Ganz überraschend kam der vorläufige Höhepunkt im Streit um das Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz nicht. Grundsätzlich möchte die EU, dass die Schweiz bestimmte EU-Vorgaben übernimmt und sich an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hält, soweit sich die Urteile auf Bereiche beziehen, die Teil des Abkommens sind. Während man in Brüssel den vorliegenden Rahmenvertrag als ausverhandelt einstuft, stören sich die Volksvertreter in Bern an einzelnen Punkten und haben den Vertrag aufgrund innenpolitischer Widerstände bislang noch nicht unterzeichnet. Um den Druck auf die Alpenrepublik zu erhöhen, hat die EU der Eidgenossenschaft die Verlängerung der Börsenäquivalenz verwehrt, nach der die Börsenregulierung der Schweiz den EU-Richtlinien entspricht.

Somit dürfen EU-Händler nicht mehr uneingeschränkt am Börsenplatz Schweiz handeln. Die Schweiz wiederum hat darauf mit einem eigenen Notfallplan reagiert, ihrerseits den Handel mit Schweizer Aktien innerhalb der EU verboten und Brüssel damit eine lange Nase gedreht: Laut EU-Recht dürfen europäische Händler nämlich auch an einer Börse ohne Äquivalenz handeln, wenn es bestimmte Titel in ausreichender Liquidität nur an dieser einen Börse und nirgendwo sonst an einem europäischen Handelsplatz gibt.

SMI markiert neues Allzeithoch


Geschadet hat die neue Eskalations­stufe der Schweizer Börse bislang jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Börsenbetreiber SIX meldete für die ersten beiden Handels­tage nach Inkrafttreten des Verbots ein jeweils höheres Handelsvolumen als an einem durchschnittlichen Handelstag im Vorquartal. Dazu schloss der wichtigste eidgenössische Index - der Swiss Market Index SMI - erstmals in seiner Geschichte oberhalb von 10 000 Punkten und setzte seine Rekordjagd der vergangenen Monate damit weiter fort. Seit Jahresbeginn summieren sich die Kursgewinne inzwischen auf gut 20 Prozent.

Gerade in unruhigen Zeiten honorieren professionelle Investoren die defensiven Qualitäten eines krisensicheren Geschäfts und einer zuverlässigen Dividendenpolitik, mit denen viele Schweizer Titel glänzen. Dabei ist der Aufschwung vor allem mit drei Werten eng verbunden, die den SMI am stärksten prägen - dem Nahrungsmittelkonzern Nestlé sowie den beiden Pharmawerten Novartis und Roche. Alle drei Titel sind mit jeweils 18 Prozent höchstmöglich im Index gewichtet und für in­stitutionelle Investoren fast schon Pflicht.

Ende Juni kündigte Nestlé die Einführung der Nährwertampel Nutri-Score für seine Produkte in Europa an, die die gesamte Nährwertqualität der Lebensmittel in einer fünfstufigen Farbskala von A bis E auf der Verpackung zusammenfasst. Die Börsenampel für die Aktie steht schon seit Monaten auf Dauergrün, seit Jahresbeginn konnte Nestlé mit einem Zuwachs von mehr als einem Viertel den Gesamtmarkt noch deutlich outperformen und erstmals in der Geschichte ein Kursniveau von mehr als 100 Franken erreichen. Trotz der mittlerweile anspruchsvollen Bewertung kommen Schweiz-Investoren am Marktschwergewicht ebenso wenig vorbei wie an Novartis.

Der Umbau des Basler Pharmakonzerns trägt bereits Früchte und ist unter der Führung des neuen CEOs Vas Narasimhan noch einmal beschleunigt worden. Nach dem Verkauf von zwei großen Unternehmensteilen und dem Spin-off der Augenheilsparte Alcon setzt Novartis inzwischen konsequent auf das Kerngeschäft der Entwicklung und den Verkauf von Medikamenten. Vergangene Woche erst konnte man den Anfang Mai angekündigten Kauf des Augenmittels Xiidra von Takeda abschließen.

Abgesehen von den zahlreichen Blockbustern, die Novartis bereits auf dem Markt hat, ist die Pipeline mit mehr als 25 weiteren Kandidaten gefüllt, die im Falle einer Marktzulassung Umsätze von mindestens einer Milliarde US-Dollar pro Jahr erzielen könnten. Bis 2021 sollen wenigstens zehn dieser potenziellen Verkaufsschlager auf den Markt kommen. Angesichts der starken Aussichten scheint ein KGV von 16,3 nicht zu teuer, zumal Novartis auch als verlässlicher Dividendenzahler gilt. In diesem Jahr wurde die Ausschüttung zum 22. Mal in Folge erhöht.

Ausreißer und Nachzügler


Gefragt war in den vergangenen Monaten auch Temenos. Der Aktienkurs des Bankensoftwareentwicklers aus Genf hat sich in den vergangenen sechs Jahren verzehnfacht. Zuletzt verdeutlichte das Unternehmen noch einmal seine langfristigen Ziele, die auf Jahre hinaus jährlich zweistellige Umsatzzuwächse sowie Gewinnsteigerungen von über 15 Prozent pro Jahr vorsehen. In den vergangenen fünf Jahren hat Temenos nach eigener Einschätzung im Schnitt fünfmal mehr Deals abgeschlossen als die zehn größten Mitbewerber, womit man der Konkurrenz beständig Marktanteile abjagen kann.

Dazu stehen nach laut Analysen jedes Jahr 500 Millionen US-Dollar für Aktienrückkäufe oder Übernahmen zur Verfügung. Anleger, die sich schwer damit tun, Titel auf Rekordniveau zu kaufen, finden selbst nach der Rekordjagd der helvetischen Börse noch immer vielversprechende Nachzüglerkandidaten. Weil im Zuge einer Aus- und Aufbauoffensive die Margen bei Bobst vorübergehend unter Druck gekommen sind, wurde der Maschinenbauer für Verpackungshersteller im jüngsten Börsenaufschwung abgehängt. Ein moderates KGV von 11,3 sowie eine Dividendenrendite von knapp drei Prozent sprechen für die Aktie, die momentan mehr als 40 Prozent unter den 2018 markierten Rekordhochs notiert.

Spannend ist auch die Aktie von Mikron, die zu Beginn des Jahres auf sechs Franken abgetaucht war. Inzwischen wieder um rund 40 Prozent erholt, ist der Maschinenbauer mit einem KGV von 11,4 und einer Dividendenrendite um zwei Prozent noch so attraktiv bewertet, dass die Experten von Mainfirst Luft bis 14 Franken sehen - woran auch das politische Tauziehen nichts ändert.

Börsenstreit - das müssen Anleger jetzt wissen


Was wissen wir über die Vorgeschichte im Beziehungsstress zwischen der EU und der Schweiz? Die Europäische Union und die Alpenrepublik streiten über ein Partnerschaftsabkommen, das die bilateralen Beziehungen neu definieren soll. Während die EU das Abkommen als fertig verhandelt einstuft, sieht die Schweiz noch weiteren Klärungsbedarf bei den drei strittigsten Punkten: Lohnschutz, staatliche Beihilfen und die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie.

Was hat das mit der Börse zu tun?


Eigentlich nichts. Die "Börsenäquivalenz" dient der Europäische Kommission lediglich als Druckmittel. Der Forderung der Schweiz nach einer unbefristeten Börsenäquivalenz wollte Brüssel nur nachkommen, wenn die Eidgenossen den Rahmenvertrag unterzeichnen. Durch das Auslaufen der Anerkennung per Ende Juni entspricht die Regulierung der Schweizer Börse formal nun nicht mehr den Richtlinien der europäischen Aktienmärkte. Die Schweiz reagierte ihrerseits deshalb mit einem Notfallplan und hat den Handel mit Schweizer Aktien innerhalb der EU ab dem 1. Juli verboten.

Inwiefern sind deutsche Anleger von den Änderungen betroffen?


An den deutschen Börsenplätzen ist der Handel mit Schweizer Titeln seit dem 1. Juli ausgesetzt. Weder Käufe noch Verkäufe sind derzeit möglich. Auch bereits bestehende Aufträge wurden daher börsenseitig automatisch gestrichen.

Welche Möglichkeiten stehen für den Handel mit Schweizer Aktien noch zur Verfügung?


Anleger haben grundsätzlich die Möglichkeit, Schweizer Titel an der Heimatbörse in Zürich zu handeln. Viele depotführende Banken und Onlinebroker bieten den Handel in der Schweiz an, auch wenn damit meist höhere Ordergebühren verbunden sind. Eine weitere Alternative bietet aktuell der außerbörsliche Handel bei Lang & Schwarz, der nach Auskunft des Unternehmens bis auf Weiteres fortgeführt wird. Wer seine Schweizer Titel über die aktuelle Depotverbindung aber nicht mehr handeln kann, sollte überlegen, seine Positionen auf einen anderen Anbieter mit einem Zugang zur Schweizer Börse zu übertragen.

Wie lange kann dieser unangenehme Zustand noch anhalten?


Das ist schwierig zu sagen, auch wenn beide Seiten grundsätzlich an einer Einigung interessiert sein müssten. Eine kurzfristige Lösung scheint allerdings nicht in Sicht, am Ende werden wohl die Schweizer Bürger per Volksabstimmung über die Unterzeichnung des Abkommens entscheiden. Beobachter gehen davon aus, dass mögliche Schlichtungsgespräche nicht vor den Schweizer Parlamentschaftswahlen am 20. Oktober abgeschlossen werden.