Dass der EU-Gipfel zäh verlaufen würde, war schon von vornherein klar. Zu unterschiedlich waren die Positionen der 27 Staats- und Regierungschefs, sodass bei Redaktionsschluss auch noch keine Einigung erzielt worden war. Die Nerven lagen anscheinend blank, soll doch Frankreichs Premier Emmanuel Macron die Niederländer als die "neuen Briten" bezeichnet haben. Die wollen nämlich das Geld zusammenhalten. Oder einfach gesagt: Der Norden - die Niederlande inklusive - will sparen, der Süden will ausgeben, der Osten will nicht bevormundet werden. Und Deutschland will sich in Person von Angela Merkel irgendwie einigen. Aber wie das so ist bei EU-Gipfeln: Ein (fauler) Kompromiss kommt immer zustande.
Zur Hängepartie in Brüssel passt auch die Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Vorwoche. Die war fast schon ein Non-Event, gerade im Vergleich zu den vorangegangenen Treffen. Diskussionen über Änderungen gab es laut EZB-Chefin Christine Lagarde nicht. Die EZB warte erst einmal ab, was beim EU-Gipfel in Sachen Wiederaufbaufonds passieren werde. Immerhin rang Lagarde sich dann doch zu vorsichtigem Optimismus durch: Die Konjunktur habe mit den Lockerungen etwas nach oben gedreht und die Finanzmärkte seien robust. Na ja.
Auf und Ab in Shanghai
Spannender sieht es da an den Märkten aus. Besonders auffällig ist China. Nachdem der Leitindex der Börsen Shanghai und Shenzhen, der CSI 300, in den Vorwochen binnen weniger Tage von 4100 auf 4850 Punkte geklettert war, ging es innerhalb von drei Tagen wieder auf 4500 Zähler hinab und anschließend zurück auf 4700 Zähler nach oben. An Chinas Börse wird gezockt wie seit fünf Jahren nicht mehr. Es sieht nach einer Blase aus.
Richtungsweisend dürfte auch die Berichtssaison sein, die in den USA gerade ihren Anfang nimmt. Da wird man sich ganz schön auf was einstellen müssen: Laut der Konsensprognose aller Analysten werden die Gewinne der Unternehmen im breiten Leitindex S & P 500 im zweiten Quartal um 44 Prozent zurückgehen. Goldman Sachs geht in einer Studie sogar von weit Schlimmerem aus und erwartet einen Rückgang von 60 Prozent. Es wäre das stärkste Minus seit 2009.
Dass die Berichtssaison schwierig wird, sieht man an den Banken, die traditionell zu den ersten Unternehmen gehören, die neue Zahlen veröffentlichen. So sind die Gewinne von JP Morgan, Wells Fargo und Citigroup wegen Rückstellungen für mögliche Kreditausfälle deutlich eingebrochen; die drei Banken allein haben 28 Milliarden Dollar zurückgelegt. Dennoch lagen die Quartalsergebnisse vor allem dank der Kurserholungen an den Börsen deutlich über den Erwartungen des Marktes. Dass die Rückstellungen derart hoch ausfallen, bereitet aber Sorgen, scheinen die Banken doch von einer großen Zahl an Unternehmenspleiten auszugehen. Dies wiederum steht im starken Kontrast zu den Erwartungen, dass sich die Wirtschaft V-förmig erholt.
13 000er-Hürde überwunden
Scheinbar unbeeindruckt davon steigen die Kurse weiter. So schaffte es der DAX zum ersten Mal seit Februar wieder über die 13 000-Punkte-Marke. Noch nicht so weit ist der amerikanische S & P 500. Der muss erst noch den Widerstand bei 3300 Zählern überwinden, bis die alten Höchststände vom Jahresanfang in Sicht kommen. Vielleicht gelingt das, wenn man sich in Brüssel auf einen (faulen) Kompromiss einigt und die anstehenden Quartalszahlen besser ausfallen, als Goldman Sachs es prophezeit.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com