Nach einem eher verhaltenen ersten Halbjahr könnte in der zweiten Jahreshälfte Schwung in die Pharmabranche kommen. Spekuliert wird bereits über den Kauf des US-Biotechunternehmens Seagen durch Merck & Co. Als interessiert gelten auch Pfizer, Johnson & Johnson und Sanofi. Daniel Koller, Investmentchef von BB Biotech, sieht die Branche vor einer Übernahmewelle.
BÖRSE ONLINE: Nimmt das Fusionskarussell in der Pharmabranche jetzt Fahrt auf?
Daniel Koller: Einige Faktoren sprechen dafür, dass nach den jüngsten Übernahmen von Biohaven durch Pfizer, Affinivax durch GlaxoSmithKline oder Turning Point durch Bristol Myers Squibb das Momentum der Transaktionen und somit auch die Anzahl im zweiten Halbjahr steigen wird. Das gilt für kleinere Übernahmen ebenso wie für Deals im zweistelligen Milliardenbereich.
Was spricht dafür?
Auf der einen Seite ist die Biotechbranche Vorreiter bei vielen neuen Therapieansätzen, wie zuletzt der Durchbruch der mRNA-Technologie bei den Covid-19-Impfstoffen eindrucksvoll gezeigt hat. Zugleich sind Biotech-Aktien historisch niedrig bewertet - als Folge der Kursverluste infolge der Sektorrotation vieler Investoren weg von Wachstumsbranchen. Auf der anderen Seite muss die Pharmaindustrie in den nächsten Jahren drohende Umsatzeinbußen durch ablaufende Patente kompensieren.
Wer sind potenzielle Käufer?
Das sind vor allem Pharmakonzerne, die in den nächsten Jahren von Umsatzeinbußen bei Medikamenten bedroht sind, mit denen sie derzeit Milliardenumsätze erzielen.
Welche Preise werden aufgerufen?
Finanzielle Mittel für Zukäufe sind reichlich vorhanden, weil die Pharmakonzerne, aber auch Biotechschwergewichte wie Amgen oder Gilead, stabil hohe Cashflows generieren. Aus diesem Grund müssen Kaufinteressenten Übernahmeprämien zahlen. Der Aufschlag von 80 Prozent, den Pfizer für Biohaven zahlen musste, oder die 120 Prozent Prämie, die Bristol Myers Squibb für Turning Point offeriert, sind ein klares Indiz.
Welche Unternehmen stehen stark unter Handlungsdruck?
Unternehmen, die jahrelang mit einem Produkt führend aufgestellt waren, es aber nicht weiterentwickelt haben, sind besonders im Zugzwang. Spannend wird sein, ob auch der Zugang zu neuen Plattformtechnologien gesucht wird - über Lizenzierung oder den Zukauf kleinerer Biotechspezialisten.
Welche Firmen aus Ihrem Portfolio könnten Übernahmekandidaten sein?
Unsere Beteiligung Radius Health bekam gerade von den Investoren Gurnet Point und Patient Square Capital eine Übernahme-offerte. Aufgrund des hohen kommerziellen Potenzials sollte vor allem die steigende Anzahl an RNA-basierten Therapeutika Übernahmeinteresse wecken.
Gilt das auch für die beiden Impfstofffirmen Biontech und Moderna?
Beide Firmen haben sich mit ihren Covid-19-Impfstoffen als führend in der mRNA--Technologie etabliert. Mit Blick auf weitere marktreife Produkte bevorzugen wir Moderna aufgrund seiner auf Infektionskrankheiten fokussierten Pipeline. Angesichts der Marktkapitalisierung von über 50 Milliarden US-Dollar und einer zusätzlichen Übernahmeprämie ist Moderna kaum zu übernehmen. Enorme Cashbestände ermöglichen Moderna aber interessante Lizenzabkommen oder gar Übernahmen.