersteller. Auch wenn das sehr unterschiedliche Unternehmen sind, ist diese Gruppe relativ homogen: Alle Firmen profitieren von der Digitalisierung. Im zweiten Topf sind zyklische Unternehmen, die von einem Wirtschaftsaufschwung stark profitieren.
Mit denen dürften Sie in den vergangenen sechs Monaten besonders gut gefahren sein …
Ja, das ist richtig. Zyklische Aktien haben sich seit dem vierten Quartal 2020 sehr ordentlich nach oben entwickelt. Der Topf hat sich in dieser Zeit fast verdoppelt.
Es gibt Investoren, die schon wieder das Ende dieser Phase ausrufen. Setzt sich die Rally der konjunktursensiblen Titel fort?
Ich sage es mal so: Ich plane nicht, diesen Bereich weiter auszubauen. Zykliker sind keine Langfristanlage. Zu Beginn eines Aufschwungs laufen sie hervorragend - so wie jetzt. Aber man muss sich auch wieder von ihnen trennen können.
Was steckt in den anderen beiden Töpfen?
Einen Teil des Vermögens habe ich in defensive Werte investiert - Unternehmen, die weniger vom Wirtschaftswachstum abhängen. Typischerweise stammen diese aus den Sektoren Hauptverbrauchsgüter, also Hersteller von Dingen des täglichen Bedarfs, und Gesundheit.
Und das vierte Segment?
Das ist der Bereich Infrastruktur. Den finde ich als langfristige Anlage extrem spannend. Dazu zählt eine ganze Menge: Telekommunikation, Versorger, Netzwerkunternehmen, Immobiliengesellschaften, Autobahnbetreiber oder auch Müllentsorgung. Diese Aktien bringen zwar keine Superrenditen, aber berechenbare Zuwächse, weil das Geschäft sehr stabil ist.
Sie setzen damit auf recht unterschiedliche Themen.
Für die Steuerung des Risikos ist es wichtig, verschiedene Bereiche abzudecken. Die vier Töpfe halten sich in Sachen Kursentwicklung kurzfristig die Waage. Wenn beispielsweise Zykliker laufen, schwächeln oft defensive Werte. Das gleicht sich aus, was nützlich ist, um beständige Zuwächse zu erzielen. Es kann gefährlich sein, nur auf einzelne Trends zu setzen.
Zurzeit wird viel darüber spekuliert, wie sich die jüngst spürbare Inflation auf die Kapitalmärkte auswirken wird. Sind die höheren Teuerungsraten nur ein temporäres Phänomen oder könnte sich die Inflation verfestigen?
Inflation hat verschiedene Ursachen. Sie entsteht vor allem, wenn es zu Knappheit kommt und die Nachfrage nicht befriedigt werden kann. Zurzeit herrscht etwa eine hohe Knappheit bei Halbleitern. Bei Löhnen ist das ähnlich. Bestimmte Talente werden gesucht und entsprechend gut entlohnt. Momentan gibt es eine Sondersituation. Die Menschen haben viel Geld auf ihren Sparkonten - diese Zurückhaltung kann sich in den kommenden Monaten schnell entladen und die Preise treiben. Bestimmte Dienstleistungen werden mit Sicherheit teurer: Flugreisen, Hotels, aber auch der Friseurbesuch. Die Preise werden schneller steigen, als wir es bisher gewohnt waren. Ich denke, wir gehen bei der Inflation eher in Richtung fünf Prozent als in Richtung zwei Prozent.
Sie sind mit Ihrem Fonds sehr flexibel und setzen zurzeit nicht nur auf steigende Kurse, sondern halten auch Short-Investments. Was verbirgt sich dahinter?
Das ist zum einen eine Maßnahme, um das Risiko zu mindern. Wir haben unseren Anlegern das Versprechen gegeben, die Volatilität einigermaßen niedrig zu halten und möglichst nur geringe Verluste zuzulassen. Ein Aktienanteil von 56 Prozent ist allerdings eine ganze Menge für ein Produkt mit diesem Ziel. Deshalb halten wir als Ausgleich Short-Positionen auf Indizes wie den DAX oder den S & P 500, um die Abhängigkeit vom Aktienmarkt zu verringern.
Wo setzen Sie außerdem auf fallende Kurse?
Bei länger laufenden Staatsanleihen aus den USA. Hier ist das Short-Engagement taktischer Natur. Ich glaube, dass die langfristigen Zinsen das Zeug haben, stärker zu steigen. Anfang 2021 haben sie es bereits getan und sind von 90 auf 160 Basispunkte gestiegen. Mit Short-Positionen auf zehnjährige und 30-jährige US-Staatsanleihen profitiere ich davon, wenn die Zinsen steigen und dadurch die Kurse der Papiere fallen. Bislang ist das gut aufgegangen.
Anfang 2020 war mal im Gespräch, dass Sie im Mai 2021 - also in diesen Tagen - in den Ruhestand gehen wollen. Schon kurze Zeit später war das allerdings vom Tisch. Werden Sie die Anleger noch ein wenig begleiten?
Ich werde der DWS über 2021 hinaus erhalten bleiben, denn die Arbeit macht mir Spaß und die Zusammenarbeit mit meinen Stellvertretern Henning Potstada, Christoph Schmidt und Thomas Graby ist überragend gut. Ich bin nicht nur zufrieden, dass sich der DWS Concept Kaldemorgen gut entwickelt, sondern auch die ergänzenden Fonds, die wir im Team managen.
Welche sind das?
Auf der einen Seite der DWS ESG Dynamic Opportunities, der als Multi-Asset-Fonds etwas mehr Risiko eingeht als der DWS Concept Kaldemorgen, und auf der anderen Seite der DWS Invest Conservative Opportunities, der deutlich risikoärmer ist.
Zum Abschluss: Gibt es etwas, was Anleger zurzeit besonders beherzigen sollten?
Ich höre momentan oft die Frage: "Was ist, wenn Corona zu Ende ist?" Das ist mir zu fixiert auf die Pandemie-Zahlen. Die Pandemie hat die Märkte nur mittelbar beeinflusst. Unmittelbar ausgewirkt haben sich dagegen die expansive Geldpolitik und Fiskalpolitik. Die Anleger sollten weniger auf Covid-Zahlen achten als auf diese beiden Säulen. Sie haben den entscheidenden Einfluss auf die Kapitalmärkte.
Vita:
Treuer Geldvermehrer
Klaus Kaldemorgen ist eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Fondsindustrie. Der 67-Jährige arbeitet seit 1982 für die DWS. Anfangs lenkt er Fonds für Rohstoffe und Anleihen, doch bald widmet er sich dem Thema Aktien. 1994 übernimmt er den DWS Vermögensbildungsfonds I und managt ihn fast zwei Jahrzehnte lang. Von 2003 bis 2010 gehört Kaldemorgen zur Geschäftsführung der DWS, davon gut vier Jahre als deren Sprecher. Vor zehn Jahren wird ihm eine besondere Ehre zuteil: Im Mai 2011 startet er mit einem Fonds, der seinen Namen trägt: dem DWS Concept Kaldemorgen.
Der Fonds:
Viele Freiheiten
Seit zehn Jahren ist der DWS Concept Kaldemorgen (ISIN: LU 059 994 689 3) am Markt und mittlerweile elf Milliarden Euro schwer. Der Fonds kombiniert verschiedene Anlageklassen: Aktien spielen zurzeit die Hauptrolle, Anleihen und Gold werden als Stabilisatoren und zur Diversifikation eingesetzt. Portfoliomanager Klaus Kaldemorgen will Anleger an steigenden Märkten angemessen beteiligen und gleichzeitig einen gewissen Schutz des Kapitals bei fallenden Märkten bieten. Ziel ist es, die Schwankungsbreite des Anteilwerts und mögliche Verluste in einem Kalenderjahr im einstelligen Prozentbereich zu halten.