Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland steigt erheblich an, was bei Investoren, Unternehmern und Arbeitnehmern gleichermaßen große Besorgnis hervorruft. Doch stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine große Pleitewelle das Land erfasst.
Gestiegene Kosten und eine Flaute im Konsum zwingen eine wachsende Anzahl von Unternehmen in Deutschland in die Insolvenz. Nach einem drastischen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2023 erwarten Experten auch für die kommenden Monate weiter steigende Zahlen. Allerdings sollte man nicht von einer "Insolvenzwelle" sprechen, sondern eher von einer Normalisierung nach den umfangreichen staatlichen Rettungsmaßnahmen der vergangenen Jahre.
Besorgniserregende Zahlen zur Pleitewelle
Die aktuellen offiziellen Daten zeigen, dass die Anzahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren im August dieses Jahres um alarmierende 13,8 Prozent höher lag als im Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch bekannt gab. Im Juli hatte es sogar einen Anstieg um 23,8 Prozent gegeben.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Insolvenzverfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik aufgenommen werden, wie die Statistiker aus Wiesbaden erläuterten. In vielen Fällen liegt der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags etwa drei Monate vor der Erfassung in der Statistik.
Weiterhin steigende Insolvenzzahlen erwartet
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), das monatlich einen Insolvenztrend veröffentlicht, verzeichnete im August 1007 Firmenpleiten in Deutschland. Dies sind zwar 2 Prozent weniger als im Juli dieses Jahres, jedoch 40 Prozent mehr als im August 2022. Darüber hinaus lag die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen um 8 Prozent über dem Durchschnitt der Augustmonate der Jahre 2016 bis 2019 vor der COVID-19-Pandemie. Für das vierte Quartal 2023 wird erwartet, dass die Insolvenzzahlen weiter steigen.
Besonders in der Gastronomie steht gut jedem zehnten Betrieb die Pleite bevor, wie eine Analyse des Informationsdienstleisters Crif zeigt. Laut den Daten aus dem August gelten 11,9 Prozent der fast 120.000 analysierten Betriebe in Deutschland als insolvenzgefährdet, darunter 14.219 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés.
Deutlicher Anstieg der Firmenpleiten im ersten Halbjahr
Für das erste Halbjahr 2023 liegen inzwischen endgültige Zahlen vor: Die Amtsgerichte in Deutschland meldeten 8571 Unternehmensinsolvenzen in den ersten sechs Monaten, was einem Anstieg von 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger beliefen sich auf etwa 13,9 Milliarden Euro, verglichen mit rund 8,2 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2022.
Bezogen auf 10.000 Unternehmen gab es im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland durchschnittlich 25,3 Pleiten. Die höchste Insolvenzhäufigkeit verzeichnete die Verkehrs- und Lagerbranche mit 54,1 Fällen je 10.000 Unternehmen. Auch die Dienstleistungsbranche, zu der Zeitarbeitsfirmen gehören, verzeichnete mit 41,3 Fällen eine überdurchschnittliche Insolvenzhäufigkeit. Die Energieversorgung hingegen wies mit 2,4 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen die geringste Insolvenzhäufigkeit auf.
Unternehmen leiden unter Inflation und steigenden Kosten
"Inflation, Kaufzurückhaltung, hohe Energiepreise und steigende Finanzierungskosten setzen den Unternehmen zunehmend zu und lassen sich kaum mehr ausgleichen", analysierte Jonas Eckhardt, Partner der Beratungsgesellschaft Falkensteg, Ende August. "Zudem gibt es noch einen Nachholeffekt aufgrund der umfangreichen staatlichen Hilfen in den vergangenen zwei Jahren, die inzwischen ausgelaufen sind und viele Unternehmen am Leben hielten."
In den vergangenen Jahren haben staatliche Unterstützungen und teilweise ausgesetzte Insolvenzantragspflichten trotz der Herausforderungen durch die Corona- und Energiekrise die Anzahl der Firmenpleiten in Deutschland niedrig gehalten. Im Gesamtjahr 2022 wurden vergleichsweise wenige Unternehmensinsolvenzen registriert, nämlich 14.590 Fälle. Im Jahr der Wirtschaftskrise 2009 gab es dagegen fast 33.000 Firmenpleiten in Deutschland.
"Für viele Betriebe werden die großzügig verteilten Staatsgelder der Vergangenheit jetzt zum Bumerang", warnte jedoch Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung. Die Wirtschaftsauskunftei hatte bereits Ende Juni einen Anstieg der Firmenpleiten im ersten Halbjahr verzeichnet. "Die Rückzahlungen der Hilfen und verzögerte Anpassungen der Geschäftsmodelle führen angesichts dauerhaft steigender Zinsen in eine finanzielle und wirtschaftliche Sackgasse", fügte Hantzsch hinzu.
Großinsolvenzen nehmen zu
Laut der Analyse von Falkensteg geben derzeit auch größere Unternehmen vermehrt auf. Die Zahl der Großinsolvenzen hat sich binnen eines Jahres fast verdoppelt, mit 37 Anträgen allein im zweiten Quartal. Dies betrifft deutlich mehr Arbeitnehmer. Creditreform schätzte, dass im ersten Halbjahr 125.000 Beschäftigte in Deutschland von Firmenpleiten betroffen waren, fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum (68.000).
Im Gegensatz dazu gab es in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres weniger Verbraucherinsolvenzen, nämlich 33.140 Fälle, was einem Rückgang von 1,9 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2022 entspricht. Experten rechnen jedoch aufgrund der nach wie vor hohen Inflation auch bei den Verbraucherinsolvenzen spätestens im nächsten Jahr mit einer spürbaren Verschlechterung der Lage.
Mit Material von dpa-afx
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