Die Tücken eines zyklischen Geschäfts kennt Aldo Kamper noch aus seiner Zeit bei Osram. Stark schwankende Nachfrage, das schwierige Timing von Kapazitätsentscheidungen - all das hat der Manager beim kriselnden Lichttechnikhersteller schon intensiv erlebt. Doch seine Zeit in Nürnberg toppt diese Erfahrungen wohl bei weitem: Seit seinem Antritt als Chef von Leoni im vergangenen Jahr hat Kamper schon mehrere Gewinnwarnungen abgeben müssen. Soeben folgte die Nachricht eines tiefgreifenden Spar- und Restrukturierungsprogramms, die Prognose für das laufende Jahr: ade.
Der Aktienkurs spiegelt die heftigen Turbulenzen, in die der Hersteller von Bordnetzsystemen und Kabeln geraten ist: Erst fiel er nach einer Gewinnwarnung Mitte Februar um fast ein Drittel, soeben brach die Notiz abermals um ein Viertel ein, nachdem Kamper verkündet hatte, auch die stark nach unten korrigierten Jahresziele nicht erreichen zu können. Auf eine neue Prognose für 2019 wurde gleich ganz verzichtet.
Stattdessen berichtete der Niederländer hörbar angestrengt vom schlechten Geschäftsverlauf im vierten Quartal und dem ebenfalls miserabel angelaufenen Jahr 2019. Leoni kämpft an mehreren Fronten: So läuft die Produktion im neuen Werk im mexikanischen Merida, das einen neuen US-Kunden beliefert, weitaus schlechter als erwartet. Im vierten Quartal kosteten "komplizierte Kundenspezifikationen" allein zehn Millionen Euro, im laufenden Jahr rechnet Kamper hier mit weiteren 50 Millionen Euro. Offenbar war das Projekt gründlich fehlgeplant.
Nachfrage schwächelt
Überdies sieht sich der Autozulieferer seit einiger Zeit einer unerwartet schwachen Nachfrage vor allem von Kunden aus China gegenüber. Die operative Gewinnmarge, die 2020 ursprünglich bei fünf Prozent liegen sollte, sank im vierten Quartal auf 2,8 Prozent. Im Gesamtjahr erzielten die Franken bloß 144 Millionen Euro Ebit, nach 227 Millionen im Jahr 2017. Die für 2019 nach einer Gewinnwarnung geplanten 100 bis 130 Millionen Euro sind laut Kamper nicht erreichbar. Läuft es schlecht, könnte laut Management 2019 operativ auch ein Verlust anfallen.
Die Bilanz wird belastet, im Jahr 2018 hat Leoni 147 Millionen Euro verbrannt, die Nettoverschuldung ist dadurch auf 608 Millionen Euro gestiegen.
Als Konsequenz aus dem Merida-Schlamassel und dem Gegenwind auf dem Absatzmarkt ziehen der Aufsichtsrat und Kamper die Notbremse: Das Management der Bordnetzsparte musste gehen, ebenso wie der für das Risikomanagement zuständige Finanzchef Karl Gadesmann. Kamper übernimmt diese Funktionen selbst.
Überdies zückzt der hef den Rotstift. In den nächsten drei Jahren will Kamper die Kosten um 500 Millionen Euro senken. 2000 Mitarbeiter in der Verwaltung werden abgebaut, die zwei Sparten Bordnetze und Kabel erhalten eigene, schlankere Verwaltungen. Das kostet insgesamt 120 Millionen Euro. Der freie Cashflow soll laut Kamper bereits gegen Ende des Jahres wieder in den grünen Bereich drehen. 2020 will Kamper hier wieder positive Zahlen liefern.
Schwierigster Teil der Aufgabe wird es, den Wildwuchs in der Organisation zu bändigen. Vor rund zwei Jahren hatte Leoni ähnliche Probleme mit einem Werk in Rumänien. "Wir sind zu schnell gewachsen", stellt der Niederländer fest. Auf Marktanteilsgewinne will Leoni künftig zugunsten einer höheren Profitabilität verzichten und bei der Auftragsannahme entsprechend acht geben.
Soll die Aktie wieder nachhaltig steigern, so müssen die Franken auch ihre Prognosezverlässlichkeit grundlegend verbessern. Die Aktie ist zwar inzwischen auf ein sehr niedriges Bewertungsniveau gefallen. Doch bis das Vertrauen wieder aufgebaut ist, wird es dauern.
Fazit: Nach der neuerlichen Gewinnwarnung sind die Unsicherheiten abermals gestiegen. Anleger sollten die Aktie vorerst lieber meiden und eine Bodenbildung sowie erste Restrukturierungserfolge abwarten.