Der chinesischen Legende zufolge entdeckte der damalige Kaiser Shen Nung rund 3000 Jahre vor Christus rein zufällig den Tee. "Der Sohn des Himmels" ruhte an einem Frühlingsabend mit seinem Gefolge nach einer langen Reise unter einem Baum. Um den Durst zu löschen, kochte der Kaiser an der Feuerstelle gerade Wasser ab, als ein Windstoß ein paar Blätter in den Topf wehte. Nachdem sich das Wasser golden verfärbte und ein wohlriechender Duft aus dem dampfenden Kessel aufstieg, versuchte Shen Nung den Trank und war von Duft und Geschmack begeistert. Dem Kaiser entfuhr der Ausruf "T’sa", was so viel bedeutet wie "das Göttliche". Bis heute hat Tee einen besonderen Platz in der chinesischen Kultur, der Anbau und die Produktion von Tee haben im Reich der Mitte eine lange Tradition.
Kaffee spielt dort bislang praktisch kaum eine Rolle. Gerade einmal gut sechs Tassen Kaffee trinkt der durchschnittliche Chinese pro Jahr. Amerikaner konsumieren im Schnitt 400, Deutsche mehr als 700 und ein Finne im Durchschnitt sage und schreibe 1459 Tassen pro Jahr. Wegen der Urbanisierung und der Annäherung an die westliche Kultur zählt die Kaffeebranche inzwischen aber zu den am schnellsten wachsenden Märkten in China. Dem Marktforschungsinstitut Frost & Sullivan zufolge dürfte der Markt in den kommenden Jahren um durchschnittlich 26 Prozent pro Jahr zulegen. Setzte die Branche im vergangenen Jahr noch 57 Milliarden Renminbi um, so legt das Marktpotenzial bis zum Jahr 2023 geschätzt auf 181 Milliarden Renminbi zu. Das entspricht umgerechnet etwa 23 Milliarden Euro.
Einen großen Teil dieses Kuchens will sich die chinesische Kaffeehauskette Luckin Coffee sichern. Das Unternehmen fährt einen aggressiven Expansionskurs. Seit Ende 2017 hat die Firma die Anzahl ihrer Filialen von neun auf zuletzt 2370 gesteigert. Zum Vergleich: Die US-Kette Starbucks benötigte 28 Jahre, um auf die gleiche Anzahl an Filialen zu kommen. Heute unterhält die Nummer 1 der Branche ein globales Netz aus knapp 30 000 Starbucks-Filialen. Das hohe Wachstumstempo wird bei Luckin Coffee weiter anhalten.
Schon bis zum Jahresende plant das Management die Eröffnung weiterer 2130 Läden. Bis zum Jahreswechsel dürfte die Kette 4500 Filialen betreiben. Zu den Erfolgsfaktoren des jungen Unternehmens gehören nicht nur ein ausgezeichnetes Marketing, sondern auch eine durchdachte Distributionsplattform mit Lieferservice und Abholung in der Filiale sowie eine App zum bequemen Bestellen. Bezahlt wird ebenfalls über die App, völlig bargeldlos. Eine Kasse sucht man in den Filialen von Luckin Coffee vergeblich.
Enorme Dynamik
Das rasante Wachstum spiegelt sich in den Ergebnissen wider. Im vergangenen Geschäftsjahr verbuchte Luckin Coffee Erlöse in Höhe von 125,3 Millionen US-Dollar - mehr als beachtlich für eine Firma, die noch nicht einmal zwei Jahre alt ist. Verschiedene Researchhäuser kalkulieren in diesem Jahr mit Umsätzen von über 600 Millionen US-Dollar. Insgesamt soll das Geschäft im Fünfjahreszeitraum zwischen 2018 und 2023 um durchschnittlich 70 Prozent pro Jahr wachsen und im übernächsten Jahr erstmals einen Nettogewinn abwerfen.
Zur Finanzierung des Wachstums wagte sich Luckin Coffee im Mai aufs Parkett. Die Aktie ist an der US-Technologiebörse Nasdaq notiert. Nach einem recht volatilen Börsenhandel in den ersten Wochen notiert der Titel aktuell knapp oberhalb des Ausgabeniveaus von 17 US-Dollar. Nach Einschätzung von Analysten ist noch viel Luft nach oben. Morgan Stanley und Credit Suisse etwa sehen den fairen Wert der Aktie bei 21 respektive 24 US-Dollar, während The Zephirin Group die Aktie mit einem Kursziel von 32 US-Dollar zum Kauf empfiehlt. Auch bei institutionellen Investoren steht der Titel hoch im Kurs.
So haben mehrere Hedgefonds in den vergangenen Wochen Positionen in der Aktie veröffentlicht. Zuletzt meldete Qatar Investment einen Anteil von mehr als acht Prozent an Luckin. Der ein oder andere Profi dürfte auf eine ähnliche Entwicklung wie beim amerikanischen Vorbild wetten: Kostete die Starbucks-Aktie Anfang 2009 nicht mal drei US-Dollar, notiert der Kurs heute mit rund 83 US-Dollar nahe seines Allzeithochs. Binnen zehn Jahren ist die Aktie um fast 1500 Prozent gestiegen.