Die Hegemone sind Stehaufmännchen
Die US-Regierung kleckert nicht, sie klotzt. Das neue Konjunkturprogramm über insgesamt bis zu vier Bio. US-Dollar ist de facto eine Kernsanierung Amerikas. In einer ersten von zwei Stufen sollen mit Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 2,25 Bio. Straßen, Brücken, Wasserwege und Dämme bis 2030 runderneuert sowie die Zukunftsthemen Netzausbau und Klimawandel beherzt vorangetrieben werden. Eine dann verbesserte Logistik und Infrastruktur sowie moderne Umweltstandards werden ein langfristig positives Investitionsklima schaffen und zukünftigen Wohlstand beflügeln. Da kann man in Deutschland nur neidisch werden.
Schätzungsweise eine Bio. sind in der zweiten Stufe für Investitionen in die "soziale Infrastruktur" vorgesehen. Diese konsumstimulierende Summe könnte zwar geringer ausfallen, da weder Republikaner noch mancher Demokrat glühende Anhänger von Sozialausgaben sind. Immerhin dürften dann aber auch die Steuererhöhungen für Unternehmen weniger stark - also nicht wie geplant von 21 auf 28 Prozent - ausfallen, die der Gegenfinanzierung dienen.
China setzt mit der Fokussierung auf Stärkung der Binnenkonjunktur klar auf eine nachhaltige und stabile Wachstumsstory. Davon werden ebenso die Anrainerstaaten profitieren.
Deutschland als Nabel der Weltwirtschaft
Selbst in der Eurozone nimmt die konjunkturelle Stimmung Fahrt auf. Vor allem Deutschland zeigt sich dynamisch.
Die voranschreitende Genesung der Weltwirtschaft stimmt deutsche Exporteure so optimistisch wie seit 10 Jahren nicht mehr. Vor allem Elektroindustrie, Maschinenbau und Automobilsektor rechnen mit einer starken Auslandsnachfrage.
So sendet die Lockdown-geplagte deutsche Wirtschaft laut ifo Geschäftsklimaindex klare Lebenzeichen. Setzt man ifo Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung, hat sie sich aus der Zyklusphase "Abschwung" in den "Boom" vorgearbeitet. Allerdings könnte sich mit der vorerst reduzierten Verwendung des Impfstoffes von AstraZeneca die Wiedereröffnungen von Handel und Dienstleistungen etwas verschieben. Doch verschoben ist nicht aufgehoben.
Zinswende? Nominal ja, real nein
Auch markante Preisaufschläge bei Rohstoffen beweisen die Konjunkturdynamik. Flankiert von einer sich freisetzenden Kaufwelle sorgt das für viel Dampf im Inflations-Kessel. Im Trend steigen die Inflationserwartungen in den USA und der Eurozone weiter.
Dennoch signalisieren Fed, EZB und Co. mittlerweile unverhohlen, dass sie inflationäre Basiseffekte ignorieren, die die Preissteigerung in den kommenden Monaten deutlich über den Zielwert von zwei Prozent hieven werden. Sobald die Corona-Krise nachhaltig überwunden ist, wird die Fed zwar stabilitätspolitische Verantwortung zeigen müssen. Um allerdings Zinsirritationen zu verhindern, die Realwirtschaft und Finanzmärkten schaden würden, wird sie das mit dem Fingerspitzengefühl eines Feinmechanikers tun. Dabei werden Anleihekäufe nur in schwachen Dosen reduziert. Zudem folgen sie keinem starren Zeit- oder Mengenplan. Und treten dennoch unerwartete Zins-Schmerzen auf, wird die US-Notenbank sofort mit vorgezogenen Käufen reagieren. Bei Gefahr eines nachhaltigen Renditeerhöhungstrends wird sie auch das Instrument der Zinskurvenkontrolle nicht scheuen.
Die EZB steht erst Recht nicht im Verdacht, restriktive Geldpolitik zu betreiben. Schon jetzt gestaltet sie ihre Ankäufe flexibel, um Renditesteigerungen vorzubeugen. Dabei kommen die Staatspapiere aus dem Euro-Süden in den Genuss von verstärkter Liquidität, deren Renditen sich im Trend weiter den deutschen nähern. Euro-politische Konflikte, wegen Reformschwäche weniger große Wachstumspotenziale und eine eklatante Überschuldung machen die EZB zum europäischen Rettungsinstrument auf Lebenszeit.
Die Liquiditätshausse ist nicht beendet
Zwar sind überschaubare Zinssteigerungen möglich. Doch werden diese von der anziehenden Inflation mehr als ausgeglichen. Zinsmärkte gewinnen eben nicht an Attraktivität, wenn die Realzinsen bei null oder sogar negativ sind. Und wenn Inflation nicht bekämpft wird, ist sie ein Treiber von Sachkapital, wozu auch Aktien gehören.
Trotz zwischenzeitlichen Misstönen an den Anleihemärkten bleibt die zinsseitige "Alternativlosigkeit" ein zentraler Stützpfeiler für Aktien.
Und wenn dann auch noch die Gewinn- ihren Vorsprung vor den Anleiherenditen behalten bzw. über die konjunkturelle Besserung noch ausweiten, droht dem Aktienmarkt wirklich kein Ungemach.
Allerdings setzt sich die Umschichtung von Wachstumstiteln in zyklische Substanzwerte zunächst fort. Dabei liegt der Fokus auf Sektoren mit konjunkturellem Nachholbedarf und Corona-Verlierern wie Industrie- und Rohstoffwerten, Reise- und Freizeitaktien sowie Banken, während Corona-Gewinner u.a. aus dem Technologiebereich Federn lassen. Doch auch wenn Value wieder gefragt ist, bedeutet das nicht, dass Tech-Werte als langfristige Digitalisierungsgewinner out sind. Ihre Geschäftsmodelle sind weiterhin vielversprechend, was sie nach einer Kurskonsolidierung auch wieder dokumentieren werden. Immerhin stellt die Ergänzung mit den in den vergangenen Jahren vernachlässigten Branchen der Old Economy die Aktien-Hausse auf ein breiteres, gesünderes Fundament.
Marktlage - Fundamentale Frühlingsgefühle
Betrachtet man den globalen Economic Surprise Index der Citigroup - er misst die Abweichung veröffentlichter Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen - konnten die weltweiten Konjunkturdaten zuletzt zwar weniger überraschen. Im Vergleich mit den Vorjahren befindet er sich allerdings weiter auf hohem Niveau. Die Aktienmärkte honorieren die wirtschaftliche Stabilität.
Die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit hat sich von ihrem Höhepunkt im Mai 2020 deutlich zurückgebildet. Zwar liegt sie wegen Corona und geopolitischen Konflikten - z.B. zwischen den USA und China - immer noch auf hohem Niveau. Doch haben beide Hegemone kein Interesse an der Wiederholung der Handelskriege, die beide Länder schädigt. Unabhängig davon, kommt es zur erwarteten konjunkturellen Belebung, wird sich eine weiter rückläufige Unsicherheit in weiteren positiven Aktienentwicklungen niederschlagen.
Daneben ist mit Positivimpulsen von der bevorstehenden US-Berichtsaison für das I. Quartal 2021 zu rechnen. Wegen des einjährigen Corona-Jubiläums sind die zu erwartenden Gewinnsprünge wegen Basiseffekten sicherlich wenig aussagekräftig. Aber auf die Ausblicke von Corporate America kommt es an. Und diese werden abnehmende coronale Risiken, aufgehellte Konjunkturaussichten sowie steigende Umsätze und Gewinne bescheinigen. Große Tech-Unternehmen präsentieren sich gewohnt solide. Die Top-Gewinner sind jedoch zyklische Unternehmen aus den Bereichen Grundstoffe, Industrie und Einzelhandel, die von Öffnungsperspektiven der US-Wirtschaft, sowie Finanzunternehmen, die von stabileren Kreditportfolios und Wertpapiererträgen, profitieren.
Nicht zuletzt rückt die Dividendensaison in den Fokus. Zwar macht sich die Corona-Delle auch in den Unternehmensausschüttungen bemerkbar, die deutlich unter dem Rekordjahr 2018 liegen. Doch mit einer Dividendensumme im DAX von 34 Mrd. Euro fällt diese sogar leicht höher als im Vorjahr mit 33,5 aus. Fünf zu erwartenden Dividendenkürzungen stehen 16 -erhöhungen gegenüber. Die Unternehmen fahren einen stabilen Dividendenkurs, zumal Ausschüttungen heutzutage für große Kapitalsammelstellen angesichts ausbleibender Zinsen eine Alternative bieten.
Sentiment und Charttechnik DAX - Die Kraft von zwei Herzen
Dass der DAX seine erklommenen Höhen verteidigt, stimmt zuversichtlich. Eine leicht überkaufte Situation spricht jedoch für zwischenzeitliche Gewinnmitnahmen und erhöhte Kursschwankungen. Dramatisches Konsolidierungspotenzial ist jedoch nicht zu erwarten. Das gilt auch für den US-Aktienmarkt, der gemäß Fear & Greed Index von CNN Money im neutralen Bereich notiert.
Anleger sollten Kursrücksetzer selektiv zur Aufstockung ihrer Positionen gerade im konjunkturzyklischen Bereich nutzen. Denn die Zutaten für eine stabile Aktienentwicklung sind gegeben. Während die Virus-Krise abklingt und Weltwirtschaft sowie Unternehmensgewinne wachsen, bleibt die Geldpolitik von Kopf bis Fuß auf Rettung eingestellt. Das ist doppelter Schub für Aktien: Die Fundamentalbaisse endet und die Liquiditätshausse geht in die Verlängerung.
Charttechnisch setzt sich die Aufwärtsbewegung im DAX fort bei Überschreitung des Widerstands bei 15.029 Punkten. Darüber liegen weitere Barrieren bei 15.110 und 15.150. Werden auch diese durchbrochen, ist der Weg bis 15.200 frei. Fällt der Index bei Verkaufsdruck hingegen unter die Unterstützung bei 14.970, ist mit Kursrückgängen bis 14.926 und darunter 14.890 sowie 14.800 zu rechnen.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.