Die Märkte sind sehr gut ins neue Jahr gekommen. Ungeachtet politischer Unruhen in den USA und zuletzt auch in Russland. Doch wie geht es weiter? Skeptiker finden, dass das Ende der Corona-Pandemie wohl schon in den Kursen enthalten ist, obwohl die Menschen und Unternehmen weltweit auch weiterhin mit zahlreichen Einschränkungen zurechtkommen müssen. Das Potenzial für weitere Gewinne sei daher also eher gering, das Risiko dafür umso höher.
"Es ist normal, dass die Märkte nach vorne blicken, aber sie haben die Risiken unterschätzt", kommentiert etwa Agnès Belaisch, Europa-Strategin beim britischen Geldverwalter Barings, die Entwicklung in einer Analyse. Dass viele Länder noch ordentlich zu kämpfen haben, werde sich in der laufenden Woche zeigen, wenn die Wachstumszahlen für das vierte Quartal in Frankreich, Deutschland und Spanien veröffentlicht werden. "Das deutsche BIP wird wahrscheinlich keine Anzeichen einer Notlage zeigen, da die Wirtschaft weitergelaufen ist, aber die Daten für Frankreich werden die ersten Anzeichen eines Double Dips zeigen", so Belaisch. Es werde der europäischen Erholung nicht viel nützen, dass Deutschland vorprescht, während ein Fünftel des EU-BIPs kräftig hinterherhinke. Diese Divergenz in Europa werde sich verstärken, "je länger eine Wirtschaft stillsteht".
Ignorierte Risiken
Allerdings, und das zeigt die jüngere Vergangenheit recht gut, ist es den Märkten bislang recht gut gelungen, diese Risiken zu ignorieren. Die positiven Impfstoffmeldungen haben ihren Anteil daran. Der Hauptgrund dafür sind nebst den lockeren Zinsen und anderen geldpolitischen Maßnahmen aber wohl eher die fiskalischen Hilfen der Regierungen weltweit. Beispielsweise wird in den USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden der nächste Megaausgabenplan diskutiert. Allerdings - und schon sind wir zurück beim Risiko - sind auch mögliche Steuererhöhungen im Gespräch.
Dass am Aktienmarkt eine gewisse - und durchaus auch beängstigende - Euphorie herrscht, zeigen etliche Indikatoren. Wie die Bewertung der aktuell 190 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts. Das gab es noch nie. "Ein historischer Rekordwert", heißt es in einer Analyse des Geldverwalters Do Investment. Auch das Put-Call-Ratio, also das Verhältnis von Absicherungen oder Spekulationen auf fallende Kurse zur Menge eingegangener Aufwärtswetten, hat den Tiefststand aus dem Jahr 2000 erreicht. Damals, wir erinnern uns, waren die Aktienmärkte getrieben von der Dotcomblase.
Dies spiegelt erneut die aggressive Spekulation von Investoren auf steigende Aktienkurse wider. "Besorgniserregend ist dabei die Vervielfachung von Aktienkursen bei teils unprofitablen Technologieunternehmen, die vielleicht die Welt verändern könnten, sowie der religiös anmutende Kult um Tesla und Bitcoin", heißt es in der Analyse des Vermögensverwalters Do Investment weiter.
Vernachlässigte Aktien
Was also tun? Wie lange hält die Techeuphorie noch an? Seriös beantworten lässt sich das nicht. Dennoch kann man handeln und das Depot zumindest teilweise anpassen. Es gibt viele gute Aktien in Bereichen, die in den zurückliegenden Monaten vernachlässigt wurden: Industrie-, Chemie- und Automobiltitel beispielsweise. Mehr zyklische und defensive Value-Aktien ins Depot also. Und Technologietitel etwas einschränken, absichern oder einfach den Stop-Loss-Kurs nachziehen.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com