2019 litten die Börsen weltweit unter politischen wie auch wirtschaftlichen Unsicherheiten wie etwa dem Brexit oder dem US-Handelsstreit mit China. Welche Unsicherheiten stehen 2020 besonders im Fokus?
Max Otte: Die Dauerbrenner bleiben uns erhalten. Dazu kommt eine sich rapide abschwächende Konjunktur in Europa und den USA.

Ist eine Entspannung bei den aktuellen Dauerbrennern Brexit und Handelsstreit in Sicht?
Beim Handelsstreit nicht, beim Brexit ist die Situation weiter offen.

Mit Christine Lagarde steht die Europäische Zentralbank (EZB) seit November 2019 unter neuer Führung. Ihr Vorgänger Mario Draghi hat im EZB-Rat einigen Gesprächsbedarf zurückgelassen. So sind die Ratsmitglieder im Hinblick auf die erneute Aufnahme des Anleihekaufprogramms und dem Leitzins auf Rekordtief gespaltener Meinung. Einige fordern einen Kurswechsel der EZB. Wo sehen Sie die EZB Ende 2020?
Ich habe Lagarde vor einigen Tagen bei ihrer Rede auf dem European Banking Congress gesehen. Sie sprach davon, Wachstum unterstützen zu wollen. Ich rechne also weiter mit Vollgas geldpolitisch, also Negativzinsen, Quantitative Easing, Anleihekäufe - das volle Programm.
Erstaunlich war, dass keiner der anwesenden Spitzenbanker aufgemuckt hat, denn dieser Kurs zerstört natürlich das Geschäftsmodell vieler Banken. Andererseits ist es nicht erstaunlich, denn die großen Banken stehen ja seit einigen Jahren unter der Aufsicht der EZB.

Das Jahr 2019 stand ganz im Zeichen von Niedrigzins. Mittlerweile sind nicht mehr ausschließlich Banken von Strafzinsen betroffen, sondern auch Privatanleger müssen teils ab dem ersten Cent zahlen. Auch von Krediten mit Negativzinsen ist inzwischen die Rede. Rechnen Sie mit flächendeckender Verbreitung von Negativzinsen für Privatkunden?
Ob die flächendecken Verbreitung im nächsten Jahr schon kommt, sei dahingestellt. Aber immer mehr Banken werden Negativzinsen einführen.

Die USA befinden sich im längsten Aufschwung ihrer Geschichte. Doch es gibt auch Hemmschuhe, weiß Ulrich Stephan von der Deutschen Bank. Politische Unsicherheiten und Diskussionen über die Regulierung amerikanischer Großindustrien wie beispielsweise Finanzen, Pharma, Energie und Tech im Vorfeld der Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November 2020 könnten das Wachstum hemmen. Wie schätzen Sie das Wachstum der USA für das nächste Jahr ein?
Die Risiken steigen. Es muss eigentlich bald eine Rezession kommen. Trump weiß, dass ein Einbruch des Wachstums ihm die Wahl kosten würden. Deswegen übt er auch so viel Druck auf Jerome Powell aus, die Zinsen zu senken.
Die Steuerreform 2018 war typisch Republikaner - Steuern runter, Gesetze weg, Schulden rauf. Das sind natürlich keine nachhaltig sinnvollen Strukturreformen.

Im speziellen Donald Trump: Schon in der Vergangenheit wurde der Einfluss des US-Präsidenten auf die Börsen deutlich. Für eine Wiederwahl dürfte der Präsident alle Register ziehen. Wie könnte sich das auf die Börsen auswirken?
Dass macht Trump ja jetzt schon. Die Neuverschuldung in den USA ist auf Rekordhoch. Dennoch wird es irgendwann nicht mehr reichen. Dann kommt der Einbruch.

Sowohl der Export wie auch die Industrie schwächeln. Die Konsumnachfrage ist aber nach wie vor gut. Bleibt der Konsum auch 2020 die Stütze der deutschen Konjunktur?
Irgendwann muss auch der Konsum einbrechen.

Könnte die deutsche Wirtschaft 2020 in eine Rezession abgleiten?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.

Was ist Ihre Einschätzung? Stehen die Börsen im nächsten Jahr vor einem Boom oder vor einem Crash?
An der Börse ist alles möglich, besonders das Gegenteil. Wenn auf einmal die Pensionskassen merken, dass Anleihen nicht so gut sind und dass ihre Aktienquote zu niedrig ist, kann es noch ein bis zwei Jahre richtig hoch gehen. Aber ein Crash 2020 oder 2021 ist sehr wahrscheinlich.

Ihr persönlicher Anlagetipp: Worauf würden Sie 2020 setzen?
Gold.