Der Industriegasekonzern Linde kippt zum zweiten Mal innerhalb von gut einem Jahr seine mittelfristige Prognose. Die weltweit lahmende Industriekonjunktur, schlechtere Preise im Medizingeschäft und die Folgen des niedrigen Ölpreises machten Vorstandschef Wolfgang Büchele einen Strich durch die Rechnung. Bereits im Oktober des Vorjahres hatte er den bis 2017 geltenden Ausblick zusammengestrichen, den ihm sein Vorgänger Wolfgang Reitzle hinterlassen hatte. Unter Investoren kam der Schritt ganz schlecht an: Die Aktie sackte um 14 Prozent ab und war damit die größte Verliererin im Dax. "Die Ankündigung ist eine klare Enttäuschung", urteilte Analyst Michael Schaefer von Equinet.

Linde rechnet nun für 2017 mit einem operativen Konzernergebnis (Ebitda) zwischen 4,2 und 4,5 Milliarden Euro, wie das Traditionsunternehmen mitteilte. Bislang war das Unternehmen noch von 4,5 bis 4,7 Milliarden Euro ausgegangen. Außerdem werde die bislang angepeilte Rendite auf das eingesetzte Kapital (ROCE) von elf bis zwölf Prozent verfehlt. Der Konzern erwartet nun noch einen Wert von neun bis zehn Prozent. Zum einen entwickle sich die weltweite Industrieproduktion schwächer als früher erwartet, zum anderen fielen die Erlöse auf dem US-Markt für Medizingase schwächer aus als erwartet.

Im Anlagenbau leidet Linde darunter, dass die Kunden in der Petrochemie aufgrund des niedrigen Ölpreises weniger investieren. "Es gibt zwar keine Stornierungen, aber die Kunden scheuen auch, neue Aufträge zu unterschreiben", sagte Büchele in einer Telefonkonferenz. Die Auftragslage werde sich zwar Anfang 2016 bessern, allerdings vorerst nicht auf das Niveau der Vergangenheit zurückkehren. Sollte keine Besserung eintreten, stehe womöglich ein Stellenabbau an. Konzernweite Einschnitte stünden allerdings nach der jüngsten Abbaurunde nicht an.

Büchele klagte erneut über die Deindustrialisierung des wichtigen Markts Australien, wo Linde zuletzt seine Kapazitäten zuletzt bereits deutlich zurückgefahren hat. "Australien fokussiert sich jetzt auf den Tourismus als Einnahmequelle. Aber das kurbelt die Nachfrage nach Gasen nicht an - außer beim Bier", sagte der seit gut einem Jahr als Vorstandschef amtierende Schwabe. Aber nicht nur in etablierten Märkten gebe es Wachstumsschwächen, sondern auch in den Schwellenländern.

Bereits im laufenden Jahr schlagen sich die negativen Trends bei Linde nieder. Der Konzern werde 2015 gerade den unteren Rand der Betriebsergebnis-Prognose (Ebitda ohne Sondereffekte) von 4,1 Milliarden Euro erreichen. Für das kommende Jahr will Büchele, der in seiner Amtszeit bereits dreimal die Prognosen kassierte, erst im März einen aktuellen Ausblick veröffentlichen. Linde fällt nach einer kurzen Zeit als Weltmarktführer im Gase-Geschäft wieder auf Platz zwei zurück, wenn der französische Rivale Air Liquide wie angekündigt den US-Anbieter Airgas übernimmt.

Reuters