Mit Cloud und künstlicher Intelligenz (KI) entstehen viele neue Märkte. Um sich dort bei den Riesen Respekt zu verschaffen, kämpfen Aufsteiger auch mit harten Bandagen – muss Amazon sich Sorgen machen?

Ein Knaller: in den vergangenen 52 Wochen hat sich der Börsenwert von Elastic mehr als verdoppelt. Elasticsearch, die gleichnamige Suchmaschine der Datenanalysefirma, die als universelles Werkzeug in Unternehmen inzwischen weltweit mehr als mehr als vier Milliarden Mal heruntergeladen wurde, auch, um in die IT der jeweiligen Firma integriert zu werden, ist begehrt. Für das dritte Quartal des Geschäftsjahres bis Ende April, erwarten Analysten im Schnitt knapp 16 Prozent mehr Umsatz, insgesamt etwas mehr als 320 Millionen Euro und beim Nettogewinn einen Anstieg um mehr als 90 Prozent auf knapp 33 Millionen Dollar. Der Nettogewinn entspricht jedoch erst gut zehn Prozent der Erlöse. Das zeigt: die Firma aus Mountain View im Silicon Valley mit geschätzten 1,2 Milliarden Dollar Umsatz  und 116,5 Millionen Dollar Nettogewinn im aktuellen Geschäftsjahr liefert überdurchschnittliche Zuwächse bei Erlös und Ertrag. Bei ihrem Aufstieg in dem Markt, der sich ebenfalls erst entwickelt, müssen die Kalifornier allerdings erhebliche Risiken meistern  um langfristig auch deutlich höhere Gewinnmargen einzufahren. Größere Kursrückschläge sind auf diesem Pfad deshalb kaum zu vermeiden, läuft das Geschäft in einem Quartal jedoch deutlich besser als von Analysten geschätzt, wird das an der Börse mit einer beeindrucken Kursrally, zuletzt im November, gefeiert.

Eine Bar in Tokyo

Rückblende:  eine Bar in Tokio, Brüten über einer Suchfunktion für eine Rezepte-App, ein Laptop, in den Shay Banon seine Überlegungen zum Code der Software tipp. So werden die Anfänge von Elasticsearch erzählt. 2018 läutete Banon an der New York Stock Exchange dann die Glocke für das Börsendebüt von Elastic, der Firma, die der passionierte Softwareentwickler sechs Jahre zuvor in Amsterdam mit drei Partnern gegründet hatte. Nutzer können Elastics Plattform kostenlos herunterladen. Elasticsearch wurde als Open-Source-Programm entwickelt, so dass auch externe Entwickler Zugriff auf den Source- Code, den Kern der Programme, haben. Bezahlt wird im Abo, nach Umfang, Dauer und Nutzung der verschiedenen Werkzeuge: Software als Dienstleistung aus der Cloud. Im Portfolio ist nun auch Observability-Software, die alle Programme und Abläufe in den heterogenen, komplexen und globalen IT-Netzen von Firmen überwacht, um Ursachen für Störungen, Eng- pässe oder Staus im Datenfluss zu diagnos- tizieren und Empfehlungen zur Behebung zu geben. Ein Modul für Datensicherheit gibt es ebenfalls auf Elastics Plattform.

Das Google für Unternehmen

Die IT-Experten von Airbus nutzen Elastic als Basis für ihre digitale Plattform, um jede Anfrage zu Verkauf, Auslieferung und Wartung der Jets (rund 3000 pro Minute) in wenigen Sekunden bearbeiten zu können. Im Hintergrund prüft das Datensicherheitsmodul die Zugriffsrechte von Nutzern der Plattform. BMW setzt Elastic für seinen digitalen Modellkonfigurator ein, mit dem Kunden und die 38 000 Händler des Konzerns Fahrzeuge online konfigurieren oder den Pool der verfügbaren neuen und gebrauchten BMWs durchsuchen. Wenn ein Kunde seinen Autoschlüssel in der Werkstatt abgibt, hat Observability-Software von Elastic die bis zu fünfzig Service-Programme im Blick, die dann anlaufen, um reibungs- lose Abläufe zu gewährleisten. Was die Software in BMWs Kundenservice leistet, ist skalierbar, also auf alle Abläufe in der globalen IT-Infrastruktur eines Unternehmens übertragbar. Mit Observability und Datensicherheit hat sich das für Elastic relevante Marktvolumen seit dem IPO von 44 auf fast 90 Milliarden Dollar verdoppelt. Umsatz und Gewinn sollten auch während der nächsten Jahre prozentual zweistellig zulegen. Wie alle Aktien von Aufsteigern im Techsektor kam auch Elastic im schwierigen Börsenjahr 2022 stark unter die Räder. Nun legt der Kurs wieder zu. Auch Hedgefonds, die auf den Aufwärtstrend setzen, zieht die Aktie an. Sechs haben mehr als fünf Prozent ihrer offengelegten Eigenkapitalinvestitionen investiert. Laut Bloomberg besitzen Hedgefonds knapp 16 Prozent von Elastic. Elastic ist bei den größten Cloud-Dienstleistern Alphabet, Amazon und Microsoft verfügbar und wird von Firmen oft in der Cloud genutzt. Auch das hat Elasticsearch zum „Google für Unternehmen“ gemacht.

*
Foto: Elastic
Elastic-Gründer Shay Banon: Erst mit einem Verkaufsstopp seiner Software auf Amazons Cloud-Plattform AWS brachte der Unternehmer den Riesen zum Umdenken

Rote Karte für Amazon

Amazon Web Services (AWS), Elastics mächtiger Distributionspartner, hatte Elasticsearchs Potenzial in einer Daten- welt, die durch die Cloud und künstliche Intelligenz (KI) geprägt wird, offenbar früh erkannt und bot seinen Kunden ab 2015 Amazon Elasticsearch Services an, als eigene Dienstleistung, angeblich in Kooperation mit Elastic, was nicht zutraf. Das brachte Elastic-Gründer Banon auf die Barrikaden. Nach zahlreichen Versuchen, Amazons Dreistigkeit zu unterbinden, auch vor Gericht, zog Elastic Anfang 2021 die Reißleine und blockierte den Verkauf seiner Software auf Amazons Cloud-Plattform. Es sei wie auf dem Schulhof, wenn einer den starken Mann markiere, sagte Banon damals, dann müsse man sich wehren, um später respektiert zu werden. Es kam wie auf dem Schulhof: Amazon respektierte Elastic, änderte die Technologie seiner Suchmaschine und im September 2021 auch den Namen, in Open Search. Elastic sorgte dafür, dass sich ähnliche Dreistigkeiten nicht wiederholten: Die Lizenzen für Elastic-Software wurden geändert, die Produkte zogen auf andere Server um. Vieles sei ähnlich wie bei Open-Source-Programmen geblieben, außer dass Nutzer Elastics Software in der Cloud als eigene Dienstleistung anbieten könnten, sagt Banon. Den Chefposten in seiner Firma überließ er 2022 Ash Kulkarni und wurde Technologiechef, wohl auch, um sicherzustellen, dass Amazons Versuch eine Ausnahme bleibt

In der Cloud - wo Riesen wie Amazon weiter dominieren werden und wo nicht

Banon hofft, dass Amazon „Microsofts Weg“ gehen und sich dem Ansatz von Open Source öffnen wird. Riesen wie Microsoft und Amazon werden als Dienstleister in den „Kernmärkten“ des Cloud-Business dominieren, sagt Banon. Für Aufsteiger sei in den angrenzenden neuen Wachstumsmärkten viel Platz, schildert der Visionär seine Sicht. Kulkarni,der2021ausderDatensicherheitsbranche zu Elastic kam, sieht Amazon, Alphabet und Microsoft nicht als potenzielle Konkurrenten. „Für die Nutzung der Cloud-Plattformen, womit diese Konzerne hauptsächlich ihr Geld verdienen, liefern wir einen erheblichen Mehrwert. Sie wollen deshalb unsere Software und die Analyse von gewaltigen Datenmengen, für die unsere Kunden ihre Infrastruktur nutzen“, sagt der Chef von Elastic im Gespräch mit BÖRSE ONLINE. Diesen Respekt der Riesen hat sich Elastic erkämpft und andere, wie den Open-Source-Datenbankentwickler MongoDB ermutigt, seine Lizenzrechte ebenfalls zu ändern und die eigenen Programme umzuziehen. Die 2008 gegründete Firma ging 2019 an die Börse und soll im Geschäftsjahr bis Ende Januar mit geschätzten 1,6 Milliarden Dollar Umsatz rund 243 Millionen Nettogewinn verbuchen. Mongo leitet sich aus dem englischen humongous für gigantisch ab.

Elastic NV (WKN: A2N5RS)

Die Aufsteiger MongoDB und Datadog

Aktuell ist das vor allem die Konkurrenz für den in seinem Markt technologisch führenden Anbieter: Die drei Cloud-Riesen bieten zum Teil ähnliche Software an, und auch die herkömmlichen Datenbankentwickler Oracle, IBM und SAP drängen in diesen Markt. Anleger trauen MongoDB zu, sich zu behaupten, oder sehen das Unternehmen als mögliches Übernahmeziel. Deutlich im Plus seit Jahresbeginn ist auch die Aktie von Datadog. Führend ist Datadog mit geschätzten 2,6 Milliarden Dollar Umsatz und fast 600 Millionen Dollar Nettogewinn im Geschäftsjahr mit Observability-Software. Datadog überwacht die Abläufe in Clouds und drängt nun auch in Firmen-IT-Netze. Die einfache Integration der Cloud-Software sei Datadogs großer Vorteil, urteilen die Experten von Bloomberg. Sie trauen Datadog bis 2026 jährlich 20 Prozent mehr Umsatz zu.


*
Foto: Elastic
Ask Kulkarni ist seit mehr als einem Jahr Chef von Elastic. Kulkarni kam 2021 als Produktleiter zu Elastic und war zuvor lange in der Datensicherheitsbranche, in leitenden Funktionen bei McAfee, Symantec, Akamai, Informatica und Sun Microsystems.

"Elasticsearch ist inzwischen überall"

Ashutosh (Ash) Kulkarni, Chef des Analysesoftware-Konzerns Elastic, über die Verdopplung des Marktpotenzials, Vorteile von Open Source und die Neuordnung bei Datensicherheitssoftware

BÖRSE ONLINE: Elasticsearch wird oft als Google für Unternehmen beschrieben. Wie nutzen Firmen die Suchmaschine?

Ash Kulkarni: Die Anfragen können skaliert werden, also auf den Pool von Daten eines weltweit vernetzten Unternehmens angewendet werden — zum Beispiel für den Modellkonfigurator bei BMW, den potenzielle Autokäufer und die Händler des Autokonzerns weltweit nutzen, oder bei Mitarbeiterportalen für die Arbeitsplatzsuche innerhalb eines Unternehmens oder Serviceportale für Kunden oder Zulieferer einer Firma. Es geht immer darum, die Daten mit der höchsten Relevanz für die Suche zu präsentieren. Das können wir auch bei unstrukturierten Daten, den von Maschinen generierten Informationen, die Sensoren übermitteln.

Die Skalierbarkeit ist auch möglich, weil ihre Plattform bei den größten Cloud- Dienstleistern Amazon, Microsoft und Google verfügbar ist. Ist Elastic auf die Kapazitäten der Hyperscaler angewiesen?

Nein. Kunden können Elastic in ihren Rechenzentren, als Dienstleistung in den öffentlichen Clouds der Hyperscaler und in hybriden Clouds nutzen. Hybride Datenwolken sind eine Kombination aus öffentlichen und den sogenannten privaten Clouds der Unternehmen. SAP hat Octopus, seine eigene Plattform für die Beobachtung (engl. observability) von IT-Netzen, auf der Basis unserer Software aufgebaut.

Wie funktioniert Observability?

Die Infrastruktur eines IT-Netzes wird permanent auf Staus, Engpässe und andere Störungen überwacht, um sicherzustellen, dass alle Programme optimal funktionieren. Bei zeitkritischen Anwendungen oder Virtualisierungen, also der softwaregesteuerten Erhöhung der Rechenleistung in Datenverarbeitungszentren, ist das besonders wichtig. Unsere Software analysiert alle relevanten Daten, um die Ursachen für Störungen genau beschreiben zu können. Es muss nicht etwas kaputt sein, wenn zum Beispiel Internetseiten viel zu langsam geladen werden. Es reicht, wenn Kodierungen geändert wurden. Um Zusammenhänge sofort zu analysieren, setzen wir auch maschinelles Lernen ein.

Werden Störungen dann sofort behoben?

Mit unserem KI-Assistenten können wir sehr genaue Anweisungen geben, wie das Problem zu beheben ist, oder Ansätze und Beschreibung dafür liefern. In den meisten Fällen wollen die Kunden nur das. Wenn gewünscht, können wir Störungen auch beheben.

Sie sagen, dass Open Source, also dass externe Entwickler auf die Softwarekerne, die Source-Codes, zugreifen können, um selbst Anwendungssoftware zu schreiben, ein großer Wettbewerbsvorteil ist ...

Ja, die großen Open Source Communities der Programmierer verstehen unsere Technolo- gie so sehr schnell. Ihr kreatives Potenzial und ihre Wirkung im Markt sind groß. Wir sind nur mit Elasticsearch gestartet. Erst als wir sahen, dass Open Source Communities die Suchmaschine häufig für Observability und Datensicherheit nutzen, bauten wir diese Geschäftsfelder auf. Damit hat sich der für uns relevante Markt seit dem Börsengang 2018 auf 90 Milliarden Dollar verdoppelt.

Hat Elastic dank Open Source seine Wettbewerbsvorteile schneller aufgebaut?

Unsere Software wurde über 4,6 Milliarden Mal heruntergeladen. In Firmen ist Elasticsearch inzwischen überall, auch wegen der Open Source Communities und den Anwendungen, die IT-Experten, dank Open Source, für ihr Unternehmen schreiben können.

Sie kommen aus der Datensicherheit, kann Elastic diesen Markt neu ordnen?

Ich denke ja. Wir können unsere Algorithmen leicht an größere Datenmengen anpassen, was vielen Wettbewerbern nicht so gut ge- lingt. Ausgefeilte Hackerangriffe werden immer häufiger über „Schläfer-Software“ ausgeführt, die sich in IT-Systemen lange unauffällig verhält. Wenn Schläfer aktiv werden, können wir im System über Jahre, bis zur Einschleusung der Software „zurückblicken“. Wir wissen wann und in welchen Bereichen der Schläfer unterwegs war und können so auch den Angriff besser verstehen. Das ist der Unterschied zu herkömmlicher Sicherheitssoftware, die nicht als Datenanalyse- und -suchplattform, sondern als Werk- zeug entwickelt wurde. Die Programme sind mit den enormen Datenmengen oft überfor- dert und können oft nicht „zurückblicken“, um Schläfer zu entschlüsseln.

Sehen Sie weitere Märkte, die Elastics Technologie jetzt neu ordnen könnte?

Elasticsearch ist eine Grundtechnologie für sogenannte generative KI, also Computersysteme, die während ihres Einsatzes optimiert werden, um neue, zusätzliche Inhalte zu „generieren“. Bei Chatbots, die Elasticsearch nutzen, ist vieles denkbar.

Lesen Sie auch: Bis zu 53 Prozent Kurspotenzial mit diesen übersehenen Large-Caps aus dem Tech-Sektor

Oder: Künstliche Intelligenz entdeckt: Das ist die beste Tech-Aktie der Welt, die Sie kaufen können

Der Vorstand der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Leon Müller ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Amazon