Leopold kam 1835 als Sohn und Thronfolger des belgischen Königs Leopold I. zur Welt. Als 30-Jähriger bestieg er den Thron und zeigte schon bald koloniale Ambitionen. Von seinem eigenen Reich hielt er wenig. "Ich bin der König eines kleinen Landes mit kleinmütigen Leuten", soll er sich verächtlich geäußert haben. Er war bei der belgischen Bevölkerung nicht sonderlich beliebt.
Sein Interesse an Afrika wurde geweckt, als er die Forschungsberichte des britisch-amerikanischen Journalisten Henry Morton Stanley las, der mehrere Expeditionen ins Gebiet des Kongo angeführt hatte. Das Innere des afrikanischen Kontinents war noch weitgehend unerschlossen, bisher hatte sich keine Kolonialmacht an das unzugängliche Gebiet um den mächtigen Kongo-Strom herangetraut. Hier erkannte Leopold II. seine Chance. Er erklärte 1876 auf der geografischen Konferenz in Brüssel unter dem Beifall des Publikums, er wolle im Kongo-Becken, das für seinen Sklavenhandel berüchtigt war, "Versorgungs-, Wissenschafts- und Befriedungsstationen" errichten, um den Einheimischen die Segnungen der Zivilisation zu bringen und dem Menschenhandel ein Ende zu bereiten.
In Wahrheit ging es ihm darum, im Herzen Afrikas ein gewaltiges Kolonialreich zu errichten. Für den Landerwerb sollte Henry Morton Stanley sorgen. Der handelte rund 450 Verträge mit Häuptlingen entlang des Kongo-Stroms aus. Für billigen Schnaps und Glasperlen verkauften sie ihr gesamtes Land an den belgischen König, unterschrieben Verträge, die in einer Sprache verfasst waren, die sie nicht kannten. Auch ihre Arbeitskraft und die ihrer Untertanen verkauften sie an den Monarchen. Wer sich weigerte, wurde bedroht oder umgebracht. 1884 kehrte Stanley nach Europa zurück und überreichte dem Monarchen die Verträge. Nun mussten noch die anderen Kolonialmächte seine Herrschaft über den mehr als zwei Millionen Quadratmeter großen Kongo akzeptieren. Er wollte sie davon überzeugen, dass sein Engagement eine humanitäre Mission sei. "Was ich hier tue, geschieht aus Christenpflicht gegenüber den armen Afrikanern, und ich will von all dem Geld, das ich ausgegeben habe, keinen einzigen Franc zurück", wird Leopold zitiert.
Sein verlogenes Schauspiel hatte Erfolg: 1885 übertrug ihm die Kongo-Konferenz aus 14 Staaten das gesamte Territorium als Privatbesitz, ein Gebiet, das rund 80 Millionen Einwohner umfasste. Leopold II. agierte wie ein absolutistischer Herrscher, ließ eine nach seinen Wünschen gefertigte Verfassung ausarbeiten, setzte eine Regierung ein, die einzig ihm verantwortlich war, und gründete eine eigene Armee, die bis 1960 existierende Force Publique. Diese Söldnertruppe bestand aus rund 19 ?000 Soldaten, eine grausam agierende Soldateska von Stammeskriegern aus Gebieten rund um den Kongo, aus Sansibar und Westafrika, kommandiert von weißen belgischen Offizieren.
Leopold investierte viel Geld in die Infrastruktur des Kongos, um die Bodenschätze ausbeuten zu können. Er baute die erste Eisenbahn - allein dieses Projekt kostete mehrere Tausend Menschen das Leben. Städte wurden aus dem Boden gestampft, Straßen angelegt und eine Dampfschifflinie gegründet, um Waren über den Fluss zur Küste zu schaffen. Um seine Investitionen zu finanzieren, schrieb der König Brief um Brief und pumpte die halbe Welt um Geld an. "Leopold, du ruinierst uns noch mit deinem Kongo!", soll die Königin gewettert haben.
1888 hatte der Brite John Boyd Dunlop den Luftreifen erfunden, zwei Jahre später nahm die Dunlop Company die Produktion dieser auf Kautschuk basierenden Gummischläuche auf. Dies führte zu einer enormen Nachfrage nach Kautschuk. Ende der 1890er-Jahre wurde der Rohstoff das profitabelste Exportgut des Kongos und löste das Elfenbein als Haupteinnahmequelle ab. Die Weltmarktpreise verdreifachten sich von 1890 bis 1910. Zwischen 1890 und 1904 stieg die Kautschukproduktion des Freistaats Kongo von 135 auf 5500 Tonnen. Leopold II. war der größte Landbesitzer der Welt sowie der weltgrößte Elfenbein- und Kautschukhändler. Um 1900 war der Kongo die profitabelste Kolonie Afrikas. Aufzeichnungen aus dieser Zeit lassen vermuten, dass Leopold II. zwischen 1896 und 1905 aus seiner Privatkolonie einen Nettogewinn von 71 Millionen Francs erwirtschaftete. Der gesamte Profit, den der Monarch aus dem Kongo zog, wird auf 220 Millionen Francs geschätzt, was heute rund 1,1 Milliarden Dollar entspräche. Die gewaltigen Gewinne verpulverte Leopold für seine Prachtbauten in Belgien.
Leopolds Söldnertruppe terrorisierte das Land auf der Suche nach Kautschuk. Sie überfiel Dörfer, entführte und vergewaltigte die Frauen, bis die Männer die geforderte Menge an Kautschuk aus dem Regenwald herbeigeschafft hatten. Die Kautschuksammler mussten sich im Schnitt 24 Tage pro Monat im Regenwald aufhalten, um die verlangte Menge abliefern zu können. Schafften sie ihre Quote nicht, bestraften die Söldner sie mit der Chicotte, einer Peitsche aus Nilpferdhaut. Bei 25 Schlägen aufs blanke Hinterteil des Opfers fielen die meisten in Bewusstlosigkeit, bei 100 oder mehr trat der Tod ein.
Unfassbare Gräueltaten
Weil die Söldner ihren belgischen Offizieren bei jeder verschossenen Patrone nachweisen mussten, dass sie zur Tötung eines Menschen verwendet worden war, verfielen sie auf eine grausame Taktik. Sie schlugen nicht nur den Erschossenen die Hände ab, um die Tat zu belegen. Sie fielen auch über Dörfer her und hackten Unschuldigen die Hände ab. So konnten sie verheimlichen, dass sie Patronen bei der Jagd auf wilde Tiere verschossen hatten. "Körbeweise lieferte die Force Publique bei den Europäern abgeschlagene Hände ab, von Männern, Frauen und Kindern", schrieb das Magazin "Der Spiegel". Fotos der Verstümmelten tauchten in Europa auf, Missionare verfassten schockierende Berichte über die Kongo-Gräuel, die von Zeitungen übernommen wurden. Die britische und die belgische Regierung entsandten Ende des 19. Jahrhunderts Untersuchungskommissionen in den Kongo, die die Berichte bestätigten. Schriftsteller wie Mark Twain und Joseph Conrad, dessen Buch "Herz der Finsternis" auf einer Reise in Leopolds Kongo-Reich basiert, bezogen Stellung gegen den Monarchen. 1908 musste Leopold den Kongo, den er niemals betreten hat, für 45 Millionen Francs an die belgische Regierung verkaufen. Er starb ein Jahr später. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen seiner Herrschaft zum Opfer fielen. Fünf bis 15 Millionen, vermuten Wissenschaftler. Leopold II. fiel auch in Belgien in Ungnade. Die Stadtverwaltung von Antwerpen beschloss im Juni 2020, das Standbild des Königs zu entfernen. Es liegt jetzt im Depot des örtlichen Museums.