Bis dieser feststeht, will sie als Premierministerin im Amt bleiben. Ihr aussichtsreichster Nachfolger, Ex-Außenminister Boris Johnson, bekräftigte seine Bereitschaft, May zu beerben. Zudem stellte er klar, dass Großbritannien die EU nach Ablauf der Frist bis zum 31. Oktober verlassen werde - mit oder ohne Abkommen. Die Opposition forderte umgehend Neuwahlen.
Großbritannien und die EU steuern damit auf eine neue Konfrontation zu: Sowohl die Nachfolge-Anwärter aus den Reihen der Tories als auch Labour fordern Änderungen an dem Brexit-Vertrag, den May mit der EU ausgehandelt hat, der aber im britischen Unterhaus drei Mal durchgefallen ist. Die EU will den Vertrag jedoch bislang nicht aufschnüren. Das bekräftigten nach Mays Rücktrittsankündigung noch einmal EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der irische Außenminister Simon Coveney. Daran werde auch ein neuer Premierminister nichts ändern, sagte Coveney. Wie, wann oder ob Großbritannien aus der Staatengemeinschaft ausscheidet, bleibt somit vollkommen ungewiss. Derzeit ist die Frist für den Abschied der 31. Oktober.
JOHNSON WILL SICH FÜR MAY-NACHFOLGE BEWERBEN
Johnson bekräftigte auf einer Konferenz in der Schweiz seine Ambitionen: "Natürlich werde ich dafür kandidieren, Premierminister zu werden." Er wolle dafür sorgen, dass Großbritannien einen "fantastischen" Freihandel mit der EU haben, aber auch ein Meister im globalen freien Handel werde. Die größte Gefahr für den britischen Wohlstand sei nicht der Brexit, sondern Oppositionsführer Jeremy Corbyn. Nach einem BBC-Bericht will auch der Vorsitzende des einflussreichen Komitees 1922 der Konservativen Partei, Graham Brady, kandidieren. Auch Außenminister Jeremy Hunt will sich um den Parteivorsitz bewerben. Das berichtet der "Farnham Herald", Hunts Heimatzeitung. Die Wahl eines Nachfolgers aus der Konservativen Partei dürfte etwa sechs Wochen dauern.
May sagte vor ihrer Residenz in der Downing Street 10, sie werde am 7. Juni als Chefin der Tories zurücktreten, damit die Partei einen Nachfolger wählen könne. Das Rennen um den Posten werde in der darauffolgenden Woche beginnen. May bedauerte, dass es ihr nicht gelungen sei, mit ihrem Brexit-Kurs zu überzeugen. Nun sei es im besten Interesse des Landes, wenn ein anderer Regierungschef den Brexit-Prozess begleite. Zum Schluss der Rede brach Mays Stimme und sie wandte sich unter Tränen ab.
Labour-Chef Corbyn begrüßte Mays Entscheidung und forderte Neuwahlen. Die Konservative Partei sei zu zerstritten, als dass sie das Land regieren könne, und im Parlament herrsche eine Blockade. "Wer auch immer der neue Chef der Konservativen wird, muss das Volk über die Zukunft unseres Landes entscheiden lassen und zwar über eine rasche Parlamentswahl."
"ALLES IST MÖGLICH"
Die Wahl eines neuen Premierministers kann nach Ansicht des irischen Regierungschefs Leo Varadkar zu einer Phase in den Brexit-Verhandlungen führen, die für Irland "sehr gefährlich" werden könnte. Möglich wäre die Wahl eines neuen britischen Regierungschefs, der das Brexit-Abkommen ablehne und einen Austritt ohne Vertrag anvisiere. Ein Austritt ohne Abkommen dürfte nach Einschätzung zahlreicher Wirtschaftsexperten zu ökonomischen Verwerfungen auf beiden Seiten des Kanals führen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte Verständnis für May. "Ich respektiere natürlich diese Entscheidung", sagte sie in München. Sie habe mit May immer sehr gut zusammengearbeitet. Unabhängig von der weiteren Entwicklung in Großbritannien setze die Bundesregierung alles daran, dass es auch weiter eine gute Partnerschaft mit Großbritannien und einen geordneten Brexit gebe. Ein Sprecher des französischen Präsidenten Emmanuel Macron forderte rasch Klarheit über den Brexit-Kurs der Briten. Man sei zur Zusammenarbeit in allen Bereichen bereit.
May hatte am Dienstag noch einmal versucht, ihre Kritiker umzustimmen. Sie stellte einen Gesetzentwurf vor, der unter anderem engere Handelsbeziehungen zur EU nach dem Abschied aus der Staatengemeinschaft vorsieht sowie die Möglichkeit eines weiteren Referendums, diesmal über den Brexit-Vertrag und nicht wie im Juni 2016 über den Austritt an sich. Damit wollte sie insbesondere Labour für sich gewinnen, auf deren Stimmen sie im Parlament angesichts vieler Abweichler in den eigenen Reihen angewiesen ist. Doch sowohl Labour als auch viele Konservative senkten den Daumen.
rtr