Die zweite Welle der Corona-Krise und die Berliner Beschlüsse zu einem Teil-Lockdown bremsen die Erholung der Wirtschaft und versetzen den Börsen einen schweren Dämpfer. Führende Volkswirte erwarten zwar, dass der Einbruch nicht so stark ausfallen könnte wie im Frühjahr. Dennoch laufe die Wirtschaft im vierten Quartal Gefahr, zum Stillstand zu kommen oder gar wieder zu schrumpfen. Im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt um fast zehn Prozent eingebrochen.
Neuer Belastungstest
Den Lockdown-Beschlüssen zufolge soll das öffentliche Leben ab Montag weitgehend heruntergefahren werden. Gastronomie und Freizeiteinrichtungen bleiben zu, Schulen und Kitas offen. "Die ökonomischen Folgen konzentrieren sich, anders als im Frühjahr, vor allem auf den Konsum", erläuterte IfW-Präsident Gabriel Felbermayer. "Die Industrie wird wohl weniger stark beeinträchtigt."
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte gegenüber €uro am Sonntag, er rechne wegen des Lockdowns im vierten Quartal nun bestenfalls mit einer schwarzen Null. "Wenn die Maßnahmen über Ende November hinaus verlängert werden, haben wir eine zweite Rezession." Der Lockdown erschüttere das Grundvertrauen der Wirtschaft. Die bislang positiven Wachstumsprognosen für das kommende Jahr könnten nun Makulatur sein. Außer- dem seien viele Unternehmen wegen des ersten Lockdowns noch sehr geschwächt. "Man kann die Wirtschaft nicht wie eine Lampe ein- und ausschalten, ohne dass es zu massiven Schäden kommt", warnte Krämer. Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding rechnet bei fortdauernden Beschränkungen mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im vierten Quartal von bis zu zwei Prozent.
Die Lockdown-Beschlüsse in Deutschland und anderen Ländern sorgten auch an den Börsen für Verluste. Der DAX rutschte wieder unter die 12 000er-Marke auf den tiefsten Stand seit Juni. "Ein mit dem Frühjahr vergleichbarer Crash ist derzeit aber nicht zu erwarten", so Donner & Reuschel-Chefvolkswirt Carsten Mumm. "Bisher gibt es auch keine Anzeichen einer Panikreaktion, wie etwa massive Zuflüsse in sichere Häfen wie Gold, Bundesanleihen oder US-Dollar." Die Korrektur an den Märkten habe aber die vielfach zu weit gelaufenen Kurse an die wirtschaftliche Realität angenähert.
Ähnlich äußerten sich Aktienstrategen von Dekabank, Blackrock und HSBC. Ein vergleichbar tiefer Einbruch wie im Frühjahr sei diesmal nicht zu erwarten. Eine wichtige Rolle spiele dabei, dass die vor allem für die Exportindustrie wichtigen asiatischen Märkte derzeit relativ stabil liefen.
Commerzbank-Experte Krämer rechnet allerdings damit, dass die Analysten ihre Schätzungen für die Unternehmensgewinne wieder nach unten korrigieren müssen. "Bei Aktien überwiegen die Risiken, zumal sie mit Blick auf die eingebrochenen Unternehmensgewinne teuer sind." Nachdem in der ersten Welle vor allem verbraucher- nahe Unternehmen wie TUI oder Lufthansa zu den Verlierern zählten, müssten nun zunehmend auch geschäftskundenorientierte Konzerne wie SAP ihre Modelle auf den Prüfstand stellen.
Ausgleich für Umsatzausfälle
In der zweiten Welle der Corona-Krise sollen auch die staatlichen Hilfen ausgeweitet werden. So will der Bund erstmals auch Umsatzausfälle betroffener Unternehmen ausgleichen, 75 Prozent für kleinere Betriebe bis 50 Mitarbeiter, 70 Prozent für größere Unternehmen. Bezugsgröße soll der Umsatz aus dem November des Vorjahres sein. Die Kosten dieser Maßnahmen werden auf rund zehn Milliarden Euro beziffert. Experten erwarten, dass der Bund 2021 deutlich mehr Schulden aufnehmen muss - bis zu 120 Milliarden statt wie geplant 96 Milliarden Euro. Für 2020 sind bislang bis zu 218 Milliarden Euro bewilligt.