Im Levi-Strauss-Laden am Times Square ist am Sonntag um 18 Uhr noch einiges los. Eine Großfamilie durchstöbert im Erdgeschoss die Regale für die Kinder. Im Kellergeschoss, in das eine Rolltreppe führt, sind etwa 20 Kunden. Eine Mitarbeiterin putzt die Eingangstüre. In Zeiten von Corona achten die Läden auf Sauberkeit. Ohne Maske darf niemand hinein. Im Theaterviertel Manhattans ist mehr los als in den vergangenen Monaten, mehr Laufkundschaft kommt vorbei. Modeläden montierten Plexiglas-Trennwände an der Kasse und Desinfektionsstationen. Die Verkäufer tragen Gesichtsmasken. Umkleidekabinen und Toiletten sind meist abgesperrt.
Laufkundschaft gab es schon vor dem Ausbruch des Virus weniger. Bei Einzelhändlern hinterließ die Pandemie jedoch eine Spur der Verwüstung, seit Januar gingen in den USA zahlreiche Retailer pleite. Darunter waren bekannte Kaufhäuser wie Lord & Taylor, Neiman Marcus und J.C. Penney. Auch das Bekleidungssegment traf es hart, bei den renommierten Firmen J. Crew, Tailored Brands, Ascena, True Religion und Brooks Brothers gingen die Lichter aus.
Die Aktien kleinerer Branchenplayer wie des New Yorker Bekleidungskonzerns Phillips-Van Heusen, kurz PVH, kollabierten an der Wall Street. PVH, das vor allem Markenartikel etwa von Calvin Klein und Tommy Hilfiger verkauft, notiert nur noch zum Buchwert.
Wie kaum eine andere Branche waren Einzelhändler von Zwangsschließungen und dem Stillstand im Tourismus betroffen. Doch die dunklen Wolken verziehen sich mit der Aussicht auf den Corona- Impfstoff und der Perspektive, dass die Pandemie in den kommenden Monaten Stück für Stück zurückgedrängt werden kann. Die Kurse der Retailer haben die Tiefs hinter sich gelassen. Analysten rechnen damit, dass Branchenvertreter, die überleben, in wenigen Jahren die Corona-Delle ausgebügelt haben.
Was der gesamten Bekleidungsbranche aus der Patsche hilft, ist der Onlinehandel. Corona gab dem E-Commerce einen gewaltigen Schub, Verbraucher bestellen mehr im Web als jemals zuvor. Die kalifornische Textilkette Gap etwa meldete im zweiten Quartal 95 Prozent mehr Onlinebestellungen im Vergleich zum Vorjahr und begrüßte 3,5 Millionen neue Onlinekunden. Das half, denn sonst wäre der Umsatzeinbruch um 18 Prozent weitaus größer ausgefallen.
Die Kalifornier leiden seit Jahren unter schrumpfenden Umsätzen. Die indisch-stämmmige Chefin Sonia Syngal, seit April an der Spitze, setzt auf die bekannte Marke, die auch Kunden etwa in China lockt. Syngal muss jedoch das inzwischen angestaubte Image aufpeppen. Die Managerin verspricht künftig gewagtere Kollektionen - und plant die Streichung eines Fünftels aller Artikel. Syngal verpflichtete zudem den angesagten Rapper Kanye West für eine neue Modelinie für die junge Generation. West will mit der Linie Yeezy Gap in der ersten Hälfte des nächsten Jahres "moderne, gehobene Basics zu erschwinglichen Preisen" bringen.
Gap goes West
Gap einigte sich mit West auf eine zehnjährige Zusammenarbeit mit der Option einer Verlängerung. In fünf Jahren, hofft Singal, wird Yeezy einen Jahresumsatz von einer Milliarde US-Dollar beisteuern. West, der als Teenager in einer Gap-Filiale gearbeitet hat, zeigt schon lange Interesse am Konzern. Vor fünf Jahren erwähnte er in einem Interview, dass er gern der "Steve Jobs von Gap" wäre. West ist freilich ein umstrittener Star, der nach eigenen Angaben unter einer bipolaren Störung leidet. Er trat auch als unabhängiger Kandidat bei der US-Präsidentschaftswahl an.
Bei Gap bleibt wenig Geld je Kleidungsstück hängen. Jeans oder Pullover kosten weniger als 60 Dollar, die Stücke werden zudem schrittweise reduziert. Im Deal mit West zahlt Gap zudem Lizenzgebühren an das Label Yeezy, das der Rapper besitzt. Die Linie muss im Massenmarkt gut ankommen, damit sie die Wende einläuten kann. Dafür spricht, dass Multitalent West seit 2013 erfolgreich mit Adidas zusammenarbeitet, wo Yeezy-Produkte gut ankommen.
Die Gap-Gruppe, die auch die Ketten Old Navy, Banana Republic und die Sportmarke Athleta betreibt, schloss in lokalen Lockdowns mehr als 100 Filialen in Nordamerika. Die meisten Läden öffneten ab Ende Mai wieder. Chefin Syngal wollte zwar verantwortungsbewusst, aber auch "aggressiv" sein und keine Zeit verlieren: "Jeder Einzelhändler hat seine Strategie. Wir öffnen dort, wo wir es dürfen, so schnell wie möglich." Wegen der Pandemie rechnen Analysten im laufenden Jahr mit 17 Prozent Umsatzrückgang zu den 16,4 Milliarden Dollar des Vorjahres.
Aggressivität ist notwendig, denn der Markt ist hart umkämpft. Die Modekette Zara, die zum spanischen Textilriesen Inditex gehört, sowie die schwedische H & M-Gruppe mischen die Branche mit modernen Designs und Kampfpreisen auf. Das hinterlässt Spuren. Gap zählte zwischen Ende Oktober 1983 und Ende Oktober 2013 zu den besten Aktien überhaupt, analysiert das US-Research-Haus Wilshire. Wer das Papier 30 Jahre hielt, verdiente gut 20 Prozent Rendite pro Jahr. Mittlerweile ist Aktie ein Schatten ihrer selbst, binnen fünf Jahren verlor der Kurs ein Drittel.
Mit bekannten Marken glänzt VF Corporation, einer der größten Branchenvertreter weltweit. Das Bekleidungsimperium aus Denver, Colorado, hat im Lauf der Zeit viele schillernde Label vor allem im Bereich Outdoor eingesammelt. Anfang November landete das Hipster-Label Supreme für 2,1 Milliarden Dollar im Einkaufskorb. Kunden, die Wert auf bequeme Schuhe, qualitativ hochwertige Jacken oder Rucksäcke legen, werden bei Timberland, North Face oder Eastpak fündig.
Jüngst drehte Vorstand Steven Rendle jedoch den Spieß um und trennte sich vom Jeans-Geschäft per Spin-off. Das firmiert jetzt unter Kontoor Brands, die Marken Ranger und Lee gehören dazu. Anfang dieses Jahres beschloss Rendle, auch den Verkauf der Sparte für Arbeitskleidung zu prüfen. Der Chef will VF noch stärker auf das rentablere Kerngeschäft Outdoor und Active Wear ausrichten.
Comeback des Aristokraten
Bevor das Virus grassierte, baute VF den Umsatz auf bestehender Fläche regelmäßig um vier Prozent pro Jahr aus. Die Pandemie hat den Konzern stark erwischt. Was VF zu schaffen macht, sind die strauchelnden Kaufhäuser und Einkaufszentren, die bislang ein bedeutender Absatzkanal waren. Der Umsatz kollabierte im Quartal von April bis Juni um 48 Prozent auf 1,1 Milliarden Dollar. Auch das Ergebnis drehte tief ins Minus. Chef Rendle investiert jetzt in die Onlinekanäle, die hohe Wachstumsraten liefern. Das Schlimmste scheint überwunden, der Vorstand erwartet 2020 moderate 14 Prozent Umsatzrückgang und ein Comeback des Geschäfts.
Während der Pandemie kürzten viele Unternehmen aus der Branche ihre Dividenden. VF jedoch erhöhte die vierteljährliche Zahlung auf 0,49 Dollar. Rendle will schließlich an einer Serie festhalten: Die Dividende des Modekonzerns, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1899 zurückreichen, steigt schon seit 48 Jahren in jedem Jahr - das macht VF zu einem der beliebten Dividendenaristokraten der Wall Street.
INVESTOR-INFO
VF Corp
Marken-Ikone
Der Bekleidungsriese hat etliche Marken-Ikonen wie North Face oder Eastpak im Portfolio. Nach der Abspaltung der Jeans- Tochter (Lee, Wrangler) und dem geplanten Verkauf der Arbeitsbekleidungssparte will der Vorstand den Konzern schlanker und rentabler machen. Die Zulieferkette soll vereinfacht, mehr Kleidung extern gefertigt werden. Es handelt sich um eine lange Erfolgsstory. Der Onlinehandel wächst stark. Bewährter Dividendensteigerer. Attraktiv.
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Gap
Comeback-Story
Das kalifornische Modelabel kämpft seit Jahren mit Problemen, die Aktie hat sich seit dem Spitzenkurs im Sommer 2014 mehr als halbiert. Die Gründerfamilie Fisher, die über 37 Prozent der Anteile besitzt, arbeitet an der Wende. Sie baut mit neuem Management das Onlinegeschäft aus und frischt das Design auf. Gap wird bloß mit einem halben Jahresumsatz bewertet, hat aber mit sechs Milliarden Dollar hohe Schulden. Spekulativ.
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Kursziel: 25,00 Euro
Stoppkurs: 15,20 Euro