Die Wahl in den USA liegt jetzt einige Wochen hinter uns. Der Herausforderer hat gewonnen. Doch die Gemengelage ist weiterhin schwierig: Der noch amtierende Präsident Donald Trump hat anscheinend vor, seinem Nachfolger Joe Biden bis zu dessen offiziellem Amtsantritt im Januar das Leben so richtig schwer zu machen. Der Start für die Biden-Regierung dürfte daher holprig werden. Außerdem dürfte das Verhalten Trumps dazu beitragen, dass der Unfrieden zwischen seinen Anhängern und seinen Gegnern nicht weniger wird. Beides sind Aspekte, die die US-Wirtschaft derzeit wirklich nicht gebrauchen kann.
Dennoch ist die Stimmung an den Börsen gut, an der Wall Street genauso wie in London und Frankfurt sowie in Tokio und Shanghai. Für viele Anleger scheint es gar nicht mehr um die Frage zu gehen, ob es an den Märkten, aus welchen Gründen auch immer, noch einmal zu einer größeren Korrektur kommen kann. Stattdessen scheint ein weiterer Anstieg längst ausgemacht, und es geht letztlich nur noch darum, wann welcher Index einen neuen Rekord erreicht. Legt das Technologiebarometer Nasdaq Composite vor? Oder doch der chinesische CSI 300? Für die Börsianer scheint klar, dass die Welt auf dem richtigen Weg ist - was Corona angeht, was die politische Großwetterlage angeht - und dass verbleibende Probleme über kurz oder lang beseitigt werden. Ein "aber" ist aus dem Börsianervokabular gestrichen. Zumindest aktuell.
Machtwechsel
Alles klar also? Fakt ist, dass die Aktienmärkte, die im Oktober stark angeschlagen waren, zum Monatswechsel dann doch wieder nach oben drehten. Nichts war es mit dem drohenden Bärenmarkt. Die Pessimisten fanden kein Gehör mehr, nach den positiven Meldungen über Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung sowie nach dem letztlich doch deutlichen Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl, auch wenn die Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat schlechter abgeschnitten haben als erwartet.
Dabei versprechen weder der Machtwechsel in den USA noch die Fortschritte im Bereich Impfstoffe baldige Lösungen für alle schwelenden Krisenherde. Doch das blendet man eben gerade aus an der Börse. Oder anders formuliert: Man blickt richtig weit voraus und erkennt Anzeichen für eine rosige Zukunft.
Ohnehin dreht sich die Welt ja auch weiter, nur dass bislang Gewohntes derzeit eben in anderer Form stattfindet. Der virtuelle Gipfel der G-20-Nationen ist das jüngste Beispiel dafür. Da nahm sogar Nochpräsident Trump teil, auch wenn er sich recht früh ausklinkte, um golfen zu gehen. Das Problem am aktuellen Börsenoptimismus ist aber, dass der Strom an positiven Nachrichten besser nicht abreißen sollte. Denn die Börse wird von Emotionen getrieben - das gilt generell und vor allem im aktuellen Umfeld.
Meilensteine
Das sieht man auch an den Indizes. So hängen beispielsweise der DAX wie auch der Dow Jones nach den schnellen Kursgewinnen vom Monatsanfang jetzt doch fest und tendieren seitwärts. Der DAX hat noch kein neues Hoch geschafft, und der Dow, so scheint es, bekommt es jetzt mit der "magischen Marke" von 30 000 Punkten zu tun. So eine charttechnische oder psychologische Hürde will erst einmal genommen werden. Es heißt also, wachsam zu bleiben. Wenn es den Börsianern gelingt, die Seitwärtsbewegung nach oben aufzulösen, dann wäre ein wichtiger Meilenstein geschafft und der weitere Anstieg sehr wahrscheinlich.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com