"Die nächsten zehn Jahre werden darüber entscheiden, ob wir weiter ein führendes Industrieland sind oder ob wir den Wandel vielleicht nicht schaffen", warnte die CDU-Vorsitzende etwa beim Politischen Aschermittwoch vergangene Woche in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern.
Tatsächlich haben die Groß-Krisen Ukraine und Griechenland in den vergangenen Monaten nur davon abgelenkt, dass Merkel in ihrer dritten Legislaturperiode als Kanzlerin eine ganz neue Mission verfolgt: Den mit Abstand größten Teil ihrer innenpolitischen Aufmerksamkeit richtet sie auf jenen Bereich, den sie am 19. Juni 2013 noch als "Neuland" bezeichnet hatte - die Digitalisierung und die zunehmende Vernetzung aller Bereiche des Lebens durch das Internet. Seit sie den Spott über die "Neuland"-Bemerkung ertragen musste, hat bei Merkel ein gewaltiger Lern- und Umdenkprozess eingesetzt, der aber bisher nur langsam auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. "Industrie 4.0" ist für die Kanzlerin längst zum neuen Fixstern an ihrem politischen Firmament geworden. Das Verschmelzen von IT-Technik und industrieller Produktion vergleicht sie immer häufiger mit einer echten Revolution, vor der das Land stehe.
Und nach jeder Asienreise klingt ihre Warnung etwas lauter: Deutschland - am besten mit dem Rest der EU im Schlepptau - müsse sich nun endlich sputen. "Wir müssen neidlos anerkennen, dass uns die Weltentwicklung davonläuft", warnte sie etwa vergangenen Oktober auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung. Die Europäer hätten trotz erheblicher staatlicher Subventionen etwa den Wettlauf um die Herstellung von Chips bereits verloren. Bei der Software sind Amerikaner führend, bei der Produktion von digitalen Produkten die Chinesen. Die Regierungschefin der größten EU-Volkswirtschaft fühlt sich als Getriebene.
Während der Rest der Eurozone noch über die Probleme der Vergangenheit wie Haushaltsdefizite diskutiert, rüstet die Bundesregierung deshalb gewaltig auf. Am Montag besuchte Merkel demonstrativ das Siemens-Elektronikwerk in Amberg, um die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums auf die "Industrie 4.0" zu lenken. Vergangene Woche beschloss die Regierung unter Federführung des Forschungsministeriums den Aufbau eines "Industrial Data Space", der bei der Fraunhofer-Gesellschaft angesiedelt werden soll. Das Wirtschaftsministerium verstärkt nicht nur seine Start-Up-Förderung, sondern baut eine branchenübergreifende Plattform "Industrie 4.0" auf und wird am 14. April auf der Hannover-Messe hier den Startschuss für die erste große Veranstaltung geben.
Denn die Alarmsignale häufen sich aus Sicht der Regierung bedrohlich. So gibt es Hinweise, dass Apple ein eigenes I-Auto konstruieren will. Der amerikanische IT-Konzern Google hat mit einem fahrerlosen Auto-Prototypen bereits 2014 für Aufregung in der Branche gesorgt. Und auch wenn die deutschen Automobilbauer weiter stolz ihre technologische Weltmarktführerschaft betonen - hinter den Kulissen räumen Chefs der Konzerne durchaus ein, dass die für Deutschland zentrale Autobranche durch die Verschmelzung von Fahr- und IT-Technik vor dramatischen Veränderungen steht.
"Kurz gesagt ist die Frage: Bauen IT-Konzerne künftig die Autos oder schaffen wir es, deren Technik zu integrieren", sagte ein hoher Manager eines deutschen Auto-Konzerns. Aber finanzstarke US-IT-Konzerne stoßen längst auch in viele andere Bereiche der Wirtschaft und des Lebens vor. Google etwa kaufte 2014 für drei Milliarden Dollar die Firma Nest Labs, um auch die digitale Steuerung in Haushalten voranzutreiben - einschließlich Rauchmeldern und Heizungsthermostaten.
Unternehmensführer wie Deutsche-Telekom -Chef Timotheus Höttges warnen öffentlich: "Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren." Nun sei die entscheidende zweite Halbzeit angebrochen. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schwant Großes. Er habe sich ja gefreut, dass mit Martin Winterkorn einmal der Volkswagen -Chef die Computermesse CeBit in Hannover eröffnen durfte, hatte er bereits im März 2014 gesagt. "Ich will aber nicht erleben, dass jemand wie der Chef von Google irgendwann die Hannover-Messe Industrie eröffnet", fügte er hinzu - was ein frommer Wunsch bleiben dürfte.
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ERSTE AUFGABE - BEWUSSTSEIN SCHAFFEN
Das erste Herausforderung ist aber, Problem-Bewusstsein unter den Akteuren zu schaffen. Denn trotz Merkels Roadshow wird in der breiten Öffentlichkeit und etablierten Medien das Ausmaß der Herausforderung von "Industrie 4.0" kaum wahrgenommen. Mit Entsetzen werden regelmäßige Studien aufgenommen, dass gerade die deutschen Mittelständler die Digitalisierung immer noch nicht als eine ihrer größten Herausforderungen begreifen. Berichte, dass sie über die Internetanbindung ihrer Firmen auch noch Opfer von Cyberkriminellen werden können, dürfte in kleineren Firmen sogar eine ablehnende Haltung verstärkt haben. Daran hat bisher auch nicht geändert, dass eine ganze Reihe von Beratungsfirmen das Thema entdeckt haben und Hilfe anbieten.
Dabei hatte etwa der frühere SAP -Chef und heutige Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), Henning Kagermann, das Problem früh erkannt und den Begriff "Industrie 4.0" geprägt, um deutlich zu machen, welcher Quantensprung der Wirtschaft bevorsteht. Geholfen hat dies offenbar nur teilweise, wohl weil das Ausmaß der Umwälzung so schwer vorstellbar ist. Das zeigt auch die Flut anderer Schlagworte, mit denen versucht wird, den unaufhaltsamen Vormarsch der Digitalisierung in klassische Wirtschafts- und Lebensbereiche zu beschreiben. Da ist von einem "Internet der Dinge" die Rede oder von einer "vierten industriellen Revolution", dem "zweiten Maschinenzeitalter", dem "industrial internet", der "Mobilität 4.0" oder sogar der "Farm 4.0". Den Vogel an Unverständlichkeit schießt die "predictive maintenance" ab, also die "vorausschauende Instandhaltung" ab.
Dabei ist der Sachverhalt sehr einfach - und herausfordernd: Weil Computer künftig direkt mit Computern kommunizieren können, werden sie Schritt für Schritt nicht nur das Fahren von Autos, die Buchhaltung, die Bestellung von Waren, sondern durch eine immer weiter voranschreitende Vernetzung mit den Fabrikrobotern auch die industrielle Produktion übernehmen - und sich selbst reparieren oder sogar programmieren.
Wer verstehen will, wie radikal der Umbruch ist, muss nur einen Blick in die Landwirtschaft werfen, die hier Vorreiter ist. So empfangen etwa die Erntefahrzeuge des deutschen Herstellers Claas heute automatisch Wetter- und GPS-Daten, um ihren optimalen Einsatzzeitpunkt und -ort zu garantieren. Auf der "Farm 4.0" wird generell der Bauer als "unzuverlässiges" Element des Alltags immer weiter in den Hintergrund gedrängt: Mittlerweile können etwa kleine Temperaturmesser und Sender bei trächtigen Kühen automatisch dem Zuchtbetrieb melden, wann die Fruchtbarkeit der Kuh am höchsten ist und damit ein Stier zum Abdecken geliefert werden soll. Während die Vorhersagewahrscheinlichkeit des Bauern für seine Kühe bei durchschnittlich 75 Prozent liegen soll, kommt der Computer auf eine Genauigkeit von 98 Prozent - was erhebliche Kosteneinsparungen bedeutet.
Letztlich bringen Firmen wie Siemens, Bosch oder Kuka nichts anderes in die Fabrikhallen: Die Computer und Roboter an den Produktionsbändern bauen, bestellen Ersatzteile und Material und verweisen selbst auf drohende Materialabnutzung. Siemens gründete vergangenen Oktober eine eigene Einheit "Digitale Fabrik", so dass Unternehmenschef Joe Kaeser stolz mitteilte: "Während viele viel über 'Industrie 4.0' reden, schaffen wir Tatsachen." Beratungsfirmen wie Boston Global Consulting oder das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation versprechen Firmen enorme Produktivitätssteigerungen.
Längst gibt es eine Vielzahl von Studien, nach denen sich aber nicht nur der Produktionsprozess, sondern die gesamte Arbeitswelt dramatisch verändern wird. Denn der Vormarsch der Computer ersetzt nicht mehr nur einfache Arbeiter, sondern auch immer mehr Fachkräfte - Ingenieure, auch Ärzte oder Rechtsanwälte. Zwei Forscher aus Oxford, Carl Benedikt Frey und Michael Osborne, warnten schon 2013 vor einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen. Durch die Computerisierung der Arbeitswelt könnten in zehn Jahren 47 Prozent aller bisherigen Jobs in der US-Wirtschaft verschwinden - und bestimmte Berufsbilder wie Kassierinnen, Buchhalter oder Kreditanalysten fast komplett.
Dass die Rationalisierung enorm sein wird, befürchten auch die Gewerkschaften. Strittig ist aber, wie die Gesamtbilanz an Jobs aussehen wird - weshalb Merkel noch mehr zur Eile drängt. Weil sich die Digitalisierung ohnehin nicht aufhalten lasse, müsse Europa schon aus dem Interesse der Arbeitsplätze vorne mit dabei sein. "Wenn wir es ... geschickt machen und die Chancen der Digitalisierung nutzen, dann haben wir alle Chancen, am Ende mehr Arbeitsplätze zu haben und nicht weniger", betonte sie am 18. Oktober in ihrer wöchentlichen Videobotschaft.
Laut einer DIHK-Umfrage Anfang Februar erwarteten 23 Prozent der befragten Firmen einen Zuwachs an Mitarbeitern durch die Digitalisierung, 15 Prozent dagegen einen Abbau. Das Wirtschaftsministerium richtet nun fünf Demonstrationszentren für "Industrie 4.0" ein, damit Mittelständler besser überblicken können, wie dramatisch die Umwälzungen für ihre Produktion sein werden.
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WER BESTIMMT DEN NEUEN STANDARD?
Nach der Erkenntnis kommt aber die Frage nach der Reaktion - und hier herrscht erhebliche Unzufriedenheit in der Regierung. Denn die amerikanischen IT-Konzerne bewegen sich längst wesentlich schneller als die meisten deutschen Unternehmen. Bereits seit zwei Jahren gibt es in den USA das Industrial Internet Consortium (IIC), in dem IT-Giganten mit klassischen Industriekonzernen Fragen der Verschmelzung bereden - und man ist weltweit auf der Suche nach Partnern. Ziel ist das Festschreiben technologischer Standards.
In Deutschland als einem Mutterland der Industrieproduktion gibt es zwar ähnliche Pläne, einen Standard zu setzen - aber die Arbeit der 2013 gegründeten Verbändeplattform "Industrie 4.0" aus dem IT-Verband Bitkom, dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA) wurde selbst von Teilnehmern als wenig effektiv beschrieben. "Die deutsche Wirtschaft bewegt sich weiter im analogen Tempo des untergehenden industriellen Zeitalters", spottete ein Teilnehmer im Gespräch mit Reuters.
Die Firmen wiederum klagten, dass die Regierung in einem Zuständigkeitsstreit für die Digitale Agenda zwischen Wirtschafts-, Verkehrs-, Forschungs- und Innenministerium stecke. Die Politik solle erst einmal für schnelle Internetverbindungen sorgen - die seien nämlich Voraussetzung für die digitale Zukunft des Landes. Auf dem IT-Gipfel im Oktober in Hamburg fiel zumindest die Entscheidung, dass das Wirtschaftsministerium nun die schwerfällige Verbändeplattform koordinieren soll. Aber die Firmen haben Probleme mit einer engen Partnerschaft mit der Politik. So mahnte BDI-Geschäftsführer Dieter Schweer vor kurzem im "Handelsblatt": "Die Politik muss begleiten, aber nicht leiten." In der Bundesregierung winkt man angesichts der Kritik kühl ab: Viele Wirtschaftsvertreter und Verbandsfunktionäre würden offenbar wie schon beim Thema Cyberattacken das Ausmaß der Herausforderung noch gar nicht verstehen.
Denn erst jetzt werde eine Herkulesaufgabe sichtbar - denn für eine erfolgreiche digitale Vernetzung müssten Partner zusammenarbeiten, die bisher allein vor sich hin gearbeitet hatten. "Industrie 4.0" würde etwa auch ermöglichen, dass Kundenwünsche oder sogar erkannte Trends in sozialen Netzwerken direkten Einfluss darauf haben, was Unternehmen gerade produzieren. Auch die Politik stehe vor "extrem komplizierten Aufgaben, weil unglaublich viele Rechtsvorschriften geändert werden müssen", bekannte Merkel im Januar bei einem Auftritt in Greifswald. "Wir haben nicht einmal eine Rechtsdefinition für etwas, das aussieht wie ein Auto, aber keinen Fahrer hat."
Zwar hat gerade das Wirtschaftsministerium eine Vielzahl von Initiativen und Fördermaßnahmen eingeleitet, um vor allem den Mittelstand ins Boot zu holen. Aber der Versuch der Deutschen und Europäer, selbst Standards für die neue IT-Welt setzen zu können, droht schon zu Beginn der Aufholjagd zu scheitern. Als Alarmsignal gilt, dass sich etwa Siemens Anfang Januar der amerikanischen Initiative IIC angeschlossen hat, die auch in China oder Japan erfolgreich Mitglieder sammelt - auch Bosch, SAP und Infineon sind dort schon vertreten. Längst gibt es zudem Kooperationen deutscher Autobauer mit US-Konzernen wie Google.
Das sieht auch Acatech-Chef Kagermann so: "Die Zeit läuft, wir müssen in den zweiten oder dritten Gang hochschalten", sagte er zu Reuters. Der größte internationale Konkurrent seien die USA - China und Großbritannien folgten auf den Plätzen. "Die Deutschen sind bei Produkten innovativer, aber das reicht bei 'Industrie 4.0' nicht mehr", erklärt er dies. US-Firmen haben nach Ansicht des früheren SAP-Chefs gleich mehrere Vorteile: Sie entwickelten bessere Geschäftsmodelle, verfügten über sich sehr schnell entwickelnde Firmen, über einfachen Zugang zu Kapital und seien sehr gute Vernetzer. "Die EU muss zudem endlich den Vorteil eines großen, starken homogenen Binnenmarktes auch im digitalen Bereich ausspielen."
Auch die Kanzlerin steckt öffentlich und immer wieder mit Nachdruck für die EU den nötigen Veränderungsrahmen ab. "Von der Standardisierung bis zum Big-Data-Management gibt es eine Reihe von Fragen, über die Europa schnellstens entscheiden muss", forderte sie etwa Mitte Januar bei einem Auftritt vor der Deutschen Börse. Die anfangs belächelte Ernennung von Günther Oettinger zum EU-Kommissar für Digitales beschrieb Merkel wegen der Bedeutung des Themas gerade für die deutsche Wirtschaft nun als strategische Meisterleistung Berlins.
"Insofern ist das ein Ressort, das uns geradezu auf den Leib geschnitten ist", lobte sie. Zugleich forderte Merkel, zur besseren Nutzung der Daten das Wettbewerbsrecht auf dem zersplitterten EU-Binnenmarkt in der Telekommunikationsbranche zu ändern. Außerdem will die Bundesregierung bis Mitte 2015 eine einheitliche EU-Datenschutzgrundverordnung durchgesetzt sehen. Denn in der neuen IT-Welt, so die Überzeugung, ist neben Tempo auch Größe alles - was den Amerikanern auf ihrem riesigen Binnenmarkt einen entscheidenden Vorteil verschafft.
Auf Seite 4: UMDENKEN BEI BIG DATA GEFORDERT
UMDENKEN BEI BIG DATA GEFORDERT
Ein Ergebnis des Nachdenk-Prozesses über das "Neuland" ist, dass als Schlüssel für den Erfolg im IT-Zeitalter plötzlich auch in der Bundesregierung die Nutzung der bei der Digitalisierung anfallenden riesigen Datenmengen angesehen wird. "Big Data" ist längst ein eigenes, stark expandierendes Geschäftsfeld, das amerikanische IT-Konzerne entwickeln, die etwa Suchmaschinen oder soziale Netzwerke dominieren. Ein Beispiel: Derzeit zeigt der Big-Data-Dienst "Google Flu Trends" die Verbreitung der Grippewelle in Deutschland fast in Echtzeit an, basierend auf der Analyse von Milliarden Sucheingaben nach dem Thema.
Die deutsche Debatte kreiste dagegen seit den Enthüllungen über die Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA vor allem um den Missbrauch von "Big Data" - ohne dass offenbar verstanden wird, dass etwa eine private Google-Suchanfrage nach dem Wort "Grippe" sofort in die Datenverarbeitung für andere Produkte einfließt. Die Bundesregierung steuert nun seit vergangenem Herbst immer deutlicher dagegen. Dass amerikanische Geheimdienstinformationen gerade im Kampf gegen die Bedrohung durch radikale Islamisten in der Bevölkerung wieder als positiv und wichtig angesehen werden, hilft dabei.
Jedenfalls mahnt Merkel seit September vehement, man müsse auch in Deutschland endlich verstehen, welche Bedeutung das Thema "Big Data" für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle habe. "Wer daran nicht teilnimmt, weil er schon Furcht hat, bevor das Wort gefallen ist, wird nicht zu diesen Wertschöpfungsketten vorstoßen", mahnte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag am 9. September. Deshalb würden nun zwei Big-Data-Kompetenzzentren in Berlin und Dresden eingerichtet.
"Denn die zukünftige Wertschöpfung ... wird vor allem auch aus der Interaktion der Maschinen erfolgen. Es werden Datenmengen entstehen, die wieder zu neuen Produkten führen", sagte sie nur wenige Tage später beim Deutschen Handwerk. "Wir müssen dabei aufpassen, dass das, was man unter Big Data Mining versteht, nicht nur außerhalb Europas stattfindet, sondern ebenfalls in Europa stattfinden kann", fügte Merkel auch im Dezember hinzu. "Das ist eine fast grenzenlose Chance, durch die Nutzung von Daten das Leben von Menschen besser zu machen", betonte auch Wirtschaftsminister Gabriel am Sonntag in der ZDF-Sendung "Berlin-direkt".
Deshalb greifen nun etliche Initiativen ineinander - wenn auch langsam. So sollen die EU und vor allem Deutschland die USA gerade wegen strengerer Datenschutzstandards als zentraler Standort für die Speicherung von Daten ablösen. Das ist der Hintergrund hinter der "Industrial-Data-Space"-Initiative des Forschungsministeriums. Das Walldorfer Unternehmen SAP hat mittlerweile angekündigt, zum weltgrößten Cloud-Anbieter aufsteigen zu wollen.
"Entscheidend wird sein, wer die massenhaften Daten eigentlich sammelt, die bei den Maschinen bei 'Industrie 4.0' anfallen", urteilt auch Acatech-Präsident Kagermann. "Meine Sorge ist, dass dies die großen amerikanischen IT-Firmen sein werden, die bereits Milliarden Nutzer haben und mit Big Data umgehen können. Wir kennen die Maschinen, die Amerikaner kennen die Personen."
Auch er sieht die Klärung datenschutzrechtlicher Fragen als zentral bei der Digitalisierung des Alltags an - denn ohne Vertrauen keine "Industrie 4.0". Er fahre etwa einen BMW I3, der eine automatische Unfallmeldung sende. "Aber wer speichert eigentlich diese Daten? Gibt es eine Vorratsdatenspeicherung?" fragt Kagermann. Gesundheitsexperten verweisen auf ähnliche ungeklärte Fragen bei der Nutzung von persönlichen Daten aus digitalen Gesundheits-Armbändern. Wenn hier nicht schnell Regelungen kämen, würden diese Daten entweder in den USA verarbeitet oder Deutschland bei der Digitalisierung wegen der Sorge der Firmen vor einer nachträglichen staatlichen Regulierung zurückfallen. Sensible persönliche Daten müssten geschützt werden, fordert auch SPD-Chef Gabriel.
Wie komplex die Herausforderung ist, zeigt auch der Widerstand von einer unerwarteten Seite - kleineren Zuliefer-Firmen. "Das Silo-Denken ist extrem", sagt ein hoher Wirtschafts-Funktionär in Deutschland. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder erzählte jüngst auf dem Neujahresempfang der Unions-Mittelstandsvereinigung, wie kritisch Mittelständler in seinem Wahlkreis "Industrie 4.0" sähen. Sie fürchteten, dass die digitale Vernetzung der Produktionsprozesse über die ganze Wertschöpfungskette den großen Konzernen noch mehr Einblicke in ihre Betriebe gebe und sich damit das ohnehin schon große Abhängigkeitsverhältnis noch verstärke. Auch die Angst vor Hackerangriffen durch die zunehmende Vernetzung sitzt tief.
Auf Seite 5: AM ENDE WARTEN DIE CHINESEN
AM ENDE WARTEN DIE CHINESEN
Einfach wird die Aufholjagd also auf keinen Fall, denn selbst die Kanzlerin räumt ein, dass dafür ein radikales Umdenken in der sich normalerweise eher gemächlich entwickelnden deutschen Gesellschaft erforderlich sein wird. Der Grund für den schnellen IT-Ausbau in den USA sei nämlich, dass dort alles erlaubt sei, was nicht explizit verboten sei, argumentiert Merkel. In Europa gebe es eine andere Mentalität. Dabei schärft die Kanzlerin ihren Zuhörern mittlerweile mit bemerkenswerter Offenheit ein, wie die Dynamik im neuen IT-Zeitalter abläuft: "Es wird alles, ... was man datenmäßig erfassen kann, auch datenmäßig erfasst werden", prophezeite sie beim Politischen Aschermittwoch in Demmin. Auch Bitkom-Chef Dieter Kempf fordert, dass das deutsche Prinzip der "Datensparsamkeit" zugunsten einer offensiven Nutzung der aggregierten, also entpersonalisierten Daten weichen müsse.
Ein weiteres Problem ist, dass nicht nur die Amerikaner voranmarschieren, sondern die Chinesen rasch folgen, die als Werkbank für US-IT-Konzerne eine Menge Erfahrung in der Produktion gesammelt haben. Bitkom-Chef Kempf erzählte vor einigen Wochen von einem Treffen mit dem chinesischen Wirtschaftsminister. Dieser habe eingeräumt, dass China derzeit noch auf der Entwicklungsstufe "Industrie 2.0" stehe. Der Minister habe dann aber hinzugefügt: "In China werden wir Industrie 3.0 überspringen. Wir machen gleich 4.0 oder ....5.0."
Reuters