Spannend. Die Börse dreht noch einmal nach oben. Auf die zuletzt sehr schlechten Wirtschaftsnachrichten haben die Kurse in der zurückliegenden Börsenwoche nicht mit neuen Tiefständen reagiert. Daraus könnte man schließen, dass sich die Panik der Vorwochen erst einmal gelegt hat und man sich an der Börse damit abgefunden hat, dass die Nachrichtenlage wohl erst mal negativ bleiben wird. Bedeutet dies aber auch, dass die Börsenampeln wieder auf Grün geschaltet haben? Ist es jetzt schon an der Zeit, wieder größere Summen zu investieren? Um das zu entscheiden, sollte man als Anleger mehrere Aspekte abwägen.
Da ist zum einen die Stimmungslage. So hat eine aktuelle Umfrage der kanadischen Royal Bank unter institutionellen Investoren in Nordamerika ergeben, dass die Geldverwalter so optimistisch sind wie nie zuvor, seit die Bank diese Umfrage Anfang 2018 gestartet hat.
Drei Gründe gibt es für den Optimismus: die vermeintlich günstige Bewertung der Aktienmärkte, starkes Vertrauen in die Politik der Notenbanken sowie die Überzeugung, dass der wirtschaftliche Schaden, den die Pandemie anrichtet, beherrschbar sein wird. Privatanleger wiederum sind zwar vorsichtiger geworden, tendieren aber gleichzeitig ebenfalls dazu, wieder mehr in Aktien zu investieren - die zahlreichen neuen Konten, die derzeit bei Onlinebrokern angelegt werden, zeugen davon.
Kurzfristig spielt das den Börsenoptimisten in die Hände. Allerdings entspricht die aktuelle Stimmungslage nicht jener, die normalerweise herrscht, wenn die Börse ein langfristiges Tief erreicht hat.
Interessant ist die Entwicklung am Aktienmarkt selbst. Die Erholungs-rally ist beeindruckend, hat aber an den ersten wichtigen Widerstandslinien Halt gemacht. Der S & P 500 beispielsweise stoppte vergangenen Freitag zunächst am ersten Fibonacci-Retracement-Level. Gleichzeitig erholte sich der Fear and Greed Index, der die Marktpsychologie widerspiegelt, von einem extrem negativen Wert. Beides sind Indizien, die eher dafür sprechen, dass wir es lediglich mit einer Erholungsrally zu tun haben, aber nicht mit einem Boden, der solide genug ist für den Start einer neuen, nachhaltigen Rally.
Auch wichtig: der Anleihemarkt. Hier haben die Konditionen zwar angezogen, aber alle zuletzt getätigten Neuemissionen finden Abnehmer, sogar das angeschlagene Kreuzfahrtunternehmen Carnival konnte eine Anleihe am Markt platzieren. Erneut: Das ist kurzfristig positiv, für eine Krise wie der aktuellen aber schlicht zu normal, mahnt also zur Vorsicht.
Und dann gibt es schließlich noch den Faktor Bewertung: Die US-Börse beispielsweise wird derzeit mit einem KGV von knapp über 15 für das gerade laufende Geschäftsjahr bewertet. Das ist auf den ersten Blick in Ordnung, nicht hoch, aber auch nicht sonderlich billig. Das Problem ist nur, dass das "G" im "KGV", also der Gewinn der Unternehmen, gerade erst so richtig ins Rutschen kommt. Es braucht wenig Fantasie, um sich auszumalen, wie deutlich die Gewinnrevisionen in den kommenden Wochen ausfallen werden. Und nicht zu vergessen: Derzeit beginnt die Berichtssaison für das erste Quartal, das noch passabel ausfallen dürfte. Hässlich wird es erst im folgenden Quartal. Das mittelfristige Abwärtsrisiko ist also allein aus Bewertungsgründen derzeit weiterhin enorm.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com