Herr Dr. Krämer, die Börsen haben am Mittwoch einen schwarzen Tag erlebt. Der Dax gab 2,2 Prozent nach, der Dow verlor 3,15 Prozent, Nasdaq und TecDax rutschten sogar um jeweils mehr als vier Prozent ab, auch am Donnerstag geht es weiter abwärts. Ist die jüngste Hausse Geschichte?
Die Aktienanleger brauchen zur Zeit gute Nerven. Da sind nicht nur die Sorgen vor dem Protektionismus des US-Präsidenten. Darüber hinaus betreibt die populistische Regierung Italiens eine unverantwortliche Haushaltspolitik und ist auf Konfrontationskurs zur EU-Kommission. Hinzu kommt das Risiko eines ungeordneten Brexits. Es wird noch eine Weile dauern, bis Anleger das alles verdaut haben. Insbesondere an den europäischen Aktienmärkten überwiegen kurzfristig die Risiken.
Erst am Mittwoch hat auch noch der IWF vor Finanzmarkt-Turbulenzen gewarnt und dabei neben den Handelskonflikten auch auf steigende Zinsen verwiesen.
Der Internationale Währungsfonds hat seinen regulären Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht. Die Natur dieses Berichts besteht nun einmal darin, auf alle möglichen Risiken hinzuweisen. Aber Kurseinbrüche lassen sich mit einem solchen Standardbericht nicht rechtfertigen.
Also ist der Mix auch Handelskonflikten und Zinsängsten für die Finanzmärkte gar nicht so gefährlich?
Klar ist dieser Mix gefährlich. Aber Sie werden sehen, dass die Zentralbanken nicht einfach ihre Zinsen anheben werden, wenn die Märkte weiter einbrechen. Das gilt besonders für die EZB. Sie wird zwar am Jahresende ihre Nettokäufe am Anleihemarkt einstellen, um nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen zu besitzen, was zu rechtlichen Problemen führen würde. Aber das bedeutet nicht das Ende der sehr lockeren EZB-Geldpolitik. Denn sie bleibt wegen der weitverbreiteten Reformverweigerung als Ausputzer eingespannt, gerade wenn man an Italien denkt. Die lockere Geldpolitik geht noch viele Jahre weiter. Das stützt die Aktienkurse mittelfristig ebenso wie die Tatsache, dass europäische und deutsche Aktien mittlerweile eher unter- als überbewertet sind. Auf Sicht der kommenden sechs Monate sollten sich die Kurse wieder erholen, auch wenn die Talfahrt kurzfristig weitergehen könnte.
Nun hat die US-Notenbank die Zinsen zuletzt deutlich angehoben und bis Ende 2019 vier weitere Zinsschritte in Aussicht gestellt. Viele Schwellenländer sind bereits in die Bredouille geraten, weil Investoren in großem Stil Kapital abziehen. Wie wackelig ist die Lage für Länder wie Brasilien, Indien oder Russland?
Einige Schwellenländer haben sich selbst angreifbar gemacht - etwa durch zu hohe Auslandsschulden und eine schlechte Wirtschaftspolitik. Hier ist beispielsweise die Türkei zu nennen. Aber in der Summe stehen die Schwellenländer viel besser dar als im Vorfeld der Asienkrise vor zwanzig Jahren. Ich erwarte weiter keine breitangelegte Schwellenländer-Krise.
Daneben drückt der Handelsstreit zwischen den USA und China bzw. Europa und der Brexit auf die Stimmung. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen daher gerade deutlich nach unten korrigiert. Auch die Bundesregierung dürfte ihre Vorhersagen heute spürbar senken. Was bedeutet das für die Gewinne der Dax-Konzerne 2019: Werden wir in den kommenden Monaten eine Korrektur der Analystenschätzungen auf breiter Front sehen?
Der Konjunkturaufschwung im Euroraum und erst recht in Deutschland wird weiter von der lockeren Geldpolitik der EZB angefacht. Aber die Konjunkturprognosen bröckeln zur Zeit - auch wegen der Handelsstreitigkeiten. Daher dürften die Analysten ihre Schätzungen für das Wachstum der Unternehmensgewinne im Euroraum noch weiter senken.
In welchen Branchen rechnen Sie mit den größten Gewinn-Rückgängen?
Bei konjunktursensitiven Branchen wie Industrie- und Technologiewerten ist das Enttäuschungspotential bei den Gewinnen ausgeprägter. Sie leiden unter den Handelskonflikten. Solche Aktien sollten sich zunächst weiter unterdurchschnittlich entwickeln.
Im Dax ist die Lage inzwischen auch charttechnisch angespannt. Die wichtige Marke von 11.720 ist heute morgen gefallen. Wo sehen Sie die nächste Haltemarke?
Die 11.700 waren eine wichtige Unterstützung. Nach ihrem Bruch erwarten unsere technischen Analysten, dass sich der Abwärtstrend kurzfristig fortsetzt.