Kaum zu glauben, aber wahr. Der in den Jahren zuvor oft so träge Shanghai A-Share Index ist plötzlich der Superstar unter den weltweiten Aktienindizes. Zu diesem Status verholfen hat ihm ein Kursplus von fast 55 Prozent seit Ende Juni. Möglich gemacht wurde diese plötzliche Kursexplosion durch eine wieder expansivere Geldpolitik und der Aussicht, dass die chinesische Notenbank diesen eingeschlagenen Weg weiter fortsetzen wird. Zudem sorgt eine engere Verzahnung mit der Börse in Hongkong für ein größeres Interesse der Anleger. Dieses trägt auch mit dazu bei, dass die im internationalen Vergleich relativ moderate Bewertung chinesischer Aktie stärker als Kaufgrund wahrgenommen wird.



Mit dem starken Kursanstieg gehen aber auch viele Ängste einher. Zum einen wird befürchtet, der starke Schluck aus der Pulle könnte zu viel des Guten gewesen sein und von einer scharfen Korrektur abgelöst werden. Geringer werden diese Sorgen nicht beim Blick auf die volkswirtschaftliche Ausgangslage. Durch den Versuch, das bisher verfolgte Wirtschaftsmodell von eher export- auf mehr binnenmarktorientiert umzustellen, hat das Wachstumstempo bereits merklich nachgelassen. Weil so ein Übergang selten ohne Friktionen gelingt, wird zudem eine weitere Wachstumsverlangsamung nicht ausgeschlossen. Zumal auch der lokale Immobilienmarkt als überhitzt gilt und die Gesamtverschuldung in China in wenigen Jahren sehr stark gestiegen ist. Einer Umfrage von Morgan Stanley unter Portfolio-Managern zufolge bereitet vielen Befragten auch die gestiegene Zahl an faulen Krediten im Bankensektor Kopfzerbrechen.

Das Gemisch ist somit hochexplosiv und noch scheint offen, ob sich das Ganze in einer weiteren Kursexplosion nach oben entlädt oder in einer neuen Baisse. Schenkt man Morgan Stanley Glauben, dann sind volatile Kursausschläge jedenfalls fast vorprogrammiert. Das Team um Asien-Stratege Jonathan Garner schließt dabei sowohl deutliche Kursverluste als auch starke Kursgewinne nicht aus. Favorisiert wird im Hauptszenario aber eine positive Entwicklung.

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Selbst nur eine Rückkehr zur Durchschnittsbewertung verspricht ein großes Plus

Was passieren könnte, wurde dabei anhand einer Szenario-Berechnung basierend auf früher üblichen Gewinn- und KGV-Entwicklungen berechnet. Für den Shanghai Stock Exchange A Share Index ergibt sich eine sehr weite Bandbreite, die von 2.192 bis 16.785 Punkten reicht. Gemessen an den aktuell gültigen 3.317,14 Punkten ergibt sich damit im Negativfall eine Rückschlaggefahr von 34 Prozent oder im günstigsten Fall ein Aufwärtspotenzial von sagenhaften 406 Prozent.

Historisches jährliches Wachstum in Prozent beim Gewinn je Aktie für den Shanghai A-Index von 2002 bis 2013



Insgesamt hat Morgan Stanley sechs verschiedene Szenario-Berechnungen angestellt. Bei Drucklegung der Studie handelte der Shanghai A-Index mit einem KGV von 14,2 auf Basis der für die kommenden zwölf Monate erwarteten Gewinne. Verglichen mit dem Zehnjahresdurchschnitt von 21,8 entsprach dies einem Abschlag von 35 Prozent. Sollte der Shanghai A-Index zu diesem durchschnittlichen Bewertungsniveau zurückkehren, dann wäre der Zielbereich bei einem unterstellten Gewinnwachstum von zehn Prozent für 2015 (der Analystenkonsens sagt sogar ein Gewinnplus von 11,8 Prozent voraus) bei 5.120 Punkten. Theoretisch entspricht das einem Potenzial von 54 Prozent.

KGV-Entwicklung beim Shanghai A-Index in den vergangenen zehn Jahren basieren auf historischen Gewinnen; KGV aktuell bei 14,2, ein Abschlag von 35% zum Zehnjahresdurchschnitt



Würde der Shanghai A-Index eine Standardabweichung nach unten vom Zehnjahresdurchschnitt handeln, dann wäre das gleichbedeutend mit einem KGV von 9,3, was ungefähr dem Zehnjahrestief beim KGV entsprechen würde. Für den Shanghai A-Index würde das einen Stand von 2.192 Punkten bedeuten. Unterstellt man dagegen eine Standardabweichung nach oben vom Zehnjahresdurchschnitt dann ergibt sich ein KGV von 34,3 oder für 2015 ein Indexstand von 8.049 Punkten. Würde dagegen noch einmal das KGV-Hoch der vergangenen zehn Jahre von 71,4 erreicht, dann wäre das gleichbedeutend mit einem Anstieg auf 16.785 Punkte. In Prozent wäre das dann wie erwähnt ein Plus von 406 Prozent.

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Vergleich mit Indien und USA lässt ebenfalls viel Kursspielraum nach oben

Das ist zwar nur eine Zahlenspielerei, aber in der Vergangenheit wurde so ein Bewertungsniveau eben schon mal erreicht. So eine Übertreibung wird es hoffentlich nicht noch einmal geben, denn sonst müsste von einer Blase gesprochen werden und wenn diese dann platzt, würde das viele Probleme nach sich ziehen. Grundsätzlich betrachtet Morgan Stanley die Aussichten am chinesischen Aktienmarkt aber positiv. "Wir denken, dass der Bullenmarkt bei den chinesischen A-Aktien zurück ist und vermutlich ist das im großen Stil der Fall. Innerhalb der errechneten Kursbandbreite ist für uns ein Aufwärtsszenario wahrscheinlicher als ein Abwärtsszenario", so Jonathan Garner.

Deutliches Kurspotenzial ergibt sich übrigens auch, wenn der chinesischen Börse eine Bewertung zugebilligt würde, wie das derzeit in den USA oder in Indien der Fall ist. Für den indischen S&P 500 Index beziffert Morgan Stanley das KGV auf 18,4. Würde so ein KGV auch dem Shanghai A-Index zugestanden, könnte er auf 4.320 Punkte steigen. Umgerechnet wäre das ein Plus von 30 Prozent. Noch größer ist das Potenzial wenn als Vergleichsbasis der indische S&P CNX Nifty-Fifty Index herangezogen wird. Hier beträgt das KGV 21,8, woraus sich für den Shanghai A-Index ein Anstieg bis auf 5.124 Punkte ergibt. Gemessen am aktuellen Stand wäre das ein Plus von gut 54 Prozent.

Die Bewertungsbandbreite, zu der chinesische A-Aktien in den vergangenen Jahren gehandelt wurden, war wie skizziert sehr groß. Veränderungen bei der dem Markt zugestandenen Bewertung war dabei ein wichtigerer Kurstreiber als die Unternehmensgewinne. Von Ende 2005 bis Ende 2007 resultierten laut Morgan Stanley mehr als 90 Prozent der Kursgewinne auf eine Expansion der Bewertungsrelation zurückzuführen.