Vom 1. Juli bis 31. Dezember des Jahres 2020 sind die Mehrwertsteuersätze für Waren und Dienstleistungen von 19 auf 16 Prozent oder sieben auf fünf Prozent reduziert. Drei Experten nehmen Stellung zu neuen kniffligen Fragen. Von Stefan Rullkötter
BO: Können Verbraucher den Steuervorteil durch den Kauf von Gutscheinen auch noch im kommenden Jahr nutzen?
Unternehmen, die ihren Kunden den niedrigeren Mehrwertsteuersatz auch noch im kommenden Jahr bieten wollen, können bis zum Jahresende Einzweckgutscheine verkaufen.
Was ist bei der Ausgabe dieser Einzweckgutscheine zu beachten?
Grundsätzlich gibt es aus steuerlicher Sicht Einzweck- und Mehrzweckgutscheine. Bei Einzweckgutscheinen stehen der Ort der Leistung und der Umsatzsteuersatz von vornherein fest. Mit der Ausgabe des Einzweckgutscheins macht ein Unternehmer genau zum Zeitpunkt des Gutscheinverkaufs Umsatz mit dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Umsatzsteuersatz. "Ist eine bestimmte Ware derzeit nicht lieferbar und Sie wollen Ihren Kunden die günstige Mehrwertsteuer sichern, dann können Sie ihnen einen Einzweckgutschein verkaufen", erklärt Steuerberater Armin Fottner von der Kanzlei Ecovis in Pfaffenhofen.
Wie können UnternehmenEinzweckgutscheine sinnvollerweise einsetzen?
Endkunden wollen für Produkte oder Leistungen lieber 16, anstatt 19 Prozent, Mehrwertsteuer zahlen. "Vor allem Autohäuser oder Handwerker bekommen dazu jetzt häufig Anfragen", sagt Steuerexperte Fottner. Beim fertig konfigurierten Auto, das erst 2021 lieferbar ist, stehen Leistung und Preis fest. Daran wird sich auch nach der Bestellung nichts ändern. Anders sei das bei Dienstleistungen, bei denen sich der Materialpreis ändern kann. "Mit dem Verkauf eines Einzweckgutscheins zum Beispiel für ein Dachflächenfenster trägt der Dienstleister das volle Risiko, wenn Materialpreise steigen." Fottner rät daher nur dann zum Verkauf von Einzweckgutscheinen, wenn Produkt und Preis klar feststehen.
Was bringt Unternehmen der Verkauf von Einzweckgutscheinen?
In erster Linie können Unternehmer damit ihren Umsatz ankurbeln. "Der Marketingeffekt ist nicht zu unterschätzen", sagt Fottner. Zudem sorgt der Verkauf von Einzweckgutscheinen für Liquidität. Doch die Unternehmen müssen auch daran denken, dass sie die Umsatzsteuer für den getätigten Umsatz dann auch schon jetzt ans Finanzamt abführen müssen. Zudem müssen sie sicher sein, dass sie die mit dem Gutscheinverkauf versprochene Leistung auch erbringen können. "Vor allem Dienstleister sollten hier klug steuern und die Leistung auf eher schwächere Monate legen", rät der Ecovis-Steuerberater.
Was bei Restaurantgutscheinen zu beachten?
Aufgrund der Steuersatzänderungen in der Gastronomie muss man beim Einzweckgutschein jetzt genau sein. Denn vor dem 01.07.2020 war der 50-Euro-Gutschein für einen Restaurantbesuch noch ein Einzweckgutschein. Doch das hat sich jetzt geändert. Ein Gutschein mit einem pauschalen Geldbetrag für ein Restaurant ist jetzt ein Mehrzweckgutschein, weil seit dem 01.07. im Restaurant für Speisen ein Steuersatz von 5 Prozent und für Getränke ein Steuersatz von 16 Prozent gilt. "In der Praxis wird wohl kaum jemand einen Restaurantgutschein nur für Pizza oder nur für Getränke kaufen, um sich die niedrigere Umsatzsteuer zu sichern", sagt Steuerberater Fottner. Daher wird der pauschale Restaurantgutschein aus seiner Sicht weiterhin die Regel sein. Und dieser pauschale Restaurantgutschein ist aufgrund der Änderungen zum Juli aus steuerlicher Sicht jetzt auf jeden Fall ein Mehrzweckgutschein. Das bedeutet, dass der Unternehmer beim Verkauf keinen Umsatz macht. Und bei Gutscheinausgabe ist noch nicht klar, ob später beim Einlösen des Gutscheins fünf oder 16 Prozent Mehrwertsteuer oder ein Mix aus beidem anfällt.
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Können die Buchhaltungen der Unternehmen die vorübergehende Steueränderung überhaupt bewältigen?
Die Senkung der Umsatzsteuersätze hat vor allem im Rechnungswesen weitgehende Konsequenzen - von der Buchung über die Umsatzsteuervoranmeldung bis zum Jahresabschluss. "Konkret waren Änderungen unter anderem in der Software für die Buchung umsatzsteuerrelevanter Sachverhalte sowie für die Angebots- und Rechnungsschreibung nötig", erklärt Robert Mayr, Vorstandschef der DATEV, Marktführer für Buchhaltungssoftware in Deutschland . In den Rechnungswesen-Programmen der DATEV können Nutzer jetzt zum Beispiel Buchungen mit den reduzierten Steuersätzen von 16 und fünf Prozent vornehmen. Die meisten Standardkonten und Standard-Steuerschlüssel können wie gewohnt verwendet werden. Erforderliche Neuerungen sind in den Service-Releases enthalten.
Können Firmen auch ihre Steuerberater bei der Mehrwertsteuersenkung einbinden?
Das funktioniert nur , wenn die digitale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Steuerberater durch entsprechenden IT-Programme gewährleistet ist. Die Anwendung DATEV Unternehmen online etwa nutzen dafür derzeit mehr als 240 000 Unternehmen hierzulande. "Eine große Arbeitserleichterung ist außerdem, dass neue Belege oder Folgebelege im Programm Auftragswesen automatisch mit den neuen Steuersätzen ausgewiesen werden", erklärt DATEV-Chef Mayr. Auch Konkurrenten wie Wolters Kluwer und Haufe Lexware haben vergleichbare Software-Lösungen im Angebot.
Verbessert die Mehrwertsteuersenkung tatsächlich das Konsumklima in Deutschland?
Die Absenkung der Abgabe löst nach aktuellen Erhebungen des Meinungsforschungs-Unternehmens GfK erhebliche Kaufanreize aus. "Die Anschaffungsneigung ist sehr stark angestiegen", erklärte GfK-Konsumforscher Rolf Bürkl bei der Vorstellung der Studie für den Monat Juli. Die Kunden beabsichtigen offenbar, geplante größere Anschaffungen vorzuziehen, was dem Konsum in diesem Jahr hilft.
Löst die vorübergehende Senkung lediglich eine "Mehrwertsteuer-Blasenbildung" aus?
Händler und Hersteller müssen sich darauf einstellen, dass sich die Konsumneigung wieder zurückbilden kann, wenn ab Januar 2021 der ursprüngliche Mehrwertsteuersatz gilt "Im Vorfeld vergangener Steuererhöhungen, etwa vom Jahr 2006 auf 2007, habe es erhebliche Vorzieheffekte gegeben.", sagt GFK-Konsumforscher Bürkl. Ob der Effekt von Dauer ist, ist offen. Selbst wenn die Wirkungen nicht nachhaltig sind, bilden sei eine wichtige Stütze für die Binnennachfrage im laufenden Jahr dar.