"Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss ist der Weg für den Mindestlohn frei", sagte Nahles. Nur zwei Wochen, nachdem ihr Ministerium einen ersten Entwurf vorgelegt hatte, gab das Kabinett grünes Licht. In letzter Minute war der Entwurf am Dienstag noch geändert worden: Anders als ursprünglich geplant werden nun alle etwa eine Million Langzeitarbeitslosen für sechs Monate nach Aufnahme einer Beschäftigung vom Mindestlohn ausgenommen. Auch für bis zu sechswöchige Praktika vor einem Berufs- oder Studienabschluss wird kein Mindestlohn fällig.
UNIONS-VIZE: NOCH ERHEBLICHER ÄNDERUNGSBEDARF
Der Wirtschaftflügel der Union begrüßte die Änderungen, forderte aber weitere Korrekturen wie ein höheres Mindestalter und einen Schutz für bestehende Tarifverträge. "Offenbar werden die Bedenken der Wirtschaft ernst genommen", sagte der Chef der Unions-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann (CDU), zu Reuters. "Ich warne aber: Wenn regionale Tarifverträge ihre Gültigkeit verlieren, wird die Tarifautonomie ausgehebelt."
Der Wirtschaftspolitiker und Unions-Vizefraktionschef Michael Fuchs sagte: "Es gibt erheblichen Änderungsbedarf." Diesen machten auch die Gewerkschaften geltend, aber mit anderer Stoßrichtung. "Wir erwarten, dass im Gesetzgebungsverfahren noch nachgebessert wird", forderte der designierte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Er nannte die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose und junge Leute willkürlich und diskriminierend. Die Grünen erklärten, der Mindestlohn komme "als Zwei-Klassen-System".
Die Union zeigte sich gespalten. Anders als der Wirtschaftsflügel begrüßte der Arbeitnehmerflügel den Mindestlohn. Der Chef der CDU-Sozialausschüsse (CDA), Karl-Josef Laumann, erklärte: "Der Mindestlohn ist ein Erfolg der CDA." Der von der CDA erkämpfte Parteitagsbeschluss der CDU im Jahr 2011 habe "dieses Gesetz erst möglich gemacht". Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Union, Karl Schiewerling, sagte wie der Wirtschaftsflügel, er sei "persönlich sehr für eine Anhebung der Altersgrenze über 18 Jahre hinaus".
NAHLES: SEHE PARLAMENTSBERATUNGEN GELASSEN ENTGEGEN
Für die Sozialdemokraten war der Mindestlohn Bedingung für die große Koalition. Die SPD-Arbeitsmarktexpertin Katja Mast sagte: "Der Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro bedeutet endlich mehr Einkommensgerechtigkeit - in Ost und West gleichermaßen und ohne Branchenausnahme." Kritik kam von SPD-Nachwuchs, den Jusos. Der Mindestlohn werde durchlöchert wie ein Schweizer Käse: "Die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose werden zu Kündigungen nach sechs Monaten führen, wenn ein Mindestlohn fällig wird."
Nahles sagte, sie sei "sehr zuversichtlich, dass das Gesetz, so wie es jetzt ist, im Großen und Ganzen auch das Parlament passiert". Einwände der Wirtschaftsverbände, der Mindestlohn werde Arbeitsplätze kosten, wies sie zurück. "Wir gehen momentan von keinerlei Beschäftigungseffekten, weder im Positiven noch im Negativen, aus." Diese Einschätzung fuße auf den Erfahrungen mit den inzwischen in 13 Branchen geltenden tariflichen Mindestlöhnen sowie mit den verschiedenen Regelungen im Ausland. Der Mindestlohn schaffe mehr Lohngerechtigkeit. Für Erntehelfer und Zeitungsausträger wird noch nach Sonderregelungen gesucht.
Reuters