An der Wall Street, so hört man, sind die "Animal Spirits" zurück, also die tierischen Instinkte, die Gier. Die Angst vor dem Coronavirus ist bei den Börsianern offensichtlich so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Der Nasdaq Composite erreichte ein neues Allzeithoch, ebenso der Dow Jones und der S & P 500. Hierzulande notiert der DAX im Bereich eines neuen Rekords, während in China sich die Kurse zumindest stabilisiert haben.
Geholfen hat in letzterem Fall Chinas Notenbank: mit frischer Liquidität genauso wie mit dem Verbot von Leerverkäufen und anderen Maßnahmen, um Großinvestoren vom Verkaufen abzuhalten. In den USA ziehen vor allem Technologieaktien, die fast ein Viertel der gesamten Marktkapitalisierung ausmachen, den Markt nach oben. Ebenso Mega Caps, also die ganz großen Unternehmen mit mehreren Hundert Milliarden Dollar Marktkapitalisierung. Manche Notierungen, wie etwa der Kurs von Tesla, verlaufen dabei geradezu parabelförmig. Das ist ein Zeichen für exzessiven Optimismus. Also ein Warnsignal. Aber um es mit den Worten des legendären technischen Analysten Bob Farrell zu sagen: "Parabelförmige Kursverläufe steigen normalerweise weiter, als man glaubt. Allerdings korrigieren sie niemals seitwärts." Ein deftiger Absturz ist bei solchen Aktien also schon programmiert.
Widersprüchliche Indikatoren
Die Frage ist also, an welchem Punkt der Zeitachse wir uns befinden. Ist noch Zeit und Platz für einen weiteren Anstieg des breiten Markts oder ist ein mittelfristiges Top erreicht und es schließen sich nun Wochen der Konsolidierung an? Dafür gibt es keine eindeutige Antwort. Die Stimmungsindikatoren etwa fallen widersprüchlich aus. Solche, die auf Umfragen basieren, zeigen an, dass der übertriebene Optimismus durch den China-Schock eigentlich abgebaut wurde, was also für weitere Kursgewinne spricht. Andere Stimmungsindikatoren, die auf Marktdaten beruhen, hinterlassen aber den gegenteiligen Eindruck. Auch die Bewegungen an den Devisen- und Anleihemärkten sind widersprüchlich. Die Bullen argumentieren damit, dass der Dollar gegenüber dem Yen stärker tendiert, was historisch eng mit einem steigenden Aktienmarkt korreliert. Die Bären verweisen wiederum auf die schwache Tendenz bei den Hochzins- und Schwellenländeranleihen, was sinkenden Risikoappetit signalisiert.
Was also tun? Mittelfristig sind Turbulenzen drin, je nachdem wie sich das Problem mit dem Coronavirus entwickelt. 20 bis 25 Prozent Cash aufzubauen ist also sicher kein Fehler. Die seit Jahren andauernde Hausse ist aber nicht zu Ende. "Don’t fight the Fed", heißt es schließlich - stell dich nicht gegen die Notenbank.
Eindeutige Notenbanken
Und die Fed hat beide Füße auf dem Gaspedal, ebenso wie die EZB und wie die chinesische Notenbank. Das ist der entscheidende Faktor. Die Fed ist gewillt, die Zinsen niedrig zu halten und wenn nötig zu senken - auch in den negativen Bereich. Gleichzeitig spricht der bisherige Verlauf im US-Wahlkampf für Kursgewinne: Der amtierende US-Präsident, ob man ihn nun schätzt oder nicht, gibt sich weiter unternehmensfreundlich, und wenn die Demokraten tatsächlich einen linken Gegenkandidaten wie Bernie Sanders nominieren, steigen Donald Trumps Chancen auf eine Wiederwahl enorm. Dann wird es weitergehen mit unternehmensfreundlicher Politik, und auch sein Einfluss auf die Notenbank wird wachsen. Verrückte Zeiten.