Das Griechenland-Debakel dominiert in diesen Tagen die Medien und zumindest die europäischen Finanzmärkte. Doch nimmt man sich die Muße, einen Schritt zurückzutreten und die ganze Aufregung mit ein wenig distanzierter Gelassenheit zu betrachten, schrumpft das Thema auf jene Zwergengröße, die der Wirtschaftsleistung Griechenlands in der Eurozone entspricht, nämlich gerade einmal ünf Prozent. Nun gut, wenn die Sonne der Kultur versinkt, werfen selbst die Zwerge lange Schatten, sagt der Volksmund. Aber wir sollten uns bei unseren Anlageentscheidungen nicht von den Zwergen und ihrem Veitstanz leiten lassen, sondern von den großen langfristigen Entwicklungssträngen.
Für das zweite Halbjahr werden die Entwicklungen rund um die Eurozone sicher noch ein Belastungsfaktor bleiben, aber sie werden nicht das entscheidende Momentum erzeugen können, um die internationalen Finanzmärkte nachhaltig zu bewegen. Hier spielen andere Szenarien eine gewichtigere Rolle. Die Chancen und Risiken ür das zweite Halbjahr im Überblick:
Auf Seite 2: Chance 1: Erneuerbare Energien
Chance 1: Erneuerbare Energien
Bis vor Kurzem waren die "Erneuerbaren" eine Nische, und es sah so aus, als würden sie das auch noch ür viele Jahrzehnte bleiben. Seit etwa zwölf Monaten jedoch deuten viele Anzeichen auf eine veränderte Großwetterlage hin. Spätestens seit dem jüngsten G7-Gipfel sollte jedem bewusst sein, dass hinter den Kulissen die Entscheidung schon längst gefallen war, die westliche Welt so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzustellen. Die damit verbundenen geopolitischen Auswirkungen auf Länder wie Russland oder die arabischen Staaten werden ebenso umwälzend sein wie die ür die damit verbundenen Unternehmen.
Finger weg von allen Öl- und Gasinvestments. Stattdessen starke Übergewichtung bei allem, was mit erneuerbaren Energien zu tun hat. Besonders Firmen aus den USA sind hier zu bevorzugen, da eine entsprechende politische Unterstützung auch bei Gesetzesveränderungen und dem Erschließen von Märkten unterstellt werden darf.
Der kometenhafte Aufstieg des Milliardärs Elon Musk mit seinen Energierevolutionen rund um Tesla und große Energiespeicher ür jedermann sollten hier einen Vorgeschmack geben. Hier entstehen neue Märkte, neue Industrien und neue Systeme. Das verspricht hohe Margen und hohes Wachstum. Das liebt die Börse.
Auf Seite 3: Chancen 2 und 3: Infrastruktur für Europa und US-Leitzinsen
Chance 2: Infrastruktur für Europa
Europa hat erkannt, dass es nur mit Sparen nicht weiterkommt. Investitionen müssen her. Ein 315 Milliarden Euro schwerer Infrastrukturfonds soll gebildet werden, und selbst China möchte sich hieran beteiligen - in dem Bemühen, eine neue Seidenstraße in Eurasien zu etablieren. Wird Europa hier von Zaudern auf Zupacken umstellen, ergeben sich daraus große Impulse ür jene europäischen Firmen, die mit Infrastruktur befasst sind. Hier ist nicht nur an Straßenbau zu denken, sondern auch an ITInfrastruktur, Glasfaser- und Funknetze sowie an Energiesysteme.
Chance 3: US-Leitzinsen
Die seit einem Jahr erwartete Leitzinserhöhung lässt noch immer auf sich warten. Wie bei Godot ist es inzwischen fraglich, ob sie überhaupt kommt. Die amerikanische Wirtschaft an sich gibt bei einem kritischen Blick auf belastbare Konjunkturdaten ein trauriges Bild ab. Der starke Dollar, der diese Stärke nicht aus eigener Überlegenheit, sondern aus den schwachen Gegengewichten Euro und Yen zieht, trägt hier nicht zur Verbesserung bei.
Eine Leitzinserhöhung in diesem Umfeld kann als eher unwahrscheinlich angenommen werden. Zumindest eine nachhaltige Kette von Zinserhöhungen scheint ausgeschlossen. Je mehr diese Erkenntnis bei den Investoren die Angst vor Leitzinserhöhungen verdrängt und einer Hoffnung auf billiges Geld weicht, umso mehr Schub dürfte das für die Aktienmärkte bedeuten.
Doch der kluge Investor kennt nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken:
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Risiko 1: Konjunkturdelle in China
Die Abkühlung im Reich der Mitte wird immer nachhaltiger. Damit einhergehend wird die Haut der vielen Blasen immer dünner. Sei es der Immobilienmarkt mit hohen Krediten und ebenso hohen Leerstandsquoten oder die wahnwitzige Spekulationsblase auf Kredit an den chinesischen Festlandbörsen, die einem "Neuen Markt XXL" entspricht. Ein Platzen dieser Blasen durch weitere Kapitalabflüsse könnte im asiatischen Schattenbankensystem zu Beben führen, die durchaus auch auf der anderen Seite des Globus zu spüren sein könnten, zumal auch bei uns die Bewertungen als "sportlich" anzusehen sind.
Auf Seite 5: Risiken 2 und 3: Ölpreis und Niedrigzinsen
Risiko 2: Ölpreis
Der niedrige Ölpreis zwingt viele davon abhängige Länder wie die arabischen Staaten zum massiven Abschmelzen ihrer Währungsreserven, um ihren Staatshaushalt weiter am Laufen zu halten. Wer Cash braucht, der verkauft. Wer verkauft, der bringt Druck auf die Märkte. Wir haben das bereits bei den Anleihepreisen in den vergangenen Wochen erlebt. Sollte der Ölpreis weiterhin niedrig bleiben, ist auch hier künftig mit Verkäufen von Tafelsilber zu rechnen. Chance 1 erhöht Risiko 2 erheblich.
Risiko 3: Niedrigzinsen
Die faktisch abgeschafften Zinsen machen es Investoren unmöglich, Risiken zu bewerten oder Puffer für mögliche Zahlungsausfälle zu bilden. Hier bauen sich in den internationalen Bilanzen große Risiken auf. Sollten diese zum Tragen kommen - und Gründe für Zahlungsausfälle sind mannigfaltig -, wäre eine Vertrauenskrise unter den Investoren und Banken die Folge, und es würde im Rahmen einer daraus resultierenden Kreditklemme zu Notverkäufen aller liquiden Assetklassen führen, wie wir es in der letzten Vertrauenskrise dieser Art 2008/2009 nach Lehman gesehen haben. Jedoch dürfte dieses Risiko nach aktueller Einschätzung erst weit nach 2015 bedeutsamer werden.
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