Pralinen, Kaffee und Wein gibt es häufig als Auslese. Wegen der besonderen Qualität des verarbeiteten Kakaos, handverlesener Kaffeebohnen oder der edlen Rebsorte versprechen Produzenten Genießern ein einzigartiges Geschmackserlebnis. Auch am Aktienmarkt kommt es entscheidend auf die Auswahl an. Echte Spezialitäten, mit denen sich der größere Renditehunger auch von spekulativen Investoren stillen lässt, tummeln sich auch und gerade in der zweiten und dritten Börsenreihe. Dort sind Aktien mit einer vergleichsweise geringen Kapitalisierung angesiedelt, sie stehen weniger im Fokus als etwa die Dickschiffe aus dem DAX. Passend dazu bezeichnet sie der Fachjargon als Small Caps oder Nebenwerte.

Bei Börsenprofis mit dem entsprechenden Know-how sind die kleinen Titel hoch angesehen. "Deutsche Nebenwerte haben beste Voraussetzungen, bei Themen wie Digitalisierung, Klimawandel oder auch Mobilität eine Führungsrolle zu übernehmen", sagt etwa Björn Glück von der Fondsgesellschaft Lupus alpha. Glück zählt in Deutschland zu den ausgewiesenen Experten für dieses Segment. Er verwaltet den mehr als 600 Millionen Euro schweren Nebenwertefonds Smaller German Champions von Lupus alpha.

Der deutsche Mittelstand überzeugt demnach mit hoch spezialisierten Produkten und Diensten und nutzt erfolgreich Megatrends, wie etwa die Digita­lisierung, um die Geschäfte anzukurbeln. Ein weiteres Argument für Nebenwerte ist die derzeitige Phase des konjunkturellen Zyklus: "Mit einer potenziellen ökonomischen Erholung kehrt bei den Investoren meist der Mut zum Risiko zurück", so Glück. Davon könnten die häufig illiquideren Nebenwerte profitieren. In seiner täglichen Arbeit stellt der Fondsmanager darüber hinaus eine Rückkehr der Investoren zur Fundamentalanalyse fest. "Daraus dürfte sich für die nächsten Jahre ein ­gutes Stockpicking-Umfeld ergeben", meint Björn Glück.

Ein starker Jahrgang


Schon im vergangenen März hat sich die Redaktion von €uro am Sonntag auf die Suche nach lukrativen Geheimtipps gemacht. Unser Stockpicking im Nebenwertesegment erfolgte nach drei Kriterien: Gewinnwachstum, Bilanzqualität und Dividendenkontinuität. In Ausgabe 11/2019 stellte die Redaktion ihre Auslese vor. Schon jetzt wissen wir, dass 2019 ein guter Jahrgang war: Im Schnitt haben sich die neun Top-Picks seither um die Hälfte verteuert. Für den SDAX steht in diesem Zeitraum ein Plus von rund 16 Prozent zu Buche.

Mit einem Kursgewinn von 91 Prozent ragt dabei Datagroup heraus. Der IT-Dienstleister beackert Megatrends wie Cloud-Computing oder Big Data und forciert dabei über gezielte Zukäufe den ­eigenen Wachstumskurs. Im Geschäftsjahr 2018/19 (per 30. September) steigerte das Unternehmen laut vorläufigen Zahlen sowohl Umsatz als auch Ergebnis prozentual zweistellig.

Auch wenn die Datagroup-Aktie das hohe Tempo der vergangenen Monate womöglich nicht halten können wird: Anleger sollten dabeibleiben und ihre Gewinne mit einem Stoppkurs absichern. Einschätzungen sowie Ziel- und Stoppmarken zu allen neun im vergangenen Jahr vorgestellten Nebenwerte- Favoriten finden Sie kompakt zusammengefasst in der Tabelle (siehe unten).

Angespornt von unserer erfolgreichen Auslese 2019 haben wir erneut Ausschau nach aussichtsreichen Nebenwerten gehalten. Dabei wird es allerdings immer schwieriger, echte Geheimtipps zu entdecken. Denn bekanntlich befinden sich die Börsen seit nahezu elf Jahren in einem Bullenmarkt.

Die Kriterien haben wir deshalb moderat angepasst: Die Latte bei den Dividenden hängt nun etwas tiefer. 2019 war hier im Fünfjahreszeitraum höchstens eine Stagnation erlaubt. Jetzt drücken wir das eine oder andere Auge zu. Entscheidend ist, dass ein Unternehmen zuverlässig und auf Dauer Gewinne an die Aktionäre auszahlt.

Die anderen Kriterien blieben unverändert. Erneut kamen nur Aktien in die engere Auswahl, die maximal einen Gewinnrückgang in den vergangenen fünf Jahren aufweisen. Zudem müssen sie für 2020 laut Analystenschätzungen ­einen steigenden Überschuss erwarten lassen. Auch an der Prämisse einer Eigenkapitalquote von mehr als 30 Prozent halten wir fest.

Unser Jagdgebiet erstreckte sich über alle deutschen Titel unterhalb der Auswahlindizes DAX, MDAX und SDAX. Mehr als 300 heimische Unternehmen haben wir nach dem skizzierten Schema analysiert. Auf den folgenden vier Seiten stellen wir unsere aktuelle Auslese von sechs Top-Picks vor.

All for One Group


Bei sämtlichen Entscheidungen im Management der All for One Group spielt derzeit der 30. September 2023 eine zentrale Rolle. Auf diesen Termin zielt die Strategieoffensive des IT-Beratungsunternehmens ab. All for One fokussiert sich auf digitale Innovationen wie Cloud oder S/4HANA, das Kernprodukt des wichtigsten Partners SAP. Das Ziel ist klar: Im Geschäftsjahr 2022/23 (per 30. September) möchte Vorstandschef Lars Landwehrkamp einen Umsatz zwischen 550 und 600 Millionen Euro erzielen. Davon soll beim Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) eine Marge von mehr als sieben Prozent hängen bleiben. Gegenüber der abgelaufenen Periode würden die Filderstädter damit ihr Geschäftsvolumen um bis zu rund zwei Drittel steigern. Zugleich peilt Landwehrkamp gegenüber der Periode 2018/19 eine Steigerung der Profitabi­lität, bereinigt um Sondereffekte, von etwa 1,5 Prozentpunkten an.

Ein Schub beim Ebit würde All for One guttun, da diese Kennzahl seit Jahren stagniert. Folgerichtig kam der Spezialwert auch an der Börse kaum vom Fleck. Immerhin hat die IT-Aktie in den vergangenen Monaten etwas Fahrt aufgenommen. Dabei half zum einen der Vorschlag einer stabilen Dividende für die abgelaufene Geschäftsperiode. Zum anderen sollen in diesem Jahr keine Son­dereffekte mehr auf dem Ebit lasten. "Die Initialisierung unserer Strategie­offensive 2022 ist erfolgreich und planmäßig abgeschlossen", erklärt Finanzchef Stefan Land. Behält er recht, dürfte All for One bereits drei Jahre vor dem großen Termin eine deutliche Gewinnverbesserung verbuchen - und den Aufwärtstrend verfestigen.

Einhell Germany


Boden gutmachen konnte in den ­zurückliegenden Monaten auch die ­Einhell-Germany-Aktie. Im Sommer 2019 hatte der Werkzeughersteller die Märkte mit einer Gewinnwarnung geschockt. Vorstandschef Andreas Kroiss musste die für das vergangene Jahr ­angepeilte Ebit-Marge um 1,1 Prozentpunkte auf rund 5,5 Prozent kappen.

Die Niederbayern bekamen den Preisdruck in den Baumärkten zu spüren. Der seit 16 Jahren amtierende Firmenboss nutzte die Korrektur und kaufte im großen Stil Einhell-Aktien. Später griff auch noch sein für die Technik zuständiger Kollege Markus Thannhuber zu. Die umfangreichen Insiderdeals sprechen dafür, dass es sich beim Gewinnrückgang 2019 um einen Ausrutscher handelte. Bereits im laufenden Jahr dürfte das Familienunternehmen in die Wachstumsspur zurückkehren.

Für neuen Schwung soll die internationale Expansion sorgen, seit knapp ­einem Jahr ist Einhell in Nordamerika aktiv. Gleichzeitig bieten die Niederbayern den Heimwerkern eine attraktive Produktpalette. Zu den Vorzeigegeräten zählt das vielseitige Akkusystem Power X-Change. Auch wenn der Preisdruck ein potenzielles Risiko für den Nebenwert bleibt: Die Aktie überzeugt mit einer günstigen Bewertung. Für das laufende Jahr beträgt das KGV weniger als zehn. Selbst wenn die Serie an Dividendenerhöhungen mit dem Ende April ­anstehenden Gewinnverwendungsvorschlag für 2019 wider Erwarten reißen sollte: Das Papier zeigt eine attraktive Rendite von mehr als zwei Prozent. Bei einer Eigenkapitalquote von über der Hälfte können wir auch hinter das dritte Auswahlkriterium, der Bilanzqualität, getrost einen Haken setzen.

M1 Kliniken


Ob Brustvergrößerung, Gesichtsstraffung oder Fettabsaugung - das Geschäft mit Schönheitsbehandlungen läuft bestens. Entsprechend positiv sind die Aussichten für M1 Kliniken. Allein in Deutschland führte der Dienstleister 2019 mehr als 200.000 Behandlungen durch, nach knapp 180.000 im Vorjahr. Nicht nur hierzulande, auch international baut die Gruppe ihre Präsenz aus. Mit zwölf Neueröffnungen erhöhte der Beauty-Spezialist die Zahl seiner ambulanten Zentren für ästhetische Medizin im abgelaufenen Jahr auf insgesamt 36. "Für die kommenden Jahre sehen wir für M1 große Potenziale in Deutschland, Europa und darüber hinaus", erklärt Vorstand Walter von Horstig den Expansionsdrang. 2020 möchte er das Tempo sogar noch einmal erhöhen und das Netzwerk auf 50 Kliniken erweitern.

Commerzbank-Analyst Stephan Klepp erachtet die Kombination von medizinischer Spitzenqualität und fairen Preisen als das Erfolgsgeheimnis der Berliner. "Das Unternehmen schafft es, die Konkurrenz im Allgemeinen um einen Abschlag von 50 Prozent zu unterbieten", schreibt er in einer aktuellen Studie. Während Klepp für 2019 mit einem stabilen Ergebnis rechnet, traut er M1 Kliniken im laufenden Jahr einen Gewinnsprung zu. Konsequenterweise hat der Analyst für 2020 auch bei der Dividende einen Aufschlag in seinen Schätzungen stehen. Eine weitere Kaufempfehlung hat der Spezialwert gerade von Berenberg erhalten. Die Privatbank nahm die Analyse des Titels mit einem Kursziel von 18 Euro auf und räumt dem Klinikbetreiber damit ein Potenzial von rund 15 Prozent ein.

Spannend werden mit Sicherheit die 2019er-Zahlen. Am 15. April präsentiert M1 Kliniken vorläufige Resultate. Sie könnten das bereits anziehende Momentum - auf Sicht von drei Monaten hat sich der Nebenwert um knapp 20 Prozent verteuert - weiter erhöhen.

Stemmer Imaging


Am 27. Februar jährt sich der Börsengang von Stemmer Imaging zum zweiten Mal. Zunächst waren die Anteilscheine des Bildverarbeitungsspezialisten heiß begehrt. Sechs Monate nach dem Debüt notierten sie mehr als die Hälfte über dem Emissionspreis. Doch im Herbst 2018 drehte Stemmer Imaging nach unten. Ausgebremst wurde der Neuling insbesondere von der darbenden Automobilindustrie - hier kommen die Systeme der Bayern beispielsweise bei der Kontrolle von Oberflächen, Sitzen oder Blechteilen zum Einsatz.

Die Aussichten bleiben trotz der Probleme in diesem wichtigen Kundensegment positiv. Laut einer Prognose des Marktforschers Imarc könnten die weltweiten Umsätze in der maschinellen Bildverarbeitung zwischen 2019 und 2024 pro Jahr im Schnitt um 8,2 Prozent wachsen. Stemmer Imaging möchte hingegen stärker zulegen: Mittelfristig soll sich der Umsatz auf mehr als 200 Millionen Euro knapp verdoppeln. Gleichzeitig strebt Vorstandschef Arne Dehn eine operative Marge von zehn bis zwölf Prozent an. Zum Vergleich: In der Geschäftsperiode 2018/19 (per 30. Juni) lag die Profitabilität bei weniger als ­einem Zehntel. "Wir sind bereit, den nächsten Schritt in unserer Strategie zu gehen", erklärt Dehn. Beispielsweise möchte er in die nicht industrielle Bildverarbeitung vorstoßen. Fester Bestandteil der Strategie sind Übernahmen. Zuletzt expandierte Stemmer durch den Kauf der spanischen Infaimon in Richtung Lateinamerika. Trotz der Zukäufe steht das Unternehmen auf einem soliden Fundament, die Eigenkapitalquote beträgt knapp 82 Prozent.

Technotrans


Diese Bilanz ist ein Fels: Mehr als die Hälfte des Kapitals von Technotrans stammt aus Eigenmitteln. Doch dafür konnte sich der Spezialist für Kühltechnologie zuletzt nichts kaufen. Seit 2017 bewegt sich der Kurs des Small Caps in einem Abwärtstrend. 2019 war für Vorstandschef Dirk Engel dabei ein echtes Horrorjahr, gleich zweimal musste er die Prognose nach unten anpassen. Die zweite Gewinnwarnung veröffentlichte Technotrans nur fünf Tage, nachdem das Management beim ersten Kapitalmarkttag ein positives Zukunfts­szenario präsentiert hatte. Zu allem Überdruss eröffnete JP Morgan Ende Oktober eine Short-Position.

Viel Geld dürfte die US-Investmentbank mit ihrer Wette auf fallende Kurse bei dem Small Cap bis dato allerdings nicht verdient haben. Denn relativ zeitgleich mit der Veröffentlichung des prominenten Leerverkäufers startete die Aktie eine bis heute intakte Gegenbewegung. Es spricht einiges dafür, dass im Jahr des 50. Firmenjubiläums bessere Zeiten für das westfälische Unternehmen anbrechen. Technotrans mischt mit seiner Kühltechnologie in Wachstumsmärkten wie E-Mobilität, 3-D-Druck oder künstlicher Intelligenz mit.

Zunächst allerdings gilt es für Dirk Engel die Probleme bei der Tochter Gwk in den Griff zu bekommen. Neben der Konjunkturschwäche bremste vor allem diese Tochtergesellschaft den Konzern zuletzt aus. Sie war nach einer System­umstellung ins Straucheln geraten. Mit einem neuen Geschäftsführer und optimierten Prozessen soll Gwk wieder in die Gänge kommen. Richtungsweisend für den Aktienkurs könnte der 10. März werden. Dann veröffentlicht Techno­trans die Bilanz für 2019. Mutige Anleger setzen darauf, dass der Vorstand den Schrecken des vergangenen Jahres vergessen machen kann.

Villeroy & Boch


Kurz nach Weihnachten sorgte Villeroy & Boch für zwei unangenehme Überraschungen: Zunächst meldete der Hersteller von Tisch- und Sanitärkeramik den Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden Yves Elsen. Einen Tag später kündigte mit Annette Köhler ein weiteres Mitglied des Gremiums den Rückzug an. Auf Anfrage führt Villeroy & Boch die Abgänge auf "persönlich formulierte Gründe" zurück. Weder operativ noch bilanziell lägen Probleme vor.

Für diese Erklärung sprechen die Vorabzahlen. Zwar sind Umsatz und Ergebnis 2019 geschrumpft. Doch im zweiten Halbjahr ist Villeroy & Boch in die Wachstumsspur zurückgekehrt. Ein mögliches Motiv für die Personalro­chade liefert die jüngste Meldung des Unternehmens: Demnach erwägt Villeroy & Boch die Übernahme des Armaturen- und Badkeramikherstellers Ideal Standard - die Prüfung befände sich allerdings noch in einer frühen Phase. Unbestätigten Berichten zufolge soll sich die Eigentümerfamilie bezüglich des Zukaufs nicht einig sein. Finanziellen Spielraum für eine Akquisition hat sich Villeroy & Boch mit einem Immobilienverkauf in Luxemburg verschafft. Der Deal hat einen hohen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag abgeworfen. Auch wenn die Börse verschnupft auf die Kauf­überlegungen reagiert hat: Wir ­setzen darauf, dass Villeroy & Boch nur zu vernünftigen Konditionen zuschlägt und trauen dem Small Cap operativ und an der Börse die Fortsetzung des jüngsten Aufwärtstrends zu.