Ein prüfender Blick in die Hotellobby: fast alle Plätze leer. Die Vierergruppe dort in der Ecke könnte gehen - hier ist es ruhig und die Sitzmöbel stehen weit genug auseinander. Das ist wichtig für ein Interview in Corona-Zeiten. Mark Mobius, mit seinen 83 Jahren unbestritten zur Risikogruppe zählend, wirkt entspannt. Seine Gesichtsmaske legt er ab, nachdem wir Platz genommen haben.
Noch immer kommt Mobius in der Welt herum. Doch nun hat es den bekannten Schwellenlandinvestor eher unfreiwillig nach München verschlagen. Wegen Corona saß er in Südafrika fest, konnte nicht zu seiner Wohnung in Singapur fliegen, aber über einen Rückholflug der Bundesregierung, Mobius besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, nach Frankfurt und weiter nach München. Dort nutzt er im Hotel Vier Jahreszeiten die Zeit für Gespräche.
€uro am Sonntag: Herr Mobius, wie bewerten Sie die aktuelle Lage an den Märkten?
Mark Mobius: Wir befinden uns in einer V-förmigen Erholung. Ich sage schon seit vielen Wochen: Es wird eine sehr rasche Erholung geben. So schnell, wie es an den Märkten bergab gegangen ist, geht es nun bergauf. Ich schätze, dass wir jetzt ungefähr in der Mitte der Erholungsbewegung angelangt sind.
Keine Angst, dass die Börsen der Wirtschaft zu weit vorausgelaufen sind?
Die Märkte zeigen stets an, was künftig in der Wirtschaft passiert. Wenn Sie an den Börsen also ein V sehen, wissen Sie, dass die Wirtschaft folgen wird.
Ist aktuell nicht Vorsicht geboten?
Viele Anleger machen einen Fehler: Sie warten, bis der Markt wieder an seinem alten Hoch angekommen ist, und verpassen so die besten Chancen, günstig an Aktien zu kommen. Ein Bärenmarkt erholt sich von seinem Tiefpunkt weg.
Es könnte ja aber auch noch mal tiefer runtergehen ...
Wer erfolgreich anlegen will, den darf das nicht abschrecken. Nach einem Börseneinbruch erklimmt der Markt eine "wall of worry", steigt also gegen viele Ängste an. Wenn man sich selbst von diesen Ängsten vereinnahmen lässt, verpasst man alle Möglichkeiten.
Ihr Spezialgebiet sind die Schwellenländer. Fürchten Sie, dass diese durch die Corona-Krise weit zurückgeworfen werden?
In dieser Krise kann noch viel passieren, das keiner voraussehen kann. Aber ich bin überzeugt, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellenländern weitergehen wird. Bereiche wie E-Commerce, Kommunikation, Technologie werden dabei besonders profitieren. Denn nach wie vor haben viele Emerging Markets eine unzureichende Infrastruktur. Das wird in diesen Ländern ausgeglichen durch Mittel wie Mobile Money oder Onlinelieferservices. Ich denke, die Entwicklung der Schwellenländer wird auf lange Sicht von der Corona-Krise profitieren.
Zunächst einmal geraten viele der Länder aber in finanzielle Schieflage.
Genau darin sehe ich einen weiteren Vorteil der Krise: Die Regierungen in vielen dieser Staaten sind häufig schwach, ineffizient und korrupt. Jetzt müssen sie Hilfen beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank beantragen. Diese Hilfen bekommen sie auch. Aber dafür müssen sie eine Reihe von Auflagen erfüllen.
Und das kann langfristig was bringen?
Wissen Sie, was der Präsident Südafrikas, Cyril Ramaphosa, unlängst verlautbart hat? Seine politischen Freunde seien beunruhigt, dass sie zum Spielball internationaler Finanzkonzerne würden. Was er damit meinte, ist, dass seine Freunde, die korrupt sind und Geld mit der staatlichen Fluggesellschaft und dem staatlichen Versorger machen, besorgt sind, etwas ändern zu müssen. Für mich sind das gute Nachrichten, dass es nun zu Reformen kommt.
Die Asien-Krise Ende der 90er-Jahre hat die Schwellenländer schwer getroffen. Was ist dieses Mal anders?
Während der Asien-Krise hatten viele Schwellenländer zu geringe Devisenreserven, um einen Absturz zu verhindern. Das hat sich geändert. Die Emerging Markets waren allgemein in guter Form, als sie die Corona-Krise traf.
Viele sind sogar in der Lage, Hilfspakete aufzulegen.
Die Bandbreite bei den großen Schwellenländern reicht von 1,8 bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts an zusätzlichen fiskalischen Maßnahmen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Selbst in einem Land wie Ägypten flossen sechs bis sieben Milliarden US-Dollar an Hilfen in den Tourismussektor.
Corona ist für die Schwellenländer aber nach wie vor eine große Bedrohung.
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Viele Emerging Markets haben einen sehr strengen Lockdown verhängt. Das haben sie unglücklicherweise von den Industrieländern übernommen, weil sie dachten, so muss man es machen.
Wieso sagen Sie unglücklicherweise?
Weil es sehr schädlich für ihre Wirtschaft war. Viele der Länder haben eine junge Bevölkerung, die solchen Krankheiten widerstehen kann. Sie müssen auch sehen, im Fall von Südafrika ist das Land bereits mit einer Arbeitslosenquote von 30 Prozent in die Krise gegangen. Die dürfte mittlerweile auf 50 Prozent geklettert sein. Das ist verheerend für Menschen, die sich als Tagelöhner über Wasser halten müssen. Ich denke, das war ein großer politischer Fehler. Ausgelöst wurde er meiner Ansicht nach durch die Prognosen des Imperial College in London, die anfänglich zu hoch gegriffen waren und von Millionen von Toten weltweit ausgingen.
Auch für die Experten war es Neuland.
Wissen Sie, der Unterschied heute zu den Virusausbrüchen früher ist die Schnelligkeit der Kommunikationsmittel. Heute gehen Nachrichten innerhalb von Sekunden um die Welt und entfalten eine ganz eigene Wucht. So haben wir eine globale Panik bekommen.
Nachdem die Märkte viele Ängste schon wieder abgeschüttelt haben: Ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt für Schwellenländerinvestments?
Absolut. Das Zinsniveau in den westlichen Staaten bei null Prozent ist aktuell vorteilhaft für die Schwellenländer, denn so kommen sie sehr günstig an unser Geld. Der Zeitpunkt ist aber auch gut, weil sich mittlerweile ganz andere Investitionsziele ergeben. Was früher ein rohstoffgetriebener Aufschwung war, ist jetzt eine durch Ideen getriebene Expansion. Schauen Sie sich den Automobilsektor an. Mit der Entwicklung hin zur E-Mobilität ergibt sich auch bei den Zulieferern ein ganz neues Bild. Während früher die deutschen Firmen dominierten, kommen die wettbewerbsfähigsten Anbieter nun aus Asien oder Lateinamerika. Das ist für mich die stille Revolution, die in den Schwellenländern stattgefunden hat.
Was sind denn derzeit Ihre Favoriten bei den Emerging Markets?
Um nur aus den größeren welche herauszugreifen: China und Indien. Dahinter Brasilien, Südkorea und Taiwan. Weiter unten auf der Liste Türkei und Südafrika.
Sehen Sie bei der Türkei und Südafrika die größten Risiken?
Ja, aber auch die größten Chancen und das höchste Erholungspotenzial.
Welche Unternehmen sind interessante Anlageziele für Ihren Fonds?
Wir sind zum Beispiel in ein kleines Unternehmen in China investiert, das von einem Arzt und seiner Frau gegründet wurde. Die beiden haben viel Know-how mit Knie- und Hüftprothesen. Das ist ein hart umkämpfter Markt, der von US-Amerikanern, Europäern und Japanern dominiert wird. Die Gründer drangen trotzdem mutig dort ein.
Und dann?
Sie knüpften erst mal gute Beziehungen zu den lokalen Kliniken, stellten Leute mit internationaler Erfahrung ein und bauten eine wirklich gute Produktion auf. Dann wandten sie sich dem 3-D- Druck zu, um die Herstellung zu verbessern. Und sie sahen, dass ihre Prothesen besser und besser wurden und die Konkurrenzprodukte aus den USA, Deutschland oder der Schweiz übertrafen. Dann kam Corona, und China konnte nicht mehr aus den USA oder Japan importieren, die Lieferketten rissen.
Nutzten die Chinesen den Heimvorteil?
Ja, das Unternehmen, AK Medical, gewann rasend schnell Marktanteile hinzu. Sie werden langfristig von dieser Unterbrechung im globalen Handel profitieren. Der Aktienkurs des Unternehmens hat sich vervierfacht. Zuletzt haben sie auch die Zertifizierung für den europäischen Markt bekommen. Und plötzlich hat ein lokaler Champion den internationalen Markt erobert. Solche Unternehmen finden wir immer öfter.
Überwiegend in Asien, oder?
Nicht nur. Auch in Brasilien sind wir fündig geworden: bei einem Einzelhändler mit über das ganze Land verstreuten Filialen, Lojas Americanas. Der entschloss sich, auch in den Internethandel einzusteigen. Viele waren skeptisch, ob das klappt. Doch sie gingen geschickt vor: Sie steckten alle jungen Leute in das neue Unternehmen und trennten dieses strikt vom alten, sodass die Mitarbeiter nicht vom dort vorherrschenden Stil beeinflusst wurden. Jetzt bringen sie beides erfolgreich zusammen, und die Onlineverkäufe gehen durch die Decke.
Leidet Brasilien nicht zu sehr unter seinem aktuellen Präsidenten?
Man liest viel Negatives über Brasilien und Bolsonaro. Dessen ungeachtet bleibt das Land ein unglaublich spannender Platz für Investoren. Denn es hat einen großen Heimatmarkt und große Exportmärkte in der Nachbarschaft. Brasilien hat außerdem sechs Millionen deutsche Immigranten, hauptsächlich aus Schwaben. Die machen nichts anderes, als darüber nachzudenken, was es zu erfinden und zu verbessern gibt. Brasilien ist eines der wenigen Schwellenländer, die eine so ausgeprägte Wettbewerbsfähigkeit aufweisen.
Denken Sie an spezielle Sektoren oder Unternehmen?
Ja, durchaus. Wenn Sie mit Fondsmanagern reden, denken die beim Stichwort Brasilien meist an die großen Banken und an den Bergbauriesen Vale. Wir denken bei Brasilien an den größten Wettbewerber des Softwareriesen SAP. In den haben wir genauso investiert wie in die zwei größten und erfolgreichsten Fernunterrichtsunternehmen oder die größte Diagnoselaborkette des Landes. Die profitiert im Übrigen auch von der aktuellen Krise, denn das Unternehmen macht auch Corona-Tests. Das Land hat viele Einwohner, eine konsumkräftige Mittelschicht und eine Bevölkerung, die vorankommen möchte. Es ist nicht alles schlecht in Brasilien.
Kommen wir zu einem anderen großen Schwellenland: China. Sehen Sie wieder stärkere Spannungen zu den USA?
Ich sehe anhaltende Spannungen. Aber ich denke, dass China und die USA im Allgemeinen gut miteinander auskommen können. Die Amerikaner sind vielleicht impulsiver, die Chinesen dafür geduldiger. Außer Zweifel steht für mich, dass Trump im Verhältnis zu China Themen aufgeworfen hat, die schon längst hätten angesprochen werden müssen und mit mehr Gegenseitigkeit zu tun haben - was den Chinesen entgegenkommen sollte, denn ihre Wirtschaft soll sowieso etwas offener werden.
Denken Sie, dass Corona auch die globale Wirtschaft verändert? Wer könnten Gewinner und Verlierer sein?
Die Verlierer werden, so hart es klingen mag, die Europäer sein. Es ist zu viel von Brüssel reglementiert. Und es könnte in Zukunft noch mehr werden. Es sei denn, Europa gibt sich selbst einen Ruck und reformiert sich. Brüssel sollte dann stärker Rücksicht auf die lokalen Regelungen und Gesetze nehmen.
Wo liegen die Versäumnisse des alten Kontinents?
Europa hat meiner Meinung nach einen großen Fehler gemacht: Ein Land wie Griechenland ist immer noch in Schwierigkeiten. Warum? Weil man die griechischen Banken in der Euro-Krise alle mit Steuerzahlergeld gerettet hat. Das hätte man nicht tun sollen, weil sonst keiner die Lektion lernt. Deshalb mache ich mir Sorgen um Europa. Die Staatengemeinschaft muss dynamischer werden, unternehmerischer handeln. Man sollte Hochgeschwindigkeitszüge finanzieren oder alternative Energien, aber das Geld nicht für Bailouts von Banken verschwenden.
Vita:
Investmenturgestein
Mark Mobius, am 17. August 1936 in New York geboren, arbeitete mehr als 30 Jahre für die Fondsgesellschaft Franklin Templeton und leitete dort das Team für Schwellenländeraktien. In dieser Zeit und wegen seiner vielen Reisen erwarb er sich unter anderem den Spitznamen "Indiana Jones der Geldanlage". 2018 machte er sich mit seiner Fondsgesellschaft selbstständig.
Unternehmen
Mobius Capital Partners
Im Mai 2018 gründete Mark Mobius mit seinen früheren Kollegen Carlos von Hardenberg und Greg Konieczny Mobius Capital Partners. Die Gesellschaft lenkt den Mobius Emerging Markets Fund (ISIN: LU 184 673 991 7). Der investiert vor allem in kleinere Unternehmen aus den Schwellenländern und den Frontier Markets und will diese zu besserer Unternehmensführung bewegen.