Man nannte ihn den "King of Oil": Marc Rich hatte 1973 als Erster die Geschäftschance erkannt, die sich durch das Öl-Embargo der OPEC bot. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keinen internationalen Spotmarkt, viele Staaten am Persischen Golf und Nordafrika pumpten das Öl mithilfe westlicher Konzerne aus dem Boden und luden es direkt für ein paar Dollar pro Fass auf die Tanker der "sieben Schwestern", des Kartells der größten Erdölfirmen BP, Chevron, Esso, Gulf, Mobil, Shell und Texaco. Diese Firmen verkauften den Rohstoff nur mit Terminkontrakten - langfristig und zu festgelegten Preisen. Sie beherrschten den Handel von der Bohrinsel bis zur Tankstelle.

Rich brach das Monopol und machte Öl frei handelbar: Er organisierte Tanker und Transporte für die Araber und Afrikaner und brachte sie mit Interessenten in der ganzen Welt zusammen - oft genug Kunden, die offiziell nichts miteinander zu tun haben wollten. Nach zehn Jahren war Rich der größte unabhängige Erdölhändler der Welt. Er machte Geschäfte mit Kubas Castro und Spaniens Diktator Franco, mit dem Schah von Persien und mit Ayatollah Khomeini, mit dem Apartheidregime Südafrikas und mit Libyens Gaddafi.

"Rich hat alles gemacht, was er als legal ansah", sagt sein Biograf Daniel Ammann. "Schneller, aggressiver, kreativer" als die anderen sei er gewesen. Und wohl auch skrupelloser. Aber der gläubige Jude half auch entscheidend mit, das Überleben Israels zu sichern. Das Öl, das er lieferte, stammte aus den Quellen der iranischen Mullahs, für die Israel der Erzfeind war.

Aber nicht nur beim Öl dominierte er den Welthandel. Auf einer ganzen Reihe weiterer Rohstoffmärkte wurde er zur Nummer 1. Er zögerte auch nicht, selbst in den gefährlichsten Krisengebieten mit Regierungen zu verhandeln, um Vorkommen zu erschließen. Es waren oft schmutzige Deals, denn viele der Rohstoffe wurden - und werden - in Ländern abgebaut, in denen Kriege oder ethnische Konflikte, Korruption und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Jahrelang trieb er etwa Käufer für Südafrikas Kohle auf und unterlief den internationalen Boykott gegen das Apartheidregime. Ein Embargo schaffe "Geschäftsgelegenheiten, die es auf dem freien Markt nicht gibt", erklärte Rich in einem Interview.

1983 klagte ihn der New Yorker Staatsanwalt Rudolph Giuliani, der spätere Bürgermeister der Stadt, an. 65 Delikte warf er ihm vor: Steuerhinterziehung, organisierte Kriminalität, Handel mit dem Feind Iran. Rich kam auf die "Most Wanted"-Liste des FBI und die US-Steuerbehörde schrieb ein Kopfgeld von 500 000 Dollar für seine Ergreifung aus. Rich floh in die Schweiz, ließ sich in Zug nieder und führte von dort aus seine Geschäfte weiter. Er galt jetzt als "berühmtester Flüchtling der Welt". Ironie des Schicksals: Als Flüchtling hatte er sein Leben begonnen. 1941 floh der siebenjährige Marcell David Reich mit seiner Familie aus Belgien. Auf einem Frachter nach Casablanca, später nach New York.

Nach einem abgebrochenen Marketingstudium an der New York University begann er 1954 19-jährig als Lehrling beim Rohstoffhändler Philipp Brothers - einer verschworenen Gruppe deutsch-jüdischer Emigranten. Rich stieg schnell auf, nach zwei Jahren wurde er Juniortrader. Und er schuf sich einen Markt: Quecksilber. Weil er glaubte, dass die Nachfrage durch den Kalten Krieg steigen würde, machte sich Rich auf die Suche nach Produzenten und sicherte sich weltweit, was er kriegen konnte. Und tatsächlich begannen die USA in großem Stil Quecksilber aufzukaufen - und Rich war der Mann, der liefern konnte. Mit 22 Jahren hatte er seinen ersten großen Coup gelandet.

Zwei Jahre später, kurz nach der Revolution in Kuba, machte er Geschäfte mit Fidel Castro, bereiste in den folgenden Jahren Indien und Afrika, immer auf der Suche nach einem Geschäft. Ende der 60er-Jahre profitierte er von einem politisch heiklen Deal: Iran und Israel bauten eine geheime Pipeline, über die der Iran sein Öl transportierte. Rich schaffte es, mit dem Schah ins Geschäft zu kommen, und erhielt die Erlaubnis, einen Teil des Öls weltweit zu verkaufen: der Anfang des freien Ölhandels.

Er war jetzt ein Star bei Philipp Brothers. Aber er musste sich mit einem Gehalt von 100 000 Dollar begnügen. Als er mit seinen Gehaltsvorstellungen scheiterte, verließ er die Firma und gründete 1974 mit vier Partnern in Zug die Marc Rich & Company AG.

Die Firma, aus der der weltweit größte Rohstoffkonzern Glencore Xstrata hervorgehen sollte, bestand damals aus ein paar jungen Tradern, die in einer Vierzimmerwohnung arbeiteten. Die Einrichtung war spartanisch, der Telex stand aus Platzgründen in der Toilette. Aber schon im ers- 2007 wird Rich Ehrendoktor der Bar-Ilan- Uni in Tel Aviv (Foto links). "The King of Oil" heißt seine Biografie (Mitte). Rich mit seiner Frau Denise, die Songs für Aretha Franklin, Diana Ross und Patti LaBelle schrieb ten Geschäftsjahr kam man auf einen Umsatz von einer Milliarde Dollar und einen Reingewinn von 28 Millionen Dollar. 1976 stieg der Gewinn auf 200 Millionen Dollar. Später stieg Rich auch ins Geschäft mit Minen, Schmelzen und Raffinerien ein, um den direkten Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Seine Händler wurden selbst zu Stars und verdienten Geld wie Heu. Die Firma hat wohl mehr Millionäre hervorgebracht als jedes andere Unternehmen in der Schweiz.

In den frühen 80er-Jahren lebte Rich in einem Penthouse an der Park Avenue in Manhattan. Im Juni 1983 setzte er sich aber mit seiner Familie in die Schweiz ab, als die Staatsanwaltschaft eine lange Gefängnisstrafe androhte. Rich wurde nun von Bodyguards bewacht. Er gab sogar die US-Staatsbürgerschaft zurück, um nicht ausgeliefert werden zu können. Am 20. Januar 2001 wurde er von Präsident Bill Clinton an dessen letztem Tag im Amt begnadigt - auch dank der Fürsprache vieler prominenter israelischer Politiker. Nach 17 Jahren Flucht und einem Leben im Exil war Rich ein freier Mann. Die letzten Jahre lebte er zurückgezogen in der Schweiz. 2013 starb er, mit 78 Jahren, an den Folgen eines Hirnschlags.

PEB